Gesellschaft

Stunde der Heuchler

Auf Siegeszüge, die unter ihrer Führung kläglich entgleist wären, springt die deutsche Linke, oder besser gesagt jene, die diesem Ausdruck Unehre machen, nur zu gern auf. Fangen wir mit der Linkspartei an. Die jubelt über Lulas Sieg. Dass ein 77-jähriger alter Herr bei 214 Millionen Brasilianern allein mehr Emotionen verbreitet und mehr Glaubwürdigkeit unter die Menschen bringen kann als die gesamte Linkspartei in Deutschland, diese Frage stellen sich die schrecklichen und politisch blutleeren Apparatschiks der Linkspartei nicht. Sie kreisen weiterhin ausschließlich um sich selbst und sind dabei in ihren Mandaten und Diäten bestens eingerichtet. Vom Alltag, den Sorgen und Nöten der Menschen unseres Landes sind sie so weit weg wie Deutschland von Brasilien entfernt. Somit ist ihr Jubel eher heuchlerisch und nur peinlich. Steigern wir den Begriff auf die Wortschöpfung oberpeinlich, landen wir bei der SPD. Wobei einem bei dieser SPD natürlich keinerlei linke Politik mehr auffällt. Die Heuchelei dort jedenfalls noch schlimmer und schon ekelhaft. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil jubelt mit. Natürlich ein altes Selfie inklusive. Er mit Lula. Wenn Lula allerdings auf die SPD gewartet hätte, wäre er wohl in politischer Haft verfault und nicht erneut zum Präsidenten und winzigen Hoffnungsstrahl gewählt worden. Als rechtsradikale Politiker und eine neoliberale Front im Zusammenspiel mit korrupten Richtern und dem militärisch-industriellen Komplex in Brasilien für Bolsonaro die Drecksarbeit machten und dessen gefährlichsten Gegner Lula mit einem gelenkten Fehlurteil ins Gefängnis steckten, stellte in Deutschland die SPD einen Teil der Bundesregierung und den Außenminister. Was hatte das SPD-geführte Außenministerium zu vermelden? Folgende Schande:

Nach Einschätzung der Bundesregierung gibt es keine Anhaltspunkte, das Verfahren gegen den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva als politisch motiviert oder rechtsstaatswidrig anzusehen.

Max Liebermann wäre an dieser Stelle wieder einmal so weit gewesen, nicht so viel fressen zu können, wie er kotzen wollte. Ähnlich ekelerregend verhält sich die deutsche Außenpolitik gerade im Zusammenhang mit Julian Assange, dessen Freiheit deutschen Regierungspolitikern einen Dreck wert. Auch in diesem Fall schwafelt die unter grüne Flagge agierende Außenministerin vom Vertrauen in die rechtsstaatlichen Prozesse von Großbritannien und den USA. Jene Staaten, deren Kriegsverbrechen Assange aufdeckte. Ansonsten erzählt Annalena Baerbock gerne von wertebasierter Außenpolitik. Was immer das in ihrem Universum sein mag. Heuchelei ist kein Alleinstellungsmerkmal deutscher Politiker. Ein ganz schlimmes Exemplar sitzt und agiert in London. Noch Oppositionsführer. Irgendwann einmal der nächste Premierminister von Rupert Murdochs Gnaden unter dann Labour Flagge. Jener Keir Starmer, seit April 2020 Vorsitzender der Labour Party in Nachfolge von Jeremy Corbyn, hat alles Erdenkliche getan, um Linke und deren Positionen und Inhalte aus der Arbeiterpartei zu entfernen, sie auf neoliberalen Kurs zu trimmen. Dafür wird ihn das britische Establishment belohnen. So war es immer. Siehe Tony Blair, der besser in die Nachfolge von Margaret Thatcher passte, aber nicht zu einer Arbeiterpartei. Er hat die britischen Eliten nie enttäuscht, Starmer wandelt in seiner Spur. Der Feind steht bei ihm links. Murdoch und Blair sind stolz auf ihn. Starmer bekämpft weiter alle Linken, um diese Zuneigung zu behalten.

Rechte und neoliberale Brüder im Geiste. Tony Blair mit Jair Bolsonaro auf dem World Economic Forum in Davos. (Twitter: WEF)

Jeremy Corbyn wurde von Starmer aus der Partei geworfen. Als unlängst der Labour-Abgeordnete und als Verkehrspolitiker in Starmes Schattenkabinett agierende Sam Tarry sich auf die Seite von streikenden Bahnarbeitern stellte, wurde er von Starmer gefeuert und inzwischen um seine künftige Labour-Kandidatur gebracht. Ähnlich wie Sam Tarry erging es 2020 der linken Gegenkandidatin im Rennen um den Parteivorsitz, Rebecca Long-Bailey. Auch sie flog schnell aus dem Schattenkabinett. Wofür Starmer besonders viel Schulterklopfer bei den Konservativen und Neoliberalen erhält, inzwischen haben 200.000 Mitglieder die Labour Party wieder verlassen, die bei Corbyn eingetreten sind. Mitglieder, die vor allem die Jugend repräsentierten. Da braute sich etwas gegen das Establishment zusammen, was nun dank Starmer abgewehrt. Labour wieder handzahm. Ein Untersuchungsbericht, der beweist, dass in der Amtszeit von Jeremy Corbyn dieser von seinem eigenen Parteivorstand und der Fraktion bewusst sabotiert wurde, um einen linken Wahlsieg zu verhindern, wird von Starmer mit der Hilfe der britischen Presse verschwiegen. Diesen Vorgang haben übrigens investigative Journalisten von Al Jazeera unter dem Titel „The Labour Files – The Crisis“ ans Tageslicht gebracht. Eine Ohrfeige für Starmer und Zeugnis seines schändlichen Wirkens, vor allem eine ewige Schande für den britischen Journalismus.

Streikposten verabscheut er, Milliardäre verehrt er und betreibt Politik für sie. Starmer (rechts) empfängt Bill Gates im britischen Parlament. (Foto Twitter: Evening Standard)

Dieser hier vorgestellte Keir Starmer sprang also auch auf den Lula-Siegeszug. Allerdings erwähnte er nicht den sozialen Ansatz von Lula, blieb lieber beim Klima und der Umwelt, um es sich mit Murdoch, Gates und Blair nicht zu verderben. Sein Tweet mit folgendem Inhalt:

Herzlichen Glückwunsch an Lula zu der großartigen Nachricht seiner Wahl zum Präsidenten Brasiliens. Dieser Sieg muss auch der Beginn einer neuen Ära der globalen Zusammenarbeit und Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel sein.

Eine Antwort von Guardian-Kolumnist Owen Jones kam darauf prompt. Diese sagt alles und soll hier Schlusspunkt sein:

Wäre Lula Mitglied der Labour Party, würden Sie ihn rausschmeißen.

 

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