Gesellschaft

AB und der Plagiatsjäger

Annalena Baerbock und die Grünen haben es nicht leicht. Doch die Nöte sind selbstverschuldet. Sie glaubten tatsächlich an die Erzählung der grünen Republik und tappten in eine bewährte wie plumpe Falle. Das Meinungsbild der Hauptstadtjournalisten für ein Spiegelbild der Gesellschaft zu halten ist ein Kardinalfehler, den vor allem Politiker machen, deren Lebenswirklichkeit nur noch von der Berliner Politikblase bestimmt wird. Die DNA der Bundesrepublik als CDU Staat haben die Grünen bis heute nicht begriffen. Die CDU lebt und definiert sich ausschließlich von den Händen an der Macht und hat dies in den Jahrzehnten der Bundesrepublik eindrucksvoll bewiesen. Der Adenauerstaat lebt bis heute, die 68er hin oder her. Der CDU wirklich die Macht entreißen gelang eigentlich nur der Troika Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner für ein gutes Jahrzehnt. Die Regierung Schröder/Fischer war später eher ein Betriebsunfall und machte neoliberale CDU-Politik durch die kalte Küche.

Das 2021 Wahlkampfmanagement der Grünen ist in der Analyse gescheitert und schon am Start überfordert. Es wird im Herbst wieder nur zum Kellner und nicht zum Koch reichen. Dennoch kann man mit dem zweiten Platz und einer eventuellen Regierungsbeteiligung am Hofe von Armin Laschet rechnen. Die SPD würde im Sommer Silvester und Weihnacht feiern, stände ihr so etwas in Aussicht. Insofern stehen die Grünen auch nicht vor dem Weltuntergang, den Medien ihnen jetzt heraufbeschwören. Jene Medien, die den Grünen vor Wochen erzählten „ihr baut die Neue Welt“. Man kann Annalena Baerbock für die falsche Wahl als Spitzenkandidatin (Kanzlerkandidatin) halten. Sie ist es wohl auch. Niemand sollte sich jedoch einreden lassen, mit Robert Habeck wäre die Partei besser aus der Eröffnung gekommen. Wie seine Kollegin hätte man auch ihn von der Starteuphorie geschleudert und danach ausgewrungen. Die medialen Rufer „Baerbock-jetzt“ werden auch diese Rechnung noch öffentlich aufmachen und demnächst verkünden, „Habeck wäre besser gewesen“. Dabei natürlich nicht an ihr eigenes Gegenteil-Geschwätz erinnern. So läuft der Hase, den die Grünen in latenter Selbstberauschung nicht sehen wollen. Wie spielend sich Annalena Baerbock in eine Defensivrolle drängeln ließ und über jeden Stock springt, der ihr hingehalten zeugt jedenfalls von einer politischen Leichtgewichtigkeit dieser Kandidatin. Allerdings ist dies lässlich. Es sind viele Leichtmatrosen im politischen Geschäft unterwegs und sitzen auf Spitzenposten. Schwergewichte sind längst ausgestorben.

Politiker haben in Wahlkampfzeiten den Hang zu Büchern, die sie uns auftischen. Annalena Baerbock erfüllt ganz brav auch dieses Klischee. Es allein gedacht und geschrieben zu haben wird ihr umgehend abgesprochen. Es ergeht ihr damit und mit einigem anderen wie Martin Schulz. Dem haben Journalisten das fehlende Abitur vorgehalten. Allen voran einer, der seinen Lebenstraum „Chefredakteur Spiegel“ nie erfüllt bekam und diesen Karriereschmerz über andere goss. Schulz, der äußerst belesen und in mehreren Sprachen perfekt bewandert hatte solcher Art Herablassung nichts entgegenzusetzen. Man könnte in dem Zusammenhang erneut auf den Verkehrsminister Scheuer verweisen, der ja Abitur hat. Sollte dessen Unfähigkeit im Abitur begründet liegen, müsste man dieses vielleicht für Deutschland komplett abschaffen.

Baerbock wird nun von einem selbst ernannten „Plagiatsjäger“ verfolgt, einem Herrn aus Salzburg. Nichts gegen Salzburg, wo immerhin Mozart geboren. Der Plagiatsjäger sagt über sich „Ich habe mich in das Thema Baerbock verbissen.“ Vor Kameras und in Interviewformaten, beides von ihm gesucht und geliebt, macht er mächtig auf dicke Hose und nimmt mit denunziatorischem Furor die grüne Spitzenfrau ins Visier. Ihr Buch trägt angeblich fremde und abgeschriebene Gedanken auf den Seiten. Die mit diesem Vorwurf einhergehende Selbstherrlichkeit dieses Herrn bietet eine wunderbare Charakterstudie. Dabei umweht diesen Jäger ein Hauch Joseph McCarthy und Roy Cohn. Wir sollten hierzulande solchen Anfängen wehren. Der Plagiatsjäger gibt in der „Sache Baerbock“ natürlich Interviews und adelt sich selbst zum Herrn über die reine Lehre. Eine Art Tomás de Torquemada der Neuzeit. Der zog noch umständlich mit Holz und Feuer durch die Lande und ließ Menschen auf Scheiterhaufen verbrennen. Heute reichen das Internet, die Talkshow und selbstverständlich als Vorspeise ein Interview. Die Sache mit dem Abschreiben ist so alt wie die Menschheit. Es gäbe die Dreigroschenoper nicht, wäre Brecht nicht so ein gerissener Plagiator und pfiffiger Ideendieb gewesen. Wer in der Öffentlichkeit agiert und von sich sagen kann „alle Worte meines Lebens sind mein“, der werfe den ersten Stein. So etwas ficht einen Plagiatsjäger selbstredend nicht an. Er muss jagen und dies medienwirksam in Wahlkampfzeiten. Die Medien hat er an seiner Seite und bekommt dankbare Überschriften: „Plagiatsjäger erhebt Vorwürfe gegen Baerbock“. Die Frage, was ihn eigentlich qualifiziert, bekommt er übrigens nie gestellt. Welch gefundenes Fressen sich da im Trog bereiten lässt, überlagert alles.

Übrigens ist Frau Baerbock in guter Gesellschaft. Auch der weltweit geachtete Virologe Christian Drosten ist ins Visier dieses Plagiatsjägers geraten. Ein Schelm, der Arges dabei denkt. Man sollte die Dinge dennoch beim Namen nennen. Ein mediengeiler und selbstherrlicher Möchtegernaufklärer spielt Sittenwächter und bekommt für sein verschrobenes Ego und seine „Recherchen“ eine Bühne bereitet. Auf dieser Bühne wird nach der Bundestagswahl das Licht der Scheinwerfer deutlich abnehmen. Für die Grünen und Frau Baerbock allerdings zu spät. Die raufen dann längst mit Armin Laschet am Kabinettstisch um Windräder und vegane Schnitzel. Aber eben als Kellner und nicht als Koch. Ob am Regierungstisch dann eine Vizekanzlerin Baerbock oder ein Vizekanzler Habeck sitzt, ist die vielleicht letzte halbspannende Frage eines lauen Wahlkampfes. Dieser Kampf um Wähler ist schon jetzt auf Nebenkriegsschauplätzen der persönlichen Ebene zu verorten und blendet die wichtigen Gesellschafts- und Zukunftsthemen einfach mehr und mehr aus.

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