Gesellschaft

Ball und Politik

Der diplomatische Korrespondent der Chefredaktion des Tagesspiegels fabuliert in einem Beitrag über Politik, die aus seiner Sicht nichts in Fußballstadien zu suchen. Viele wohlfeile Argumente werden aneinandergereiht, man ist eben diplomatischer Korrespondent. Als hätte sich die Politik nicht längst eingenistet in den Fußballarenen dieser Welt. Die reale Fußballwelt als Resonanzboden politischer Propaganda ist dem guten Mann anscheinend entgangen. Bevor er den Granden der UEFA freundlich an die Seite tritt, hätte er sich diese Leute und deren Welt genauer ansehen sollen. Sponsor der EM übrigens Qatar Airways, natürlich unpolitisch. Das unpolitische Fußballfeld, welches der Autor Marshall verteidigen möchte, ist längst mausetot. Es war wohl nie unter uns, eher eine Mär. Demokratisch legitimierte Politiker sitzen gerne auf Ehrentribünen, nutzen Siege und Titel zum Gang in die Kabine, pushen darüber werbewirksame Bilder, die beim Wähler ankommen sollen. Da macht ein französischer Präsident, ein spanischer Ministerpräsident oder ein deutscher Kanzler keinen Unterschied. Eben Politik. Wesentlich schlimmer sind die auf den Ehrentribünen sitzenden Diktatoren, die sich Turniere kaufen können und denen der Fußball über Vereine, Turniere und Verbände inzwischen in weiten Teilen gehört. Ausgeliefert von denen, die als Funktionäre die Plätze neben den Diktatoren wärmen und die große Erzählung vom unpolitischen Fußball verbreiten, die schon bei oberflächlicher Betrachtung als große Lüge daherkommt.

Besonders arabische Potentaten haben den Sport und speziell das Massenspektakel Fußball ausgewählt und mit ihren Ölmilliarden vielfach gekauft. Sie waschen sich damit in Pontius Pilatus Manier ihre Hände in Unschuld. Über die vorgebliche Liebe zum Sportspektakel gaukeln sie uns die Segnungen einer friedfertigen und weltoffenen Regentschaft vor. Wer ihnen politisch, sexuell und gesellschaftlich in ihrem Machtbereich nicht passt, den hängen sie ab und an auch mal auf. Wer ihre Stadien baut, kann unter der Knute der dort herrschenden Sklavenarbeit leicht den Baustellentod finden. So sehen sie aus, die wahren und ach so unpolitischen Herrscher des Fußballs. Dieses hat Herr Marshall in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen irgendwie ausgeblendet. Außerdem sieht er eine Gefahr in der Gegenreaktion. So man für progressive und positive politische Argumente streitet, muss man dann auch die offensive Antwort derer aushalten, die rückwärtsgewandt oder anderer Meinung. Aber ja doch. Nur zu. Natürlich müssen Demokraten so etwas aushalten. Wer auf den Grundsätzen der Französischen Revolution, der kantschen Aufklärung oder gar auf den ersten Artikel unseres Grundgesetzes baut und die Würde des Menschen tatsächlich für unantastbar hält, der darf nicht schweigen, weil er Furcht vor dem Ungeist hat.

Neville Chamberlain wollte einst Adolf Hitler auf dessen Berghof nicht verprellen, den Diktator bloß nicht in die Schranken weisen. Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt. Weil wir gerade bei einem Engländer sind. Englische Fußballspieler protestieren vor Spielen regelmäßig gegen Rassismus in den Stadien. Sie sind unmittelbar Betroffene. Der Guardian veröffentliche unlängst einen Beitrag über die unsäglichen und rassistischen Hassattacken in der Social Media Blase, denen viele englische Spieler persönlich ausgesetzt sind. Dieses sich auch im Stadion und vor Spielen öffentlich zur Wehr setzen, ist eine verständliche menschliche Reaktion und eine politische. Stilzuhalten und den Rassisten damit noch einen Triumph verschaffen, wäre die falsche und feige Antwort. Eine Funktionärsantwort. Der englische Nationalspieler Marcus Rashford, 23-jähriger Stürmer von Manchester United, wurde aus Empörung politisch. Als die reaktionäre Tory-Regierung des Boris Johnson Kindern die Schulspeisung in Ferienzeiten einfach verweigerte, zwang Rashford mit seiner Popularität und der Popularität des Fußballs den darüber lachenden Premierminister in die Knie. Die oppositionelle Labour Party war dazu nicht in der Lage. Johnsons sozialer Zynismus zerschellte am Engagement dieses Fußballers. Hier wurde soziales Engagement zum landesweiten Politikum.

Fußballer und politische oder gesellschaftliche Statements können natürlich immer problematisch daherkommen und müssen auch hinterfragt werden. Besonders hierzulande gilt es genauer hinzuschauen. Fußballer und Funktionäre trauern um einen Mitspieler, der sich das Leben nahm und schwören dabei eine sofortige Änderung in Ton und Umgang. Es geht zu Herzen und dann direkt in die Luft. Am entwürdigenden Ton des Profifußballs änderte sich nämlich nichts. Die Spieler tragen auch die Regenbogenzeichen der LGBT-Gemeinde, gehören aber ohne Skrupel einer Branche an, die sogar Agenturen beschäftigt, damit schwule Spieler eine Vorzeigefrau für die Weihnachtsfeier und öffentliche Anlässe zugeteilt bekommen. Anderntags ziehen sie sich auch noch medienwirksam Menschrechtstrikots über, verkehren aber in den Sommermonaten gern in den arabischen Trainingslagern vor den Füßen der Diktatoren und machen eine brave Verbeugung, so die Potentaten vorbeischauen. Geht es in unserem Land um wirklich heiße Gesellschaftsthemen völlig abseits von PR-Aktionen und eine echtes Farbe bekennen, ist von den Fußballern nichts mehr zu sehen oder zu hören. Diese tummeln sich lieber in ihrer Wohlstandsblase. Die Beispiele ließen sich fortführen. Ein Großteil der Profifußballer hat sich in dieser Doppelmoral gut eingerichtet. Sie sollten, bevor sie sich der nächsten Lichterkette anschließen, vielleicht einmal im eigenen Haus kehren. Eine längst überfällige Bereinigung und ein starkes Zeichen. Sonst bleibt es bei plakativen Aktionismus mit schalem Beigeschmack. Manchmal ist Haltung gefragt.

Die Vorstellung, das Geschehen auf dem Rasen und die Begleitmusik auf den Rängen sei heutzutage losgelöst von aller Unbill dieser Welt ist nicht mehr zeitgemäß. Längst greifen Kommerz, Gier, Machtspiele und vielfältige Interessen direkt und schamlos nach dem Spiel und seinen Akteuren. Nichts davon ist unpolitisch. In einer interessanten Studie aus dem Jahr 2018 „Ersatzspielfelder: Zum Verhältnis von Fußball und Macht“ (Suhrkamp-Verlag) kommt der Politikwissenschaftler Timm Beichelt zu folgender Erkenntnis: „Der Neoliberalismus mit seiner stetigen Gewinnmaximierung ist für die heutige Situation des Profifußballs verantwortlich.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

 

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