Gesellschaft

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Was weht nun für ein Wind über dem Land? Der Wind ewiger Beständigkeit oder jener der Veränderung. Wird er die alten Banner schlaff am Mast lassen und neue straffen oder bleibt alles beim Alten? Gab es große Momente im Wahlkampf, tiefgreifende Auseinandersetzungen um Themen, Inhalte und Konzepte? Dazu der WDR-Journalist Georg Restle: „Ein Wahlkampf geht zu Ende. Ein Wahlkampf, der vermutlich darüber entschieden wird, dass Laschet lachte, Baerbock schummelte und Scholz erstarrte. Aber nicht über die besseren Konzepte zu Klimawandel, Mobilität, Digitalisierung, Altersvorsorge. Mediale Selbstkritik angesagt.“ Zur politischen Wetterlage wird jetzt der Wähler konsultiert. Es ist sehr bedauerlich, dass nicht schon mit 16 Jahren an der Bundestagswahl teilgenommen und gewählt werden darf. Ausgerechnet die Generation, die für die Zukunft wichtig ist, sich seit geraumer Zeit gesellschaftlich für die natürlichen Ressourcen, das Klima und die Umwelt engagiert, kann sich nicht einbringen. Wenn 80-jährige Abgeordnete im Bundestag Gesetze behandeln und verabschieden, die existenzielle Auswirkungen auf die nächsten Jahrzehnte und Generationen haben, sollten 16-jährige auch wählen können. Grüne, Die Linke, SPD und FDP treten für das Wahlrecht ab 16 ein, CDU und AfD sträuben sich dagegen. Wenn die „Fridays for Future“ Generation eines Tages die 18 Jahre erreicht und wählen darf, sollte sie sich daran erinnern.

Engagierte Jugend (Foto: Dominic Wunderlich auf Pixabay)

Seines Glückes Schmied sollte man in Sachen Wahl unbedingt selber sein. Die mit Empfehlungen und Rat daherkommen, verfolgen meistens eigene oder andere Ziele. Zuerst die Gaukler der Meinungsforschungsinstitute, deren Glaskugel die letzten Monate rotierte. Kaffeesatzleserei wird als Wissenschaft verkauft. Sie werden mit der Sonntag 18-Uhr-Prognose wieder zur Hochform auflaufen. Dann hören wir solche Sätze: „Gegenüber den Umfragen der letzten Tage hat sich natürlich noch einmal einiges verändert. Es gibt jetzt verschiedene Möglichkeiten. Aber wir sollten erst mal die Hochrechnungen abwarten.“ Damit werden alle Irrtümer weggewischt. Dann tritt von den Hunderten Ergebnisvarianten, die man uns die letzten Monate um die Ohren gehauen hat, eine annähernd ein und wird sofort als Beleg geführt, wie treffsicher man doch wieder war. Mit dem Wahlabend wird auch die schreckliche Kommentar- und Parolensprache unaufhaltsam über uns kommen. „Klatsche“, „Denkzettel“, „Quittung“, „Schwampel“, „Ohrfeige“, „Desaster“, „abgestraft“, „Erdrutschsieg“, „Sensation“ und noch vieles mehr wird uns da entgegenbrabbeln. Zuvor müssen wir allerdings unsere Kreuze machen oder tragen, je nach Sichtweise. Falls nicht schon vorab per Briefwahl erledigt. Was und wen soll man nun um alles in der Welt wählen? Antwort lässt sich kaum liefern. Schauen wir uns um.

Wer an Verschwörungstheorien glaubt, braunes Gesülze schätzt, die Nazizeit und 50 Millionen Weltkriegstote als Vogelschiss ansieht, den Klimawandel leugnet und Impfen für Gängelei des Staates hält, deutsches Liedgut anpreist, aber kein Gedicht kennt, der ist bei der AfD daheim. Die Programmatik der AfD kommt ohne Sozialpolitik aus und ist blanker Neoliberalismus, fast schon Marke Manchester-Kapitalismus. Für klar denkende Erdenbürger ist diese Partei, falls sie es einmal war, nicht wählbar, sie hat es längst braun und dumm verspielt. Aber bekanntermaßen denken ja nicht alle Menschen klar. Schauen wir weiter. Das neoliberale Welt- und Gesellschaftsbild tragen auch andere vor sich her. Leute, die Kamin und Zigarre mit Geld anzünden, Steuererleichterungen für Millionäre und Milliardäre schätzen und die Rettung des Planeten dem Markt überlassen möchten, dabei den Neoliberalismus für menschfreundlich und sozial ausgewogen halten, müssen ihr Kreuz unbedingt bei den Marktradikalen der FDP machen. Tut man dieses, bekommt man obendrauf als Belohnung noch Wolfgang Kubicki und dessen Sottisen. Wenn das kein Anreiz.

Geld und Markt regeln den Neoliberalen die Welt. (Collage: Gerd Altmann auf Pixabay)

Manch Torheit bietet Die Linke. Auf erbärmliche 5 Prozent-Nähe geschrumpft, glaubt sie an ein linkes Regierungsmodell. Naive Vorstellung. Ihre eigentliche Aufgabe im Osten hat sie kläglich vergeigt und borniert verspielt. In den neuen Ländern ihre Stammwähler schändlich an die AfD verloren und zu deren Rückgewinnung keinerlei Beitrag leisten können. Tolle Bilanz. Die Bastion Ost hat man aufgegeben, um im Westen zu reüssieren. Dabei kamen aus dem Westen dann mehr Sektierer als Wählerstimmen. Die Vorsitzenden der Linken, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow kennen nur Insider. Wo sich der Mitspitzenkandidat Dietmar Bartsch im Wahlkampf aufhielt, wird wohl dessen Geheimnis bleiben. So kennen die Leute weiterhin nur den einen. Mit einer Stimme für Die Linke verschafft man diesem politischen Rücktrittsweltmeister Gregor Gysi nochmals eine Bühne. Wem es um Gysis rhetorisches Entertainment im Bundestag geht, der könnte sich dieses mit einem Kreuz bei der Linkspartei bestellen. Die Linke mit ihrem Anspruch auf Zukunftstauglichkeit sollte eventuell über neue Hüte an der politischen Garderobe nachdenken. Doch Gysi wird natürlich als Lebensversicherung gebraucht. Rutscht man unter die 5 Prozent-Hürde, muss auch sein Direktmandat der schlaffen und zerstrittenen Partei in den Bundestag helfen.

Die Konservativen und ihre Medienkohorten haben dieser zahnlosen Linkspartei erneut den roten Teufel in die Tasche geschoben, womit eher auf die SPD und Scholz gezielt werden sollte. In Deutschland so zu tun, als würde die Linkspartei Befehle aus dem Politbüro der KPdSU erhalten, funktioniert bei Ewiggestrigen immer noch. Da solche weiter ein starker Teil in unserer Gesellschaft war diese Unionskampagne als letzter Rettungsanker gerissen angelegt, brachte sicher Zugewinn. Das von der Rechten geschürte Ressentiment bleibt hierzulande immer salonfähig. Der Grünen Annalena Baerbock muss man übrigens bei allen Schwächen eines zugutehalten. Sie hat die unsägliche Gleichstellung der Linkspartei mit der AfD nicht mitgemacht, dies auch öffentlich gesagt. Die Konservativen haben da natürlich keine Skrupel, ist diese Gleichsetzung doch ihre Erfindung. Die SPD hat dazu wie immer geschwiegen und geschwurbelt. Bloß nicht Farbe bekennen. Die einst stolze Partei von Bebel und Brandt so furchtsam wie Krämerseelen und Spießer.

Die Qual der Wahl. (Foto: Alex Fox auf Pixabay)

Die CSU dürfen nur Bayern wählen. Das Ergebnis in Sachen Beliebtheit des angeblichen „Kanzlerkandidaten der Herzen“ ein Testlauf. Jener wird am Wahlabend in Berlin sein. Da kann man dann auf Markus Söder setzen, der einen Sieg natürlich für sich verbuchen, bei einer Niederlage Armin Laschet nicht mehr kennen wird. Wer rückwärtsgewandte alte Männer ohne Zukunftsvision (Schäuble, Bouffier, Merz) weiterhin auf die Fragen der Gegenwart loslassen möchte und das Land in ihren Händen sehen, der sollte sich nicht von Armin Laschet schrecken lassen und unbedingt bei der CDU bleiben. Laschet hat viel Spott und Häme auf sich gezogen. Darin soll hier nicht gerührt werden. Wird er Kanzler, wird alles vergessen. Verpasst er den Macht- und Postenerhalt für die CDU/CSU, wird man ihm ein Scherbengericht bereiten. Da kann er einem fast leidtun. Deutschland ist immer noch ein CDU-Staat, ein Sieg dieser Partei also weiterhin nicht unmöglich, egal was geschrieben und gesagt wird. Armin Laschet weiß darum und setzt darauf. Worauf sollte er sonst noch setzen? Mag es auch abseitig klingen. Ein Verdienst bleibt bei Laschet und darf nicht gering geschätzt werden. Er hat mit seinem Sieg im Kampf um den Parteivorsitz den Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz verhindert. Ein Segen für das Land. Ein Segen für Laschet sollte sein auserkorener Politikpartner Jens Spahn werden, der sich allerdings rechtzeitig in die Büsche geschlagen und in Sachen Laschet nicht mehr zu sehen oder zu hören war. Freund, Feind, Parteifreund.

Staunen über die SPD. Einheitlicher Auftritt, keine Querelen, keine Querschüsse und keinerlei nach draußen getragener Zoff. Selbst die politischen Altleichen schwiegen. Man traute seinen Ohren und Augen nicht, zumal wenn man an die Chaoszeit des irrlichternden Sigmar Gabriel denkt. Dazu erwählt die SPD noch einen Kanzlerkandidaten, der genau in dieses Merkel-Abdankungsjahr passt. Über jenen Olaf Scholz wird auf keinen Fall ein Scherbengericht kommen. Als Verlierer mit gutem Ergebnis wird er dennoch keine große Zukunft in der SPD haben wollen. So er doch gewinnt, wird er deren Richtung deutlich bestimmen. Wer bei der SPD sein Kreuz macht, könnte Merkels Geist behalten. Für viele durchaus Grund, bei dieser Wahl auf Scholz zu setzen. Komische Wendung innerhalb der politischen Gesäßgeografie des Landes. Scholz konnte im Wahlkampf besser schweigen als seine Mitbewerberin und sein Mitbewerber. Ein klarer Vorteil, der ihn in die Pole-Position brachte. Natürlich hat er den Staatsmann drauf, ohne damit anzugeben, darin durchaus elegant und geübt mit hanseatischer Zurückhaltung. Auf nationalem wie internationalem Parkett wirkt er politisch trittsicher. Nicht ganz unwichtig. Was man final bekommt, weiß man bei ihm nicht wirklich. Einen Sozialdemokraten im Kanzleramt, einen Schröder, Merkel II, den neoliberalen Scholz oder den engagierten Arbeitnehmeranwalt Scholz? Sein Geheimnis hat er gewahrt. Ob mit dem Wahltag die Auflösung dämmert? Niemand weiß es. Wer sein Kreuz bei der SPD macht, der spielt auch ein bisschen Lotto. Alles ohne Gewähr.

Schwarz? Rot? Grün? Glück ist flüchtig wie der Wähler. (Foto: gambling-2001128_640)

Die Grünen sollten ebenfalls ein Geheimnis lüften. Warum Annalena Baerbock? Diese machte den Fehler anzutreten, nicht von sich aus laut das deutliche Nein in die Runde zu rufen. Zu verlockend das Kanzleramt, welches ihr Medien und deren Glaskugeldeuter suggerierten. Sie und die Grünen tappten in die Falle. Baerbocks Überforderung und das dünner werdende Nervenkostüm wurden zu oft deutlich. Wohl war. Allerdings gingen viele Medienvertreter und Redaktionen fast hasserfüllt mit dieser Kandidatin um, weil sie eine Frau. An sie wurden immer höhere Anforderungen gestellt als an Laschet oder Scholz. In den drei Triell war sie besser als die Kaffeesatzleser aus den „Umfrageinstituten“ sie danach bewerteten und dafür mediale Schützenhilfe bekamen. Einige männliche Journalisten hatten bei der Arbeit offenbar öfter mit den Hormonen zu kämpfen als mit dem Verstand, was man ihrer herabsetzenden und peinlichen Schreibe anmerkte. Solche Erkenntnisse helfen Annalena Baerbock nicht mehr. Mitleid tröstet da wenig, ist auch keine Kategorie in der Politik. Die große Chance der Grünen längst verspielt. Dennoch ist es immer noch sehr wahrscheinlich, dass Annalena Baerbock und die Grünen den stärksten Zugewinn aller Parteien verzeichnen werden. Da von Niederlage reden, klingt arg daneben. Wäre nicht dieser unsinnige Kanzlertraum gewesen, täte dies in der Wahlnacht auch keiner. Aber dieser falsche Traum. Wer sein Kreuz bei den Grünen macht, der kann auf diesem Umweg durchaus eine Regierung Laschet, Spahn, Merz, Lindner bekommen und einen grünen Umweltminister nebst einer Bundespräsidentin Göring-Eckardt. Die Grünen als Belag im CDU/CSU-FDP Sandwich. Welch eine spärliche Ausbeute.

Was „Sonstige“ tun und machen oder wollen, ist hier nicht zu beschreiben. Schwamm drüber. Bleiben die Nichtwähler. Sie werden am Wahlabend den größten Balken liefern, der aber in keiner der flimmernden Supergrafiken und tollen Animationen erscheint. An dieser Stelle konnte nun also nicht wirklich geraten oder gar geholfen werden. Sorry. Richten Sie sich bitte daher die Welt besser nach eigener Erkenntnis. Gute Wahl und ein schönes Wochenende.

*Titelbild: nvodicka auf Pixabay

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