G20 Gipfel in Rom und UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow. Man könnte fast meinen, die Rettung der Welt steht unmittelbar bevor. Schön wär’s. Aber wir wollen hier keine Hoffnungen wecken, wo es keine gibt. Diese Wahrheit ist nicht gerade angenehm, dennoch kann man ihr ins Auge sehen. Der Welt droht eine Menge Unbill. Feuerwalzen, Hitzewellen, Massenflucht aus unbewohnbaren Regionen und vor Armut und Tod. Immer waren diese Dinge weit weg, eher Probleme der Menschen auf der südlichen Halbkugel. Längst ist auch der sich für besser haltende Norden erfasst. Die Klima- und Umweltkatastrophe ist ein globales Damoklesschwert und in vielen Teilen der Welt schon lange eine dramatische Sozialkatastrophe. Sogar der Papst, darin ehrlicher als seine Vorgänger und die meisten seiner Kardinäle, warnt vor einer „unbewohnbarer Welt“. Die Staatslenker wird es nicht sonderlich kratzen. Man pilgert gerne nach Rom, die Bilder von einer Audienz beim Papst machen die Runde um die Welt und ab geht’s wieder nach Hause. Schon Josef Stalin fragte: „Wie viele Legionen hat der Papst?“ Vom roten Zaren und dem Heiligen Vater zurück in die profane Gegenwart. Alles, was von ernsthaften Umweltaktivisten und Klimaschützern angestrebt wird, ist auch eine Art Verheißung für das Himmelreich. Zu Lebzeiten der heutigen Generationen wird nichts mehr geschehen, was Rettung oder Linderung bringt. So gesehen kann der Tanz auf dem Vulkan für Fatalisten fröhlich weitergehen. Manche Menschen sind keine Fatalisten oder Egomanen, eher für das Wohl anderer engagiert und fügen sich nicht ins Schicksal oder gar damit ab. Solche Art Typus verändert manchmal die Welt. Oft in einem einsamen wie zuerst aussichtslosen Kampf. Diesen Kampf muss man bei aller Aussichtslosigkeit bewundern, gerade wenn er von jungen Menschen geführt wird.
Manchen ist der Kampf oder zumindest die Sprache des Kampfes suspekt. Sie wittern in ihrer bürgerlichen Behaglichkeit Aufruhr. Der Autor des Berliner Tagesspiegel, Malte Lehming, immerhin für zwei Jahre Persönlicher Referent des Altkanzlers Helmut Schmidt, empört sich in einem Beitrag über die Wortwahl der Klimaaktivisten. Sorry. Natürlich schreibt ein ehemaliger Schmidt-Referent keinen Beitrag, sondern eine Kolumne. Den Stein des Anstoßes findet er im Wort „fauler“, welches die Umwelt- und Klimademonstranten vor das Wort „Kompromiss“ setzen. Daraus zieht Herr Lehming seine Erkenntnis: „Das kratzt an den Fundamenten der Demokratie.“ Wie bitte? In dieser Lesart frisst das Kaninchen eben die Schlange. So eine hanebüchene Herleitung kratzt eher an den Fundamenten des Journalismus, vor allem aber am gesunden Menschenverstand. Herr Lehming sollte einfach seine Berufsauffassung auf den Prüfstand stellen, bevor er damit auf die Menschen losgeht. Zumal er, wie auch der Schreiber dieser Zeilen, zu einer Generation gehört, die den Planeten so zugerichtet hat, wie die Jugend ihn nun vorfindet. Dieser Jugend sollte man, wenn man an deren Schicksal und Zukunft ein Stück weit interessiert auf jeden Fall unterstützend beispringen und sie nicht mit Denunziation überziehen.
Kompromisse als Eckpfeiler der Demokratie zu verkaufen ist längst reiner Blödsinn. Die Kompromissbereitschaft der Konservativen in der Weimarer Republik mit den Nazis hat jene Republik und die Demokratie zu Fall gebracht. Also bitte endlich mit der Verklärung von Kompromissen aufhören. Wenn das Haus brennt, hofft man auf eine schnell anrückende Feuerwehr, die sofort losrast und nicht vorher nach Kompromissen sucht und darüber verhandelt, wer nun als erster auf die Leiter darf. Ähnlich verhält es sich mit dem Herzinfarktpatienten. Dem ist nicht mehr zu helfen, so das Notarztteam streitet und einen Kompromiss in der Frage sucht, wer an welche Seite des Tisches die Rettungsmaßnahmen einleitet. Soll heißen, wenn es ans Leben und die Existenz geht, wie aktuell auf diesem Planeten für Milliarden von Menschen der Fall, dann helfen Kompromisse nicht, sie beschleunigen nur den Untergang.
Der 2013 verstorbene Franzose Stéphane Hessel trat der Jugend eindrucksvoll mit seinem flammenden Appell „Empört Euch!“ an die Seite. Natürlich könnte man hier „flammenden Appell“ durch Essay ersetzen, damit „flammenden“ nicht die Demokratie aushöhlt. Oder man treibt es so wie Kurt Tucholsky, Erich Kuby, Hermann L. Gremliza, die ganz Edlen des Journalismus, mit denen sich hier im Übrigen nicht verglichen werden soll, und prangert gnadenlos an was faul, was ins Verderben führt, was bemäntelt und Unglücke wie Katastrophen heraufbeschwört. Klare Sprache um den Anfängen zu wehren und den überall aktiven Zerstörern der Welt aufs Haupt zu treten. Es hilft längst kein Einlullen mehr, um das Leben auf dem Globus zu erhalten. Nicht der Planet ist nämlich in Gefahr, sondern alles Leben darauf. Sicher nicht für eine winzig kleine Oberschicht von Milliardären, die sich in Raumfahrtexperimente flüchten, um rechtzeitig davonzukommen oder die wenigen Landstriche aufkaufen, die nach der Steigerung sämtlicher Umwelt- und Klimakatastrophen noch bewohnbar. Gegen den Zynismus dieser Sorte Mensch und Macht haben die Jugendlichen nur ihren oftmals ohnmächtigen Protest und die Sprache. Diese Sprache, ihre Ausdrucksmittel, Wut, Zorn und Verzweiflung, sollten sie sich nicht nehmen lassen. Von keiner Politik und schon gar nicht von einem Zeigefingerjournalismus, welcher ihnen die Bedeutung von Wörtern im Kopf und Mund verdreht und auf überkommene Oberlehrerart denunziatorisch das Menetekel „Demokratiegefahr“ an die Wand malt.
Der Jugend und den Klima- und Umweltaktivisten möchte man etwas in Erinnerung rufen, was höchstwahrscheinlich von Papst Gregor I. (um 600) oder evtl. von Thomas von Aquin (um 1250) stammt und über die Jahrhunderte nie an Bedeutung verloren: „Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“ Auch die Ilias von Homer beginnt mit Zorn: „Vom Zorne singe…“ Die sich heute laut vernehmlich auflehnen und in klarer Sprache Dinge benennen, sind also durchaus in guter Gesellschaft.
Eine Anmerkung zum Thema „fauler Kompromiss“. Wie kam es zu dieser aktuellen Äußerung der Klimaaktivisten? Sie blickten auf den G20-Gipfel in Rom und das Weltklimatreffen in Glasgow. Wo erst die politische Weltelite und darauf dann die gesamte Weltpolitik das Thema Klima und Umwelt behandelte. Missbrauchte wäre vielleicht angebrachter. Als wären Umwelt und Klima, also das Leben, eine Manövriermasse innerhalb der Kunst nichts zu sagen, nichts zu tun und nichts zu machen und dieses dann in eine Sprache der Aktivität zu kleiden. Wie man so etwas nennt, geht einem mit halbwegs guter Kinderstube nicht über die Lippen. „Fauler Kompromiss‘“ ist da eher ein Ding zwischen Beschönigung und Verharmlosung, trifft kaum den Kern des Totalversagens. Die CO2-Neutralität, so das Abschlusskommuniqué, soll „bis oder etwa bis zur Mitte des Jahrhunderts“ erreicht werden. Nicht einmal das eher blamable Ziel 2050 war mehrheitsfähig. Die „Mitte des Jahrhunderts“, so wurde es z. B. den Indern zugestanden, könne auch so um 2070 liegen. Na bitte. Welt gerettet. Die taz nannte einen „müden Formelkompromiss“, was die Klima- und Umweltaktivisten als „faulen Kompromiss“ bezeichneten. Die USA haben übrigens achtmal so viel CO2-Ausstoß pro Kopf wie China. Das Land, wo die IT- und Hightech-Millionäre das Verlassen der ruinierten Erde planen, hat also wenig Argumente mit dem Finger Richtung Asien zu zeigen. So passte ein Bild der „UN-Klimakonferenz Glasgow 2021“ bestens zum Klima- und Umweltengagement der Regierungen der Welt. US-Präsident Joe Biden schlummerte bei irgendeiner Rede selig davon, der alte Herr wurde erst durch die Frage eines Referenten wieder sanft ins Geschehen geholt. Schlafen ist immer noch redlicher als Vollmundigkeit. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, konnte es nicht lassen und bediente wieder die alte Floskel vom Moment der Wahrheit (Originalton: „Moment der Wahrheit für unseren Planeten, um den Klimawandel zu stoppen.“).
Noch schlimmer trieb es der notorische Lügner Boris Johnson (Über Johnsons Dauerlügerei kann man sich beim australischen Journalisten Peter Stefanovic kundig machen, der eine erschütternde Beweisführung angesammelt hat.). Johnson tönte martialisch eine unsäglich abgedroschene Phrase in den Umweltgipfel, die Mär von den Minuten vor zwölf. (Originalton Johnson: „Eine Minute vor Mitternacht.“) Johnson kann nicht nur lügen, er kann auch lustig. „Ich bin nicht mehr für die Kohle“ aus dem Munde eines Tory-Premiers erinnert natürlich an Margaret Thatcher. Die hatte in ihrer Amtszeit den Gewerkschaften und vor allem den britischen Bergarbeitern den Krieg erklärt. Nicht aus Umweltgründen, sondern aus Gründen des Neoliberalismus. Mit Legionen von Polizeitruppen ging sie auf die britische Arbeiterschaft los und die Gummiknüppel machten dabei vor Frauen und Kindern nicht halt. Genug der dunklen Erinnerung und wieder zu Boris Johnson. Der fiel noch zweimal auf. Im Saal mit Maskenpflicht trug er keine und beleidigte und gefährdete damit auch den neben ihm sitzenden britischen Umweltschützer, Tierfilmer, Naturforscher und Schriftsteller David Attenborough. Dieser 95-jährige Natur- und Planetenchronist trug natürlich eine Maske und folgte dem Geschehen am Rednerpult, während Johnson sich an US-Präsident Biden orientierte und ein Nickerchen gönnte. Dann war der Spuk Johnson vorbei und der selbst ernannte Umweltschützer flog mit dem Jet von Glasgow nach London davon, um in 10 Downing Street weiter sein Unwesen zu treiben. Johnson ist exemplarisch und verstärkt bei den Jugendlichen dieser Welt den bitteren Beigeschmack von Ohnmacht.
In Rom haben sich die Wirtschaftsgiganten unter den Staaten zum Abschluss ihres G20-Gipfels jedenfalls in keiner Weise auf eine kühne Tat verständigt oder gar eine ambitionierte Vorgehensweise zum Klimaschutz losgetreten. Alles, was verlautbart und beschlossen wurde, ist voller Ausflüchte und ein sowohl als auch. Der Modus jeder ist sich der Nächste und darf, wie er mag und kann, wurde nicht durchbrochen. Man könnte es auf den Punkt bringen und dazu auch fauler Kompromiss sagen.
*Titelbild: Kulisse Weltklimagipfel in Glasgow (Foto: Twitter Nicola Sturgeon)