Gesellschaft

Trio auf der Schiene

Wer sich nicht mit dem Hirsch fotografieren lässt, der war nicht auf der Jagd. Diesem Motto frönend fahren alle in die Ukraine, bevorzugt nach Kiew. Zwischen Boris Johnson und Claudia Roth war dort sozusagen die Welt zu Gast. Nun haben sich drei Herren auf den Weg gemacht und dabei die Bahn genommen. Ob die Wahl des Verkehrsmittels mit dem 9-Euro-Ticket zu tun ist nicht zu uns durchgedrungen. Das Trio europäisch. Mitfahrer Mario Draghi will als italienischer Ministerpräsident sein Land auf Frankreichs und Deutschlands Höhe stellen, also ab zum Bahnhof. Verständlich. Es gibt schlechtere Reisegründe. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die zweite Runde der Parlamentswahl am Sonntag noch mit einem alten Hausmittel französischer Politik-Couleur übertünchen. Man übermalt innenpolitischen Rost gerne mit außenpolitischem Lack. Bundeskanzler Olaf Scholz fährt unter dem Applaus und der Häme falscher Medienfreunde in eine Richtung, die jene Öffentlichkeitstrommler ihm seit Wochen aufnötigen. Die fühlen sich nun triumphal bestätigt. Wer aber deren Schlagzeilen nachgibt und darauf Politik aufbaut, läuft Gefahr, zwischen den Zeilen umzukommen, wenn die Schlagzeilenzimmerer umblättern. Der Kriegstourismus ist ähnlich perfide wie der Elendstourismus. Was früher die Laufstege bei der Oscarverleihung und den Filmfestspielen von Cannes, scheinen heute die Straßen Kiews oder Odessas zu sein. Dabei wäre es längst an der Zeit, politische Mittel immer wieder neu abzuklopfen, die Waffenstillstand und Frieden ermöglichen, statt für das Beweisfoto „ich war da“ als Reisende durch Europa zu gondeln. (Wer Frieden sucht, der wird sich wohl oder übel nach Moskau aufmachen müssen. Der Jäger sucht schließlich den Hirsch auch im Wald und nicht im Sonderzug.)

Solche Medienspektakel ziehen dann oft die üblichen Verdächtigen an. In Deutschland wird die Körpersprache analysiert. Wen hat Wolodymyr Selenskyj am längsten umarmt. Natürlich nicht Scholz, der daher wieder schlechte Haltungsnoten von denen bekommt, die den Unterschied zwischen Haltung und Propaganda nicht kennen. (Politikbeobachtung mit dem Hut auf der Stange.) Der Ukrainer drückte den Franzosen Macron am längsten und dieser auch Selenskyj am festesten. Macron geht damit natürlich heute Abend noch ins französische Hauptprogramm und hält eine Rede an sein Volk. Schließlich muss seine Partei sich am Sonntag in Wahlen gegen Linke behaupten. Da macht er schnell mit dem ihm gefügigen Staatsfernsehen gemeinsame Sache. Als Kulisse dienen Selenskyj, Draghi, Scholz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert