Gesellschaft

Bürgerliches Lager

Aktuell wird es wieder aufgetischt, das Märchen vom bürgerlichen Lager, den bürgerlichen Parteien und der bürgerlichen Gesellschaft. Selbst der Spiegel ist davor nicht ganz gefeit. Im „Wahl-Spezial“ war zu lesen: „Schmiedet Giffey eine bürgerliche Koalition?“ Damit ist im deutschen Denk- und Sprachuniversum immer ein Bündnis mit Beteiligung von CDU und FDP gemeint. So sie es mit selbiger CDU und FDP schließt darf auch die SPD unter das Dach „bürgerlich“. Nur dann. Wagt sie andere Modelle wird ihr diese „Ehre“ entzogen und sie ist Teil einer Linkskoalition. Soll „bürgerlich“ hierzulande aufwerten, so ist „Linkskoalition“ immer mit Abwertung und Untergang des Vaterlandes verbunden. Dieses denunziatorische Element ist natürlich auf dem Acker des bürgerlichen Lagers und ihrer Medien gewachsen.

Schauen wir deshalb doch einfach auf diese angeblich edle Machart „bürgerlich“, die in Wahrheit eher Propaganda. Der Begriff „bürgerliches Lager“ ist ein Kampfbegriff aus den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts, der beitragen sollte, die große SPD und die KPD, die Vertreter der damals noch millionenfachen Arbeiterklasse von der Macht fernzuhalten. Ein Ziel, welches die deutsche Hochfinanz akribisch verfolgte und darum Adolf Hitler salon- und zahlungsfähig machte. Das bürgerliche Lager und Adolf Nazi fanden dann schnell zusammen. Falls sich jemand nicht erinnert. Als Hitler im März 1933 sein Ermächtigungsgesetz durch den Reichstag peitschte, standen an seiner Seite die Bürgerlichen, die für die Demokratie keinen Finger rührten, die Hand aber für den Diktator hoben, um diese Demokratie zu begraben. Sozialdemokraten stimmten mutig dagegen und bezahlten diesen Kampf für die Demokratie oftmals mit ihrem Leben. Kommunisten waren da schon verboten, ausgeschlossen, im Konzentrationslager oder längst totgeschlagen.

Bürgerliches Lager. Mehr Märchen als Realität. (Bild: Nick fang auf Pixabay)

Der Begriff des bürgerlichen Lagers überlebte schadlos das Nazireich und wurde nun als Teil einer bundesrepublikanischen Erzählung erneut unters Volk gebracht. Als dann aus den Trümmern des Deutschen Reiches mithilfe des Marshallplanes das Wirtschaftswunder gebaut wurde, drängten sich wieder die angeblich Bürgerlichen in die erste Reihe. Ihre Parteien hießen nun FDP und CDU. Alte Naziverstrickungen waren in der neuen Bundesrepublik nicht hinderlich. Im Gegenteil. Als altes NSDAP Mitglied oder gar als NS Täter hatte man in der bürgerlichen Gesellschaft beste Chancen, konnte Kanzler (Kurt Georg Kiesinger) werden, Ministerpräsident (Hans Filbinger), Deutschland vom Kanzleramt aus regieren (Hans Globke), in Gerichten Urteile fällen (Willi Geiger), die Wirtschaft beherrschen (Friedrich Flick) und die Bundeswehr aufbauen (Josef Kammhuber). Diese Sorte bürgerliches Lager, gehörte sofort wieder der Elite des von ihnen gebauten Staates an. Diese „Ehrenmänner“ ließen es im Land braun riechen, zeigten aber mit dem bürgerlichen Finger auf Sozis und Kommunisten. Eben auf diese unbürgerlichen und vaterlandslosen Gesellen. Partei dieser „guten Bürger“, die mit dem C im Namen.

Die Bürgerlichen gingen mächtig ans Werk, sich ihren Staat nach ihrem Bilde zu formen. Im Verlauf bundesrepublikanischer Geschichte stets vorne dabei. Nur einige Beispiele. Die FDP-Minister Friedrichs und Lambsdorff mit ihren Verstrickungen in der Flick-Affäre, zwei Herrschaften, die als Säulen der Bürgerlichkeit durchs Land marschierten. Dann die Koffer in der Spendenaffäre der CDU, Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, der Waffenhändler Schreiber, alles versammelt im Hort bürgerlicher Seriosität. Wir können auch auf aktuelle Geschehnisse blicken. Die Fabel von den Bürgerlichen, die als einzige – im Gegensatz zu den bösen Sozen – mit Geld umgehen können, ist nämlich ebenfalls eine dicke Lüge aus dem bürgerlichen Lager. Die Minister von der Leyen und Kramp-Karrenbauer im Verteidigungsministerium und der Verkehrsminister Scheuer haben ja eindrucksvoll bewiesen „wie gut“ Bürgerliche mit öffentlichem Geld umgehen können. Eine Geldverschwendung von historischem Ausmaß pflastert ihren Weg. Oder denken wir an Maskendeals und Provisionszahlungen oder unredliche Lobbykontakte. Nicht linke Sektierer wurden da entlarvt oder Anarchisten, die dann zurücktreten mussten. Die Betroffenen kamen allesamt aus dem bürgerlichen Lager. Im politischen Alltag ebenfalls sehr gerne „politische Mitte“ genannt, was dann als besonders honorig, wählbar und staatstragend gilt.

Maskendeals von Teilen des bürgerlichen Lagers. (Foto: Wilfried Pohnke auf Pixabay)

Ein besonderes Prachtexemplar biederer Bürgerlichkeit, aus der tiefen Mitte des Bürgertums, dort groß geworden und verankert, zitiert gerne Humboldt, Clausewitz, Fontane und Bismarck, dabei sein deutsches Bildungsgut immer zur Hand. Sein Name Alexander Gauland. Was er redet, schreibt, propagiert und tut, ist allseits bekannt. Seine bürgerlichen Mitstreiter haben vor nicht allzu langer Zeit einen FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen mithilfe seiner AfD gewählt und es als Sieg des bürgerlichen Lagers deutschlandweit verkauft. Wer in diesen Gesang des bürgerlichen Lagers alles einstimmte, lässt sich jederzeit nachlesen. Einige würden ihre klammheimliche und öffentliche Freude darüber gerne wegwaschen, werden diesen braunen Fleck auf der bürgerlichen Weste allerdings nur schwer los. Hiermit soll der Blick auf die Realität der Bürgerlichkeit auch enden. Wem also das Märchen vom bürgerlichen Lager mal wieder in den Ohren klingt, sollte diesen Sirenen nicht erliegen, ohne vorher wenigstens darüber nachzudenken.

*Titelbild: Gerd Altmann auf Pixabay 

 

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