Gesellschaft

Armin, Annalena und Olaf

Armin Laschet hatte die künftige Herrschaft im Bundeskanzleramt zu Berlin schon in der Tasche. Auch die GERADEZU-Seiten schrieben hier vom „Kanzler Laschet“, ziehen diese Wortmeldung noch nicht zurück. (Wir stehen jederzeit zu unserem Geschwätz von gestern. Dennoch hindert auch uns nichts daran, einen kleinen Funken weiser zu werden.) Wobei jene Annahme zugegebenermaßen mittlerweile schon etwas waghalsig wirkt und auf tönernen Füßen steht. Laschet lachte einmal zu viel, machte auch Wahlkampf und wohl aus diesem Grund sehr oft den Mund auf. Jene Dreifaltigkeit gefährdet jetzt einen sicheren Zugriff auf die Merkel-Nachfolge. Nun werden in den Medien Szenarien durchgepopelt, wie und wann man Laschet noch austauschen könnte, Kandidaten für den Kandidaten per Schlagzeile in Stellung gebracht. Dabei natürlich die üblich Verdächtigen. Friedrich Merz gibt sich hemdsärmelig auf seinem Twitteraccount, spinnt dort ziemliche Lügen über eine Schreckensherrschaft der Grünen und versucht mit dieser Trump Wahlkampfkopie den großen Dummenfang und seinen letzten Durchbruch. Allerdings konnte Trump mit großer Geste und kalter Frechheit lügen, im Hintergrund Steve Bannon als Einflüsterer, der jede Regung des einfach gestrickten US-Bürgers kannte und dessen populistische Knöpfe zu drücken wusste. Bei Merz wirkt selbst der Populismus wie von der Ladentheke eines Kleinkrämers.

Derweil ein neuer Freund der Bäume, Markus Söder, Herrscher der CSU und über Bayern, liebster Kanzlerkandidat vieler Schwiegermütter und der schwarzen und grünen Herzen lauernd in München oder Nürnberg weilt. Er darf sich freuen, wenn sogar der im tiefsten Preußen erscheinende Tagesspiegel über seinen Herausgeber den baldigen Laschet-Sturz fordert, um den aktuellen Bayern-Herrscher an dessen Stelle zu setzen. Franz Josef Strauß würde sich die Augen reiben. Solche Art Anerkennung zollten die Preußen ihm nie. Dieser FJS hatte dem Kanzlerkandidaten der Schwesterpartei CDU einst in geheimer, daher veröffentlichter Rede ein deutliches Zeugnis ausgestellt: „Helmut Kohl wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig dazu. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.“ Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Was die Analyse von Strauß dennoch nicht in allen Punkten ins Fehlerhafte setzen muss. Ob auch Markus Söder so über Armin Laschet redet? Denken wohl schon.

Wo ist eigentlich der einstmals starke zweite Mann an Laschets Seite abgeblieben, der vor zwei Jahren noch medial als kanzlertrauglich tituliert und für alle hohen Weihen geeignet? Sein Name Jens Spahn. Seines Zeichens Minister für unser aller Gesundheit. Im Flieger, um weltweit ohne Ergebnis Pflegekräfte anzuwerben, Maskendeals einfädelnd am Telefon oder Kredite in Sparkassenfilialen suchend, gar auf Immobilienwanderschaft durch den besseren Teil von Berlin? Oder verfasst er gerade eine Laschet-Denkschrift, die dem Wahlkampf neuen Schwung gibt? Vielleicht lauert er auch auf den Abend der langen Messer, falls am Wahltag Laschet die Macht der CDU verspielt? Dann wird Spahn wie Merz den Vorsitz wollen, dann werden in der CDU Köpfe rollen. Einer wird dabei wieder orakelnd mitmischen. Wolfgang Schäuble, der die Kanzlerkandidatur von Laschet entschieden befördert, sich aber nach dessen möglichem Misserfolg gerade daran nicht mehr wirklich erinnern wird.

Annalena Baerbock wird dem matt flimmernden Laschet Stern in dessen aktuellem Sinkflug gern zuschauen. Sind doch ihre Probleme dadurch etwas aus dem Scheinwerferlicht gerutscht. Nun muss sie nur noch den Eindruck loswerden, beim politischen Ränke- oder Nominierungsspiel der Grünen im Verhältnis zu Robert Habeck die zweite Wahl gewesen zu sein, nicht wegen Kompetenz die Pol-Position erreicht zu haben. Dies zu beweisen wird ihr, da muss man keine seherischen Fähigkeiten haben, eher nicht mehr gelingen. Ähnlich wie Laschet ist sie stark gefährdet, so sie den Mund öffentlich auftut. Natürlich bekommt sie von einer in Teilen altväterlich daherkommenden Medienwelt teilweise Anfeindungen an den Kopf, die in dieser Schärfe weder gegen Laschet noch gegen Scholz so aufbrausend. Aber da muss sie durch. Wie man so etwas macht und übersteht, könnte sie bei Angela Merkel staunend studieren und lernen.

Armin Laschet stolpert gerade über allerhand Fettnäpfe und tritt auch in selbige. Um den Ruf des forschen Machers zu gewinnen, fuhr er quer durch die Lande, verließ seine Zwingburg NRW, wo ihn Flutopfer auch nicht gerade mit Blumen empfangen, um im fernen Brandenburg Elon Musk, dem Milliardär, Bescheidenheitsprotz und Mondsucher seine Aufwartung zu machen. Das Gespräch an Musks Standort Grünheide verlief eher mit komödiantischen Stilmitteln als mit wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit. Laschet konnte erneut keinen Befreiungsschlag landen, wie wohl von ihm beabsichtigt. Wobei er die Gelegenheit verpasste, einem der wahren Weltenlenker einmal die Leviten zu lesen. Da hätte er Aufmerksamkeit erzielt und Wähler gewonnen. Deutsche Politiker sonnen sich gern bei Treffen mit US-Milliardären und streifen mit dem Stil ihrer Anbiederung oft an die Grenzen zur Peinlichkeit. Man sollte diesen Leuten nicht buckelnd hinterherlaufen, sondern ihnen politisch auf die Finger schauen und auf selbige hauen. Vielleicht sollten Laschet und andere Politiker einmal lesen, was die Guardian-Kolumnistin Arwa Mahdawi über den Mann schrieb, der ein Nettovermögen von 193 Milliarden US-Dollar besitzt und sich nach außen gerne als Normalverbraucher und Alltagsmensch verkauft, dem irdische Dinge nichts bedeuten. Damit gewinnt Musk sogar weltweit Fans, die zu eindimensional um die Masche zu erkennen: „Es ist mehr als ekelerregend zu sehen wie ein Milliardär, dessen Reichtum während einer Pandemie in die Höhe schoss, dafür verehrt wird, bescheiden zu leben. (…) Milliardäre wie er sind das Ergebnis derselben Gier, die dazu beiträgt, die Klimakrise zu beschleunigen. Wenn Musk dem Planeten wirklich helfen wollte, sollte er vielleicht weniger über seine Lebensumstände und mehr über seine Steuerregelungen nachdenken.“ (Guardian 14.08.2021)

Kanzlerkandidat Laschet muss nun täglich seinem Abgrund trotzen, sonst ist er bald weder CDU Vorsitzender gar Kanzler. Kohl und Merkel wurden nach Wahlniederlagen noch Oppositionsführer. Dies wird Laschet niemand in der CDU zugestehen. Andererseits hätte er dann als nur NRW Ministerpräsident wieder mehr Zeit für Karneval und Büttenreden wider den tierischen Ernst. Dem CDU-Mann Laschet und seiner Partei geht es in einem Bereich fast wie den Sozialdemokraten. Der SPD ist die Arbeiterschaft wegen Schwund abhandengekommen. Das Proletariat hat sich verflüchtigt und ist einem Prekariat gewichen, für das die SPD nichts übrig hat. Sie hat es durch die Regierungszeit Schröder sogar noch weiter in die Verelendung getrieben. Fürs Prekariat hat auch die CDU nichts übrig. Die CDU muss dagegen den Wegfall ihrer himmlischen Heerscharen verkraften. Das katholische Schwert ist längst stumpf und von ähnlichem Aderlass gestraft wie das Proletariat. Im Bundestagswahlkampf 1980 setzte die Katholische Kirche in Deutschland noch einen Hirtenbrief auf, der in den Gottesdiensten verlesen wurde und unverhohlen Wahlkampfhilfe für die CDU/CSU und deren Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß zum Besten gab. So etwas funktioniert heute mangels Masse und Interesse nicht mehr.

Was treibt die SPD? Die wittert Morgenluft und gilt bei 19 Prozent Umfragewerten mittlerweile als auferstanden. Beleg dafür die weitaus größere Beliebtheit ihres Kanzlerkandidaten Scholz gegenüber der verunsicherten Frau Baerbock und des irrlichternden Herrn Laschet. Wer ist dieser Tage im aktuellen Licht der politischen Betrachtung zum Thema „Kanzlerfrage“ allerdings nicht beliebter als Laschet/Baerbock? Auch ein Oldenburger Busfahrer hätte gute Chancen, solch ein Ranking zu gewinnen. Olaf Scholz weiß allerdings das Wort so zu führen, wenn auch in einer automatisiert wirkenden Sprache, dass danach nicht sofort sein Kopf und Kragen auf dem Spiel stehen. Darin hat er einen wahrnehmbaren Wettbewerbsvorteil gegen seine Kanzlerkonkurrenz. Unbestritten liegt in diesen Tagen im Wahlkampf und dessen Umfragebarometern ein gewisses Momentum bei Olaf Scholz. Ob dieses trägt? Und wohin trägt es?

Olaf Scholz also der Retter? Jener Scholz, der Gerhard Schröders Neoliberalismus predigte und unterstützte. Ein aktiver Teilhaber des Sinkfluges der SPD, der seinen Vorgänger als Kanzlerkandidat noch hinderte, das Wort soziale Gerechtigkeit in den Wahlkampf zu tragen. Dabei assistiert von einer gewissen Andrea Nahles und einem Herrn aus Goslar. Dieser Olaf Scholz nun also Hoffnungsfunke für die SPD. Er hat sich dieser Tage auch schon als veränderungsunwilliger Sozialdemokrat neuen Typs geoutet. Er könne sich Frau Esken, ihres Zeichens immerhin seine Parteivorsitzende, durchaus in einem Ministeramt vorstellen. Solcher Art Kreide Richtung linker SPDler tut Scholz nicht weh. Dann aber sofort der Kotau vor der neoliberalen Speerspitze mit Namen FDP, mit der Scholz sich – man ahnt es – eine Koalition gut vorstellen könnte. Im Spiegel-Gespräch erzählt er dann „es gibt eine lange sozialliberale Tradition in Deutschland“, als hätte die neoliberale FDP von heute noch mit der liberalen Scheel-FDP zu tun, mit der Willy Brandt einst die sozialliberale Koalition ins Leben setzte. Was solls wird sich Scholz sagen, die SPD seit Schröder hat ja auch nichts mehr mit sozial zu tun. Also passt dieser beabsichtigte Topf und Deckel Deal. Man bekommt sozusagen Politik Marke Schröder + FDP. Heitere Aussichten. Die schreckliche Zuneigung zur FDP hat Scholz mit seinem Mitbewerber Laschet gemeinsam.

Worin unterscheiden sich Scholz und Laschet eigentlich inhaltlich? Der Journalist Lorenz Meyer hat für diese Laschet-Scholz-Dualität eine perfekte Lösung angeboten, die hier zitiert sei: „Wenn die CDU schlau ist, tauscht sie Laschet noch dieses Wochenende gegen den anderen großen Konservativen ihrer Schwesterpartei aus: Olaf Scholz.“ Besser lässt sich der neoliberale Geist deutscher Politik nicht in Worte fassen. Deshalb soll es an dieser Stelle hier auch genug sein.

*Titelbild: Bundeskanzleramt Berlin (Bild von Da7de auf Pixabay)

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