Gesellschaft

Aufrecht ins Ziel

Der Große Zapfenstreich wirkt etwas antiquiert, muss nicht jedermanns/jedefraus Sache sein. Zu militärischen Paradeterminen bedarf es vielleicht doch einer Königin und alter Uniformen, die beide Geschichte atmen. Somit ist London als Ort solcher Zeremonien wohl der geeignetste Platz dieser Welt. Wir haben keine Königin und mit alten Uniformem gäbe es hier sofort verbales Theater zwischen Politik, Feuilleton- und Sportseiten. Wer zwei Weltkriege angezettelt und üble Dinge getan, sollte sich mit tschingderassabum sowieso etwas zurückhalten. Alles in allem ist uns diese Zurückhaltung ja ordentlich gelungen. Die jährliche Siegesparade in Moskau, die französischen Truppen am 14. Juli vor ihrem Präsidenten auf der Avenue des Champs-Élysées sind sowieso nicht zu toppen. Von London und der Königin redeten wir schon. Deren Geburtstagsparade Trooping the Colour setzt romantisch auf Pferde, während man in Paris und Moskau auch mal eine fahrbare Atomrakete bestaunen darf. Die Briten haben auch Atomraketen, doch mit so profanem Blech muss die Königin sich nicht dicke machen, sie hat eine Kutsche. Genug von den Nachbarn. Schauen wir wieder ins heimische Stübchen. Was wir am Wachbataillon der Bundeswehr haben, ist ordentlich und ein Stück zivil, trotz Uniform, Blech und Schießgewehr. Dafür muss man sich nicht schämen, die paradierenden und musizierenden Soldaten machen einen guten Job. Der Geehrten, der bald Ex-Kanzlerin Angela Merkel, scheint es gefallen zu haben. Vor, während und nach dem Großen Zapfenstreich, wie in den letzten Wochen weltweit, hat man dieser Frau tonnenweise Lorbeerkränze gebunden. Da muss ihr ganz schwindelig geworden sein. Merkel wird damit umgehen können, wie sie immer mit allem umgehen konnte. Lobhudelei scheint sie so kaltzulassen wie gleißender Zorn. Unter anderem mit solcher Stärke hält man sich über anderthalb Jahrzehnte im Amt.

Zeichen der Merkel-Jahre. Symbol einer Ära. (Bild: akitada31 auf Pixabay)

Im Abschied bewies Merkel ihre Art Größe selbst denen gegenüber, die sie oder/und ihre Politik nicht mochten. In Harmonie geht sie vom Hof. Bevor und während Helmut Schmidt Elder Statesman wurde und war, verachtete er seinen Nachfolger Helmut Kohl, behielt aber Disziplin und Fassung. Dieser Kohl wiederum polterte nach seiner Abwahl wie ein gekränkter Monarch durch die Hauptstadt. Nicht mehr Kanzler zu sein war für ihn bis ans Ende seiner Tage Majestätsbeleidigung. Seinen Nachfolger Gerhard Schröder verachtete er wohl noch mehr als Schmidt ihn. Schröder polterte auch. Allerdings nur in einer TV-Runde. Dann war es politisch mit ihm vorbei und er wurde Lobbyist. Einer der schamlosen Sorte. Auch der alte Adenauer konnte es nicht lassen, mobbte seinen Nachfolger Ludwig Erhard, der nie wusste, wie ihm geschah und verbittert wie unrühmlich von den eigenen Truppen weggejagt wurde. Kurt Georg Kiesinger, der sich als Kanzler von oben berufen sah, verließ das Amt wie ein vom Hof gefegter Großfürst, der frühere SZ-Journalist Hans Ulrich Kempski drückte es so aus: „Er (Kiesinger) hat es als einen Vertreibungsakt angesehen.“ Selbst der einzig geliebte Kanzler, „Willy wählen“, fiel in ein tiefes Loch, zu schmachvoll kam ihm die Art des Abganges vor. Über einen DDR-Spion zu stolpern, musste für einen Kanzler der Aussöhnung mit dem Osten nun wirklich der lebendig gewordene Albtraum sein. Brandt fiel in eine seiner Depressionen, fing sich und machte dann politisch weiter. Dabei blieb er der große Staatsmann und ein weltweit geachteter und gefragter Ratgeber und Menschenfreund. Das unrühmliche Ende der Kanzlerschaft machte ihm dennoch immer mal wieder zu schaffen.

Lächeln und Tschüs. (ZDF-Screenshot)

So gesehen hat Angela Merkel etwas Neues vollbracht, einen würdevollen Ab- und Übergang. Was einst mit dem Gedröhne und Poltern von Schröder begann, endete eher still, trotz militärischer Pauken und Trompeten, an einem kühlen Abend. Der letzte Akt nächste Woche im Bundestag und im Kanzleramt, dann Tschüs und Ruhestand. Vorher stellte sie noch in nüchterner Selbstverständlichkeit ihren Nachfolger auf dem politischen Weltparkett vor. Gedröhne machte sie darum nicht. Über die Ära Merkel, ihre Politik und Person wird sich gerade weltweit wund geschrieben. Bald und künftig wird es unendliche Publikationen dazu geben. Wobei man sich gut vorstellen kann, Merkel wird einfach schweigen und auch als Pensionärin nicht den Drang verspüren, in die Reihen der Wichtigmacher oder peinlichen Politrentner zu gleiten. In die Drängelei der wenigen Berufenen und so vieler Unberufener zum Thema Merkel muss man sich weder jetzt noch später einreihen. Nach 16 Jahren kann und sollte sich jeder mündige und denkende Mensch selbst ein Bild machen können und wird dieses auch tun. Viele werden ein Licht- und Schattenfazit ziehen, den Stab nur wenige brechen. Heute gilt es einfach nur Chapeau Richtung Angela Merkel für das gelungene Endspielverhalten zu bekunden, wo vor ihr so viele gewackelt oder versagt haben. Der Große Zapfenstreich passte dazu. Keinerlei Weinerlichkeit. Die Träne im Knopfloch eines Gerhard Schröder bei „My Way“, die bei diesem Zyniker der Macht sowieso deplatziert wirkte, wäre Merkel nicht im Traum eingefallen. Kontrolle und Beherrschtheit bleiben bis zum Schluss die Begleiter ihres Amtsverständnisses. Darin ist sie Helmut Schmidt und dessen nüchterner Leidenschaft zur praktischen Vernunft sehr ähnlich.

Am Abend des Großen Zapfenstreiches gab es nur einen Schatten. Der übertragende Sender ZDF hätte der Moderation Bettina Schausten, immerhin stellvertretende Chefredakteurin des Senders, einfach den Wert des Schweigens vermitteln sollen. Selten ist in so kurzer Zeit so viel verquatscht und unnütz geplappert worden. Solch plumpe Gschaftlhuberei hat natürlich überhaupt nichts mit Angela Merkel zu tun, von der Frau Schausten nicht nur für diesen Abend viel hätte lernen können. Angela Merkel soll von dieser Stelle hier alles Gute für ihre persönliche Zukunft gewünscht werden.

*Titelbild: Screenshot aus ZDF-Übertragung „Großer Zapfenstreich für Angela Merkel“

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