Wer auf offener Bühne, besonders der Politik, neu in einem Amt, ob einzeln oder in Gemeinschaft als Regierung, bekam einmal die „100-Tage-Frist“. Eine gewisse Schonung aus Redaktionen und dem Journalismus. Natürlich unter Beobachtung. Irgendwann, wie so oft, bröckelte der einstige Common Sense und wich mehr und mehr der Jagd nach News. Beim Zustandekommen der Ampel hatten wir alle Gelegenheit, die einzelnen Partner zu skizzieren oder zu sezieren. Nun, ob es einem passt oder nicht, sollte man auch dieser neuen Politikbesetzung einige Zeit einräumen, um in Tritt zu kommen. Wie immer dieser Tritt dann aussieht. Der Blog GERADEZU möchte sich, so gut es eben irgend geht, an die „100 Tage“ etwas halten. Im Angesicht der neoliberalen FDP an den Hebeln der Macht fällt solch ein Vorsatz nicht wirklich leicht. Was solls. Da muss man eben durch. Die Dynamik von Corona und vor allem die Medien, die heute sind, was sie sind, werden wohl sowieso nicht mitspielen. Dennoch kann man es für sich selbst zumindest versuchen. Für ein Scherbengericht oder auch ein Hosianna bleibt immer noch Zeit. Handeln und Maßnahmen im Auge behalten und kommentieren ist das eine. Noten und Bewertungen abgeben ist eben das andere.
Allerdings geht die Bewertungsmaschinerie nebst öffentlicher Richterskala und Zeugnisvergabe schon über diese neue Regierung nieder. Eine Heerschar von Politikexperten, Meinungsforschern, Hellsehern und Politologen will befragt, Podcasts gefüttert, Talkshows besetzt werden. Journalisten müssen ihren täglichen Broterwerb eben ins Fenster stellen. Neuerdings tauchen auch aus jeder Ecke Philosophen auf oder solche, die sich dafür halten und ausgeben. Auch ihr Senf will gestrichen sein. Die Sau, die man durchs Dorf treiben kann, muss täglich gefunden werden. Die Fülle der Nachrichten und News steht daher selten im Einklang mit wirklicher Substanz. Manch Flachheit findet sich auf Titelseiten. Ein Minister, der im Jahr 2021 mit dem Fahrrad fährt, hat damit Aufmerksamkeit wie Neil Armstrong beim Schritt auf den Mond. Sei es drum. Wer weder „100 Tage“ noch Zeit hat, ist sicher Karl Lauterbach, dem man in unser aller Interesse sogar einen Tick mehr Erfolg wünschen muss als allen anderen Neulingen, weil es bei seiner Arbeit ums pure Leben und vielleicht sogar Überleben geht. Allen, die da nun für Deutschland oder vielleicht auch nur für sich selbst auf dem Regierungsdampfer schippern, von dieser Stelle gutes Gelingen um derer Willen, die in diesem Land leben wollen, müssen und können.