Gesellschaft

Kriegstrommeln und Gaslicht

Bevor wir zur Ukraine kommen, bleiben wir in Deutschlands Hauptstadt. Es zog einst ein Berliner um die Welt und machte deutschem Namen unter den Völkern keine Schande, sondern eine Menge Ehre. Alexander von Humboldt hinterließ unendlich viel, darunter die Erkenntnis: „Alles hängt mit allem zusammen.“ Wollen wir also den Versuch unternehmen, in Sachen Ukraine einige Zusammenhänge aufzudröseln. „Ukraine“ schon jetzt Wort des Jahres und eines Tages vielleicht ein Begriff wie „Sarajevo“, „Verdun“, „Stalingrad“ oder „Pearl Harbor“. Irgendwie steht so oder so etwas Historisches im Raum.

Das Vorwort zum Konflikt, man könnte es auch Machtwort nennen, lieferte uns eine Szenerie in Washington. Vor und während des Besuches von Bundeskanzler Scholz machten die USA ziemlich klar, was sie erwarten und wollen. Am Ende werden sie es höchstwahrscheinlich bekommen. Neben ihrer Herzensangelegenheit Freiheit und Frieden auf Erden, welche sie in Vietnam, in Chile, im Irak und in Afghanistan glanzvoll in Szene setzten, sind die USA aus purer Freiheitsliebe augenblicklich sehr an der Seite der Ukraine. Die Realität ist weniger prosaisch, es geht mehr um Gas und Nord Stream 2. Dieses Pipelineprojekt darf aus Sicht der USA nicht vollendet werden, schließlich sollen wir in Europa ihr Flüssiggas kaufen und nicht Gas beim Russen ordern und bezahlen. Für ein gutes Geschäft nimmt man sogar einen möglichen Regionalkrieg in Kauf, zumal wenn dieser weit weg von den eigenen vier Wänden. Was man dann wohl einen Kollateralschaden nennt. Hauptsache, die Kasse stimmt am Ende. Für globale Interessen wissen sich die Supermächte USA und China, wie die sich dahinter befindende Großmacht Russland bestens mit Geschichten abseits der Wahrheit zu rüsten. Sich dafür mit Helfershelfern und nützlichen Idioten zu umgeben, die ihr Spiel spielen oder spielen müssen gehört dazu. Darin sind sich Washington, Peking und Moskau auf dem diplomatischen Parkett ziemlich ähnlich.

Der Ukrainekonflikt in Wahrheit eher ein Kampf um die Gashoheit über Europa. (Foto: Magnascan auf Pixabay)

Bevor nun also Kanzler Scholz seinen Fuß nach Washington setzte, drohte Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater des US-Präsidenten, in einer Pressekonferenz dem russischen Präsidenten Putin, dieser für viele eine Art Zar der Neuzeit, mit dem Ende von Nord Stream 2. Er schob dabei noch gnädig nach, natürlich werde er „den Bundeskanzler für sich selbst sprechen lassen“. Beim Termin mit Biden nahm Olaf Scholz dann das Wort Nord Stream 2 nicht in den Mund. Joe Biden dagegen in der Tonart seines Sicherheitsberaters in Richtung des russischen Zaren schon. „Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, wäre es das Ende für die Ostseepipeline Nord Stream 2. Ach was! Man muss den USA eines lassen, sie wissen ihre Interessen zu wahren und zu bestimmen, wer an ihrem Hof der Koch und wer der Kellner. Scholz hätte eine Retourkutsche liefern können, mit der Frage an Biden, ob dieser die Öllieferungen der Russen an die USA storniert. Russland ist mittlerweile drittgrößter Öllieferant der USA. Natürlich wird nichts gestoppt. Es würden ansonsten die Benzinpreise in den USA sofort in die Höhe klettern. An der Tankstelle entscheidet sich wie im Waffenladen das Schicksal jedes US-Politikers. Somit bleibt es beim Kampf auf einem anderen Kontinent, um eine brisante Frage final zu klären. Wer wird künftig Europa mit Gas versorgen, Russen oder Amerikaner? Sollte jemand glauben, es ginge um die Ukraine, der mag dies weiter tun. Putin wird nicht so dämlich sein und in die Ukraine einmarschieren. Stattdessen rückte er derweil persönlich und geschickt an China ran. Die Chinesen warteten schon mit ausgebreiteten Armen auf den mittlerweile kleinen Bruder und sind durch politisches Stillhalten die wahren Sieger des gärenden Ukrainekonflikts. Das Gespann China/Russland wurde vom Westen schneller zusammengeschweißt, als die Herrscher in Moskau und Peking es selber hinbekommen hätten. Die USA fängt auch deshalb mit der Atommacht Russland sicher keinen neuen Weltkrieg an. Warum auch? Als die großen und einzigen Verlierer könnten sich bald die Europäer wiederfinden.

US-Sicherheitsberater Jake Sullivan. (Screenshot n-tv.)

Dennoch Applaus und breite Zustimmung für die US-Ansagen in vielen Redaktionen deutscher Medienhäuser. Es soll Leute geben, die dazu schon Propagandakompanien sagen. Nun ja. Wenn Europäer, die Franzosen hier ausgenommen, sich freiwillig wie Lakaien behandeln lassen und nach der US-Pfeife tanzen, liegt die Schuld in Europas Hauptstädten, nicht in Washington. Einer, der nicht tanzte, wenn die USA aufspielte, war Charles de Gaulle. Als der Deutsche Bundestag 1962 den historischen Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland, der Europa eigenständiger machen sollte, mit einer Präambel ausstattete, die eine Ergebenheitsadresse Richtung USA war, entfuhr dem Präsidenten Frankreichs, was noch heute im Verhältnis USA und Deutschland gilt:

Die Amerikaner versuchen, unseren Vertrag seines Inhaltes zu entleeren. Sie wollen ihn zu einer leeren Muschel machen. Das alles, wozu? Weil die deutschen Politiker Angst haben, sie lägen vor den Angelsachsen noch nicht tief genug auf dem Bauch! Sie betragen sich wie die Schweine! Sie verdienen es, dass wir den Vertrag aufkündigen und dass wir uns zu einer Abkehr von der Allianz entschlössen, indem wir uns mit den Russen verständigten.

Fairerweise sei gesagt, es gab später Ausnahmen. Man denke an Helmut Schmidt, der Jimmy Carter und Ronald Reagan mit Verstand die Stirn bot, an Gerhard Schröder, der George W. Bush einen Krieg verweigerte und auch an Angela Merkel, die Donald Trump ignorierte, so gut sie es konnte. Wo sich Olaf Scholz einordnet, wird sich noch zeigen. Er ist am Anfang, die 100 Tage noch nicht um. Die plumpe Kritik „wo ist Scholz“ ist aktuell idiotisch. Erfunden von der Mehrheit der deutschen Medienschaffenden und dämlich in der Social Media Blase nachgeplappert und noch verstärkt.

Gabriele Krone-Schmalz

Weil es zentral natürlich um Russland und Putin geht, doch auch um Meinungsmache und Medien, eine kluge Mahnung. Diese kommt von Gabriele Krone-Schmalz, einer Journalistin professioneller Schule, ausgewiesene Russland-Kennerin, jahrelang dort Korrespondentin für die ARD: „Medien sollen Politik erklären und keine machen.“ Damit macht man sich hierzulande nicht nur Freunde in der eigenen Zunft. Zumal, wenn die Meute auf Konflikt gebürstet. Frau Krone-Schmalz hat nach deren vorherrschender Lesart noch einen Webfehler, sie erlaubte sich Objektivität und ist bis heute nicht bereit, in Schwarz-Weiß-Rastern zu agitieren. Ihre Argumente zu Russland und der Ukraine verherrlichten und verdammten keine Seite, sie unternahm stets den Versuch, wie übrigens ihr kompetenter Kollege Peter Scholl-Latour, rational das Konfliktpotenzial zwischen der Ukraine, der NATO, den USA und Russland zu erklären. In deutsche Talkshows wird sie längst nicht mehr eingeladen. Ihre Äußerungen werden ignoriert, ihre Erfahrungen nicht abgefragt und ihre Argumente nicht gewünscht. Im Angesicht derer, die ständig in einschlägigen Talkformaten nur labern, darf man die Frage nach dem warum durchaus stellen. Jeder kann sich die Antwort wohl selbst geben.

Peter Scholl-Latour (Screenshot: Phoenix-Interview 2014)

Ein früherer Blick auf die Krise Russland und Ukraine des weit gereisten und weltgewandten Journalisten Peter Scholl-Latour (geb. 1924- gest. 2014), wie er diese beurteilte, soll hier nicht fehlen. Auszug aus einem Interview des „Tagesspiegel“ mit Scholl-Latour aus dem März 2014:

Ich weiß gar nicht, warum man Russland besiegen will. Es ist eine Groß-, aber keine Weltmacht mehr. Was soll der Quatsch? Wen will man denn an die Stelle von Putin setzen? Für die russischen Verhältnisse ist der sehr geeignet. Wir haben ja den Versuch der Demokratie dort erlebt unter Jelzin und dem in Deutschland so bewunderten Gorbatschow. Ich war damals in Moskau, so elend, arm und verkommen ist Russland nie gewesen. (…) Jetzt reden sie nicht mehr nur von einer wirtschaftlichen Assoziierung der Ukraine, sondern von einem Beitritt. Rumänien und Bulgarien waren schon überflüssig, wir hätten an den Grenzen des alten Osmanischen Reiches Schluss machen sollen mit der Konstruktion Europas. Wenn die mal auf die Landkarte gucken würden! Ich war in der Ostukraine, bis zur russischen Grenze, da ist man noch 300 Kilometer von Stalingrad entfernt. Das sollte einem doch zu denken geben. Wenn Europa überleben will, muss es sich auf ein paar starke Staaten konzentrieren. Da die Engländer voll auf die Amerikaner ausgerichtet sind, gibt es drei Länder, die dafür infrage kommen: das sogenannte Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich, Polen. (…) Die Russen haben unter uns gelitten. Wäre ich Russe, hätte ich auch nicht gern die Amerikaner an meiner Südküste. Das ist eine strategische Position. Und da spielen die USA verrückt im Moment. Die führen den Kalten Krieg fort. (…) Die Amerikaner müssen vom Völkerrecht reden! Wer Leute mit Drohnen ermorden lässt! Die sind selber in genügend Länder einmarschiert. Und im Irak haben sie uns total angeschmiert.

Der englische Geisteswissenschaftler Samuel Johnson notierte schon 1758: „Zu den Katastrophen des Krieges kann mit Recht die Verminderung der Wahrheitsliebe durch die Unwahrheiten gezählt werden, die das Interesse diktiert und die Leichtgläubigkeit fördert.“ Das erste Opfer des Krieges ist angeblich die Wahrheit. So wird oft zitiert und geredet. Dabei ist die Wahrheit bei Kriegsbeginn längst in einer schändlichen Jauchegrube aus Lügen und Propaganda versenkt, um genau den Krieg möglich zu machen, welcher beschrien wird. Was dann kommt, ist hinlänglich bekannt. Die Opfer des Krieges, die ihn mit ihrem Leben bezahlen, sind sehr selten jene Politiker und Journalisten, die als Teil des militärisch-industriellen Komplexes Kriege herbei propagieren. Wobei in diesem Zusammenhang besonders einige deutsche Journalisten mit ihrer Fox-News Mentalität so ehrlich sein sollten, die eigene Berufsbezeichnung in Agitatoren umzuwandeln.

Der Begriff vom militärisch-industriellen Komplex wird gerne als linke Propaganda verunglimpft und als Hirngespinst abgetan. Er ist eben keine linke oder pazifistische Propaganda, sondern Beitrag eines verdienten und hochdekorierten Militärs und Politikers. Sein Name Dwight D. Eisenhower. Dieser erfahrene General wusste immer, sogar im Krieg für eine gute Sache gegen das unsagbar Böse kann aufseiten der Sieger auch Irrsinn walten. Dafür gibt es Beispiele, die dank rationaler Verantwortlicher nicht in weiteren Katastrophen mündeten. Es obsiegte letztendlich die Vernunft, welche dazumal noch lebendig. Als der legendäre US-General George S. Patton, Befehlshaber der ruhmreichen 3. US-Armee, 1945 den 2. Weltkrieg stehenden Fußes verlängern und umgehend gegen die Russen marschieren wollte, wurde es dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower zu heiß. Er löste Patton ab und setzte ihn auf einen unbedeutenden Archivposten. Zu Zeiten des Koreakrieges wollte ein anderer Egomane in Uniform, Douglas MacArthur, in seinem Cäsarenwahn Patton nicht unähnlich, Atombomben auf nordkoreanische Städte werfen und den Konflikt bewusst nach China ausweiten. US-Präsident Harry S. Truman löste MacArthur 1951 ebenfalls von seinem Posten als Oberbefehlshaber der Koreafront ab und beorderte ihn nach Hause.

Sitzend, Zweiter von Links: Patton, auf nach Moskau. Bildmitte: Eisenhower: Warnung vor dem mitlitär-industriellen Komplex.

Ein Hinweis zur Erinnerung. Der Republikaner Eisenhower wie der Demokrat Truman waren überzeugte Antikommunisten, Moskau konnte also nicht hinter ihrer jeweiligen Entscheidung stecken. Final hat bei beiden Präsidenten stets die Ratio gesiegt. Wobei nach heutiger Lesart beide wohl Außenseiter wären, in den USA des Jahres 2022 höchstwahrscheinlich im Fadenkreuz der Rechten wie des Neoliberalismus und herabgewürdigt von großen Teilen der Medien. Als höchstdekorierter Militär der US-Geschichte, wurde der 5-Sterne General Eisenhower 1953 US-Präsident und war in dieser Zeit auch Teil des Kalten Krieges, der zwischen den Sowjets und den Amerikanern längst ausgebrochen. Die vereinten Sieger über Nazideutschland boten sich da schon in harter Gegnerschaft die Stirn. Doch sie gingen beidseitig nie zu offener Feindschaft über oder betätigten den Atomknopf. Als die Präsidentschaft von Eisenhower endete, verabschiedete er sich am 17. Januar 1961 mit einer Radioansprache. In dieser warnte er vehement vor Macht und Einfluss eben jenes militärisch-industriellen Komplexes in den USA. Seine Worte sollen hier erinnert werden:

In der Regierung müssen wir uns in unserem Denken vor dem Eindringen von unberechtigten Einflüssen des militärisch industriellen Komplexes hüten, seien sie gewollt oder auch nicht. Die Gefahr eines unheilvollen Anwachsens unbefugter Macht existiert und wird fortdauern. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Gewicht dieser Kombination unsere Freiheiten und demokratischen Prozesse gefährdet. Wir sollten nichts als gesichert ansehen. Nur eine wachsame und kenntnisreiche Bürgerschaft kann eine ausgeglichene Verbindung der gewaltigen industriellen und militärischen Maschinerie der Verteidigung mit unseren friedlichen Methoden und Zielen gewährleisten, sodass Sicherheit und Freiheit gemeinsam gedeihen können.

Von einem der ehrenwerten Sieger über Nazi-Deutschland zu den Niederungen heutiger Politik und ihrer sie befeuernden Medienmeute. Es hallt aus allen Rohren: Ukraine. Wer den Tag mit einer Presse- und Medienschau beginnt, für den ist nach kurzer Zeit die Lage klar: Ein guter Deutscher, wer Waffen in die Ukraine liefern will, wer den Amerikanern in ihrer Politik folgt und wer vor allem Putin für das größte Übel des 21. Jahrhunderts hält. Erfüllt man diese Punkte, ist man in den Medien wohlgelitten. Aber wehe nicht! Man hat daher den Eindruck, per Zangenbewegung soll Bundeskanzler Olaf Scholz willig gemacht werden. Dessen Bemühen um Diplomatie und offene Gesprächskanäle im Zuge des Ukraine-Konflikts sollte Anerkennung finden. Natürlich nicht von der US-Administration des Joe Biden oder gar von deren nützlichen Idioten im Weinberg der deutschen Medienlandschaft. Die Muster, die dort fabriziert, wirken bekannt und abgenutzt, werden dennoch ein zweites Mal eingesetzt. Als 2002/2003 die US-Administration des George W. Bush einen Krieg gegen den Irakkrieg lostreten wollte, hielt die Bundesregierung unter Gerhard Schröder und seinem Außenminister Joschka Fischer stand. Der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder wird auf diesen GERADEZU-Seiten regelmäßig und hart für seine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik kritisiert. Daran wird sich nichts ändern. Allerdings wird ihm sein historischer Verdienst nicht abgesprochen. Er hat Deutschland aus einem Krieg herausgehalten, der auf Basis von Lügen und Unwahrheiten über ein angebliches irakisches Atomprogramm in Washington und London konstruiert wurde.

Wenn Lüge sich als Wahrheit tarnt, liegt Krieg in der Luft. (Montage: Gordon Johnson/Pixabay)

Das Schurkenstück Irak-Krieg wurde sogar unter den Augen der Weltöffentlichkeit im UN-Sicherheitsrat vorgeführt. US-Außenminister Powell log auf dieser Bühne der Weltgemeinschaft, dass sich die Balken bogen. Später, da war der völkerrechtswidrige Krieg längst geschlagen und die USA hatten ihren Zugriff auf irakisches Öl, schämte Colin Powell sich dafür öffentlich. Unwillkürlich musste man an den US-Verteidigungsminister der Sechzigerjahre denken. Robert McNamara forcierte den Vietnamkrieg wie kein anderer und brach darüber 30 Jahre später in Reue und Tränen aus. Immer kommt die Einsicht zu spät und mit der Pension, immer wird das Schwert aus der Hand gelegt, wenn das Blut an der Klinge schon getrocknet. Die beiden großen Kriegstreiber der Irak-Geschehnisse, Regierungskollegen von Powell, Donald Rumsfeld und Dick Cheney, schämten sich dagegen nie. Sie setzen knallhart ihre Agenda und Eroberungspläne um. Dabei hatten auch sie nützliche Idioten zur Seite, die sie nicht nur unter Medienleuten fanden, sondern sogar im britischen Premierminister Tony Blair. Für die Briten, in deren großer Mehrheit längst ein ausgewiesener Kriegsverbrecher.

Gerhard Schröder muss bis heute außenpolitisch wenig reuen. Er hat den Kopf bewahrt, wo andere mit Säbeln rasselten. Der berühmte Satz seines Außenministers Fischer in Richtung des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld klingt bis heute ehrenvoll nach: „Excuse me, I am not convinced.“ Im deutschen Blätterwald wurde kräftig getrommelt. Was war da nicht alles zu lesen und zu hören. „Deutschland wäre isoliert“, „Deutschland im UN-Sicherheitsrat allein an der Seite Syriens“ und „Deutschland verliert seine Verbündeten“ usw. Eine Klosettparole jagte die andere. Weite Teile der deutschen Journaille kannten nur zwei Grundsätze, blind den USA folgen und in den Krieg ziehen. Es gab in den Medien auch andere Stimmen – sie waren die Minderheit. Eine, die später klüger wurde, ließ sich ebenfalls berauschen und sendete eine beschämende Ergebenheitsadresse Richtung George W. Bush. Dies geschah über einen Gastbeitrag in der Washington Post. Es war Angela Merkel, die signalisierte, wäre die CDU jetzt an der Macht, würden wir natürlich mitmarschieren. Diesen Beitrag machte sie später gerne vergessen. Als das Lügengebilde der Bush-Regierung dann wie ein billiges Kartenhaus zusammenbrach, hatte auch die deutschen Medien ein Vergessen in eigener Sache erfasst. Was interessiert uns unser Geschwätz von gestern, wir jagen schnell eine neue Sau durchs Dorf. So geht es zu. Heuer legt man die alte Irak-Platte wieder für den Ukraine-Sound auf. Diesmal gehen die Trommeln nicht Richtung Irak und Schröder, nun sind Russland und Scholz die Empfänger. Durchschaubar wie eine frisch geputzte Fensterscheibe. Nebenher wird noch Rache an Schröder genommen, weil er die Medien leibhaftig an deren desaströse Fehleinschätzung erinnert. Liest und hört man deren Ergüsse, kann man nur zu einem Urteil kommen: Schröders Jobs bei Rosneft, Gazprom und Nord Stream AG machen ihn schlichtweg zum schlimmsten Bürger dieses Landes, ein Teufel mit SPD-Parteibuch, ein Söldner Putins. Was in manchen deutschen Journalistenköpfen über Tastaturen in den  Themenfeldern Russland und Schröder, Nord Stream 2 und Ukraine, NATO, EU und USA vorgeht, ist schwer greifbar. Ein Minderwertigkeitskomplex aus Selbsthass wegen der internationalen Bedeutungslosigkeit deutscher Schreiber? Vorauseilender Gehorsam gegenüber den Verlagsbesitzern und Medienbossen? Ignoranz, Faulheit, Fanatismus? Ein Mix aus allem? Schwer zu sagen. Darf eigentlich folgende Frage aufgeworfen werden: Ist ein Anstellungsverhältnis bei russischen Staatsunternehmen unmoralischer als ein Job bei Heuschrecken der Machart McKinsey & Company oder BlackRock?

Historische Leistung. Gerhard Schröder hielt Deutschland aus dem Irakkrieg. (Foto: Screenshot Sender Phoenix.)

Das Russland von Wladimir Putin scheint durch und durch korrupt. Ein Blick auf die Forbes-Liste russischer Milliardäre verschafft einem eine kleine Ahnung von den Ausmaßen. Wer in Hotels, den schönen wie teuren Ecken oder edlen Wohngegenden in Europa schon einmal Russen erlebt hat, sei es nur am Nachbartisch, im Restaurant oder bei deren Einkäufen auf Nobelmeilen, bekommt eine ungefähre Vorstellung davon. Wladimir Putin selber entspricht außerdem absolut nicht dem uns vorschwebenden Politikerbild. Ein Blick in die russische Geschichte von Alexander Newski über Peter den Großen und Katharina die Große bis zu Nikita Chruschtschow zeigt, was nötig ist, um den größten Flächenstaat der Erde zu regieren. Dabei den Sieger des 2. Weltkriegs und Massenmörder am eigenen Volk, Josef Stalin, nicht unterschlagend. Ein russischer Herrscher oder Präsident nach unsere Façon würde sich jedenfalls keine 10 Tage im Amt halten. Den lammfrommen und demokratischen Politiker im Kreml, den sich der Westen nach seinem Bilde wünscht, also die USA, die EU und die NATO, den werden wir nicht bekommen. Als der im Westen populärste und beliebteste Russe, die historische Figur Michail Gorbatschow, 1996 zu den russischen Präsidentschaftswahlen kandidierte, erhielt er 0,51 % der Stimmen. Der Alkoholiker Boris Jelzin gewann die Wahl haushoch und ließ das noch heute bestimmende Oligarchensystem hochkommen. Putin mag einiges wissen, anderes eben nicht. Die russische Geschichte allerdings, die wird er kennen.

Das Auge sollte nicht nur kritisch auf Russland und Putin gerichtet sein, sondern der Blick natürlich auch zu unserem neuen Partner Ukraine gehen. Das Land ist so korrupt, dass allein zum Thema „Korruption in der Ukraine“ ein eigener Wikipedia-Eintrag existiert. Interessanterweise nur in englischer Sprache. Für diese Ukraine sollen wir sofort, so es nach einer Mehrheit der Medien hierzulande geht, bitte schweres Geschütz auffahren, Waffen liefern und am besten noch Arm in Arm in einen Krieg marschieren. Der erwähnte Wikipedia-Eintrag liest sich wie ein Schreckensbuch. Wem dieses zu oberflächlich, der kann sich auf den Seiten von „Transparency International“ den Korruptionsindex anschauen. Dort die Ukraine und ihre Herrscher ebenfalls zu den schlimmsten Korruptionsfällen der Welt gehörend. Dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelenskiy, einst Schauspieler und Komiker, widmete der britische Guardian am 3. Oktober 2021 eine Recherche. Ausgelöst durch eine Durchsicht der „Pandora Papers“, die ein internationales Netzwerk der Edlen und Reichen zur Vermeidung von Steuern aufdeckten. Wir sehen Zelenskiy als Miteigentümer von Offshore-Unternehmen, im Umfeld einer Zusammenarbeit mit Unternehmen, die eng mit Russlands Oligarchen verbunden. Der Artikel „Revealed: ‘anti-oligarch’ Ukrainian president’s offshore connections“ liest sich wie ein Korruptionsroman. Die Zeitung Le Monde (Frankreich) hat sich schon am 26. Januar 2021 mit dem Thema Zelenskiy und Korruption beschäftigt. Auffällig noch eines. Seit dem Aufflammen des „Russland-Ukraine-Krisenherdes“ schweigen der Guardian wie auch Le Monde und viele europäische Medien über die Korruption in der Ukraine. Vielleicht will man westliche Wohlstandsbürger nicht zu sehr überfordern, wenn diese am Ende noch über unsere eventuellen Kriegspartner ins Nachdenken geraten.

Ukraine mit einer verbindenden Gemeinsamkeit zu Russland: Korruption

Für die Korruption in der Ukraine haben auch deutsche Medienhäuser aktuell keine Nerven, noch weniger Kapazität. Säbelrasseln ist einfach geiler. Es gilt die Kriegspauke zu schlagen, was Kräfte bindet und Ressourcen erfordert. Die Front muss schließlich gesichert werden. Wem es jetzt doch arg militärisch klingt: Willkommen im deutschen Medienwald! Aus dessen Medienunterholz ein Beispiel der aktuellen Berichterstattung, dann soll es damit auch genug sein. Es ist exemplarisch für den derzeitigen Stand des Diskussionsniveaus. Letzten Sonntag gab es das Talkshowformat „Anne Will“ in der ARD. Zugeschaltet aus den USA Frau Anne Applebaum, eine Historikerin und Journalistin. Sie gilt als weltweit größte Propagandistin gegen Putin und wird dafür gefeiert, dass sie Russland Tag um Tag als Diktatur entlarvt. Sozusagen im Trend. So weit, so gut. Allerdings erwartet man von einer deutschen Talkshow-Moderation, dass sie die Leute zumindest aufklärt, welchen Think Thanks ein Studiogast dient. Daraus lässt sich hilfreich ableiten, welch Geistes Kind jemand ist. Anne Applebaum gehört als Beiratsmitglied dem „Center for European Policy Analysis“ (CEPA) an, welches sich mit Osteuropa beschäftigt und in weiten Teilen von der US-Rüstungsindustrie finanziert wird. In London ist sie Teil des Legatum Institute, eine konservative Denkfabrik, die weltweit die Vorzüge des puren Kapitalismus preist, sich dafür gerne hinter dem Schild Demokratieförderung verschanzt. Zuletzt fiel diese Denkfabrik auf, als man die Europafeindlichkeit des Boris Johnson befeuerte, den Brexit befürworte und sich als verlängerter Arm der britischen Torys offenbarte. Sogar an einer Bilderberg-Konferenz, wo sich Eliten aus Politik, Militär, Wirtschaft, Medien, Hochadel und Geheimdiensten zu vertraulichen Gesprächen treffen, nahm sie schon teil. Alles ihr Recht. Nur sollte eine Redaktion so etwas den Zuschauern und Zuhören vermitteln. Weil diese dann den Satz der Dame „Deutschland mache augenscheinlich lieber Geschäfte mit Autokratien wie Russland oder China, statt der Ukraine in ihrem Freiheitskampf mit Waffen zu helfen“ und die dahinter steckende Absicht besser hätten einordnen können. Der Satz hat durchaus Unterhaltungswert. Die ihn mit moralischer Emphase ins Mikrofon schleuderte, ist US-Bürgerin und hat auch die polnische Staatsbürgerschaft. Irgendjemand im Studio hätte Frau Applebaum daher nach den Verbindungen der USA zu Saudi-Arabien und dem antidemokratischen Politikverständnis von Polens Herrscher Jarosław Kaczyński fragen können. Verbunden mit der Bitte, doch vom moralischen Ross zu steigen. Nichts dergleichen. Man stelle sich Krone-Schmalz oder Scholl-Latour in dieser Runde vor, die beide dazu sicher nicht geschwiegen hätten. Doch die eine wird nicht eingeladen, der andere lebt nicht mehr.

Was geht im Kreml vor? Was will Putin? Russlandexperten mit echter Sachkenntnis dringend gesucht. (Foto: Adam Bortnowski auf Pixabay)

Wo Jürgen Trittin und Kevin Kühnert sich wie Schuljungen überfahren ließen, lieferte die Gastgeberin Anne Will noch das Sahnehäubchen, in dem sie mit einem geistigen Bückling  den Satz einwarf „Anne Applebaum sagt…“, dies immer mit dem Brustton der Überzeugung, als glaubte Will den Applebaum Worten wie man Moses die Zehn Gebote abnehmen musste. Wäre es nicht so peinlich gewesen, man hätte einen humorvollen Abend haben können. Als Krönung gab es dann noch einen Einspielfilm, der uns Deutsche als Waschlappen zeigte, weil wir nicht mit Waffen in Kiew vorfahren und Boris Johnson als entschlossenen Politiker zeigte. Der größte Lügner und Partylump europäischer Politik als Kronzeuge der Will-Redaktion. Ein weiterer Beweis für unsere angebliche Schande, sehr zur gefälligen Freude von Frau Applebaum, im ukrainischen Parlament hätten die Abgeordneten mit allen europäischen Fahnen gewunken, nur nicht mit der Deutschen. Schau einer an. Damit standen wir im Schach von Frau Will und Frau Applebaum. Das Matt dann vom ukrainischen Botschafter in Deutschland, dem Herrn Dr. Andrij Melnyk, der wie ein Gutsherr mitteilte, was er alles wünscht und welche Art von Kriegsgerät die Ukraine gefälligst geliefert haben möchte. Worüber selbst der redegewandte Jürgen Trittin stolperte, war Melnyks selbstherrlicher Einwand, er hätte dies den Deutschen schließlich schon längst über die Medien mitgeteilt. An dem Punkt wollen wir den Vorhang fallen lassen. Das Ukraine-Spektakel damit natürlich nicht vorbei, sondern ein uns beschäftigendes und auf Fortsetzung angelegtes Drama in vielen Akten, die unausweichlich weiter auf uns zukommen.

Das letzte Wort soll allerdings an Erich Maria Remarque gehen, den Autor von „Im Westen nichts Neues“. In seinem Antikriegsroman findet sich der schlichte Satz: „Erst das Lazarett zeigt, was Krieg ist.“ Verleumdet von der Hugenberg-Presse, seine Bücher verbrannt, er verfolgt von den Nazis. Als Nazigegner, Antifaschist und Emigrant später diffamiert und verdächtigt im Adenauer-Staat, äußerte Remarque sich 1962 in einem TV-Gespräch gegenüber Friedrich Luft:

Pazifist, weil er die Schrecken des Krieges genau kannte: Erich Maria Remarque

Dass man gegen den Krieg ist, fand ich ganz selbstverständlich. Dazu braucht man gar kein Programm. Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen.

*Titelbild: Pixabay

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