Gesellschaft

Der Mann, der lächelte*

*Für alle Plagiatsjäger = es handelt sich hierbei in der Tat um einen Romantitel von Henning Mankell (Übrigens ein lesenswertes Buch, ein ausgezeichneter Krimi aus der Wallander-Reihe.)

„Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, aber die Verantwortung, die man in solchem Amt zu tragen hat, die drückt ganz gewaltig. Es mag rheinische Frohnaturen geben, die nicht ganz so davon bedrückt werden.“ (Helmut Schmidt 1986 in einer NDR Talkshow über das Amt des Bundeskanzlers.)

Was der damalige Altkanzler und Herausgeber der Wochenzeitung Zeit da als ironischen Pfeil gegen seinen von ihm im wesentlichen verachteten Nachfolger Helmut Kohl abschoss, könnte aktuell nicht besser formuliert in Richtung eines Mannes gehen, den der Guardian am 9. Juli 2021 „Cheerful Rhinelander“ bezeichnete. Flugs sind wir beim Bundeskanzler in spe. Armin Laschet hat nun also gelacht im Angesicht von Katastrophe, Tod und Verwüstung. Der Mann ist Karnevalist, die lachen selbst über Dinge, die kein Mensch auf diesem Planeten lustig findet. Dies nicht zu seiner Verteidigung, eher als Versuch des Verstehens. Ein gewisses Maß an Empathie- und Taktlosigkeit mögen empören, dennoch hat die Welt und das Land andere und schwerwiegendere Probleme. In Deutschland sieht vor allem die veröffentlichte Meinung dieses aber völlig anders. Sie hat nun zu Südthüringens Maaßen, Wagenknechts Ansichten, Baerbocks getüfteltem Buch auch das Lachen am falschen Ort des Armin Laschet und kann damit trefflich die Gemüter bewegen. So etwas trägt. Manchmal auf.

Wichtiger als jeder Lachsack ist doch die Frage nach Verantwortung. In Sachen Hochwasserkatastrophe liegen Fragen auf der Hand, die journalistisch gestellt werden sollten. Das europäische Hochwasser-Warnsystem (Efas), so meldete es zumindest die Londoner Times, soll vier Tage vor der Katastrophe eine präzise Warnung an die Regierungen in Belgien und vor allem in Deutschland gegeben haben. Auch die Landesregierung in NRW soll auf dem aktuellen Stand informiert worden sein. Wenn dem so war, dann hätte der NRW-Ministerpräsident einige Fragen zu beantworten, die man ihm allerdings auch stellen muss. Wo wir schon in NRW sind. Was war mit der riesigen Kiesgrube von Erfstadt/Blessem, die offensichtlich zu nah am Fluss Erft? Wird es dahingehend auch eine Diskussion über die Rolle des Energiegiganten RWE geben? Solche Fragenkonstellationen sollten jedes Grinsen überlagern.

Aus der Landesregierung NRW hörte man dieser Tage allerdings wesentlich Wichtigeres. Der stellvertretende Ministerpräsident Joachim Stamp will am 3. Oktober, dem „Tag der Deutschen Einheit“, einen „Tag der Freiheit und Eigenverantwortung“ begehen, damit meint er die Abschaffung sämtlicher Corona-Maßnahmen, u. a. Abstandspflicht, Masken usw., im Land. Wenn man in Deutschland politische Unverfrorenheit im Zusammenhang mit täuschenden Begriffen des Marktliberalismus hört, dann ist die FDP in all ihrer Schamlosigkeit nicht weit. Herr Stamp ist natürlich Teil der alten Pendlerpartei. Die weiß selbstverständlich jetzt schon wie Anfang Oktober der Stand der Dinge in Sachen Corona. Wo die FDP „Eigenverantwortung“ posaunt, ist immer Vorsicht geboten. Das populistische Manöver so durchschaubar wie die Gier auf Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl.

(Bild: Pete Linforth auf Pixabay)

Im deutschen Wahlkampf also Mumpitz, Dummenfang und Nebensächlichkeiten als Verpackung. Bloß nicht schauen, was dahinter. Wozu über eine sich fatal verändernde Rentenpyramide reden, über Kinderarmut, Wohnungsnotstand, vielerorts unbezahlbare Mieten? Wozu über die Schwächen des Bildungssystems und eine explodierende Überbürokratisierung des Landes reden? Wozu über Kontroll- und Machtverlust von Staaten gegenüber Tech-Konzernen reden, deren gravierender Einfluss längst eine zusätzliche globale Bedrohung darstellt? Wozu sich mit Bevölkerungswanderungen, Bränden, Fluten und Dürren auseinandersetzen, die den Menschen weltweit zusetzen? Wozu nach Antworten auf eine Klimakatastrophe suchen, die nicht mehr aufhaltbar und existenzielle Fragen aufwirft, wie man sich vor genau solcher Art Katastrophen besser schützen kann? Wozu das alles, wenn man doch so brennende Themen auf dem medialen Gabentisch findet wie lachende und schreibende Politiker?

Mittlerweile mag den denkenden Menschen ein grinsender Politiker im Angesicht des Grauens sogar lieber sein als die abgedroschenen Betroffenheitsrituale zu allen schlimmen und halbschlimmen Anlässen, die einzig den Titelseiten der Verblödungszeitung und den TV-Kameras geschuldet sind. Seit Gerhard Schröder durch Gummistiefel eine Wahl gegen den verwirrten Edmund Stoiber entschied, ist die Versuchung bei Wasser groß wie verlockend. So werden dann Schlagzeilen produziert „Laschet, Scholz, Baerbock reisen ins Katastrophengebiet“. Das Wort reisen ist hier besonders apart. Die Frage „Wem nützt es?“ stellt natürlich niemand, jedenfalls nicht öffentlich.

Wenn Politik im Katastrophengeschehen auftaucht, geht es manchmal sogar mit Empathie. Dies soll nicht unterschlagen werden. Angela Merkel und Malu Dreyer (Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz) gaben ein mitmenschliches Beispiel dafür ab. Als eine Dampfplauderin der Zeitung mit den großen Buchstaben dabei peinlich, anmaßend und störend auffiel, gab es eine beachtliche Rüge durch Merkel. Dabei noch erwähnenswert, jene Zurechtweisung ging über die sozialen Medien durchs Land. Die öffentlich-rechtlichen Gebührensender haben darüber nicht berichtet. Mit dem Verblödungsblatt will man sich nicht anlegen. Es gibt noch Ausnahmen. Gerd Appenzeller, der honorige Journalist alter Schule, hat die aktuell laufenden Attacken der Springerpresse gegen Angela Merkel öffentlich im Berliner Tagesspiegel als „schändlich und unseriös“ benannt. Es soll noch gesagt werden, Armin Laschet ist augenblicklich der Liebling des Blattes mit den großen Buchstaben. Da haben sich zwei gefunden.

Das Wasser wird zurückgehen, neue Katastrophen immer öfter unsere Landstriche treffen. Darauf gilt es Antworten zu finden und Vorbeugung zu treffen. So etwas nennt sich mancherorts Politik. Dazu gehört kein Katastrophen-Showbiz. Naturkatastrophen können nicht mehr verhindert, sie müssen gemanagt werden. Um außer Milliardären noch anderen Menschen die Rettung und das Überleben zu sichern, ist eine gigantische Anstrengung nötig. Was in Zeiten des Kalten Krieges weltweit in die Militärhaushalte geflossen, müsste längst in ähnlicher Größenordnung und Intensität in den Katastrophenschutz fließen.

(Foto: PDPhotos auf Pixabay. Panzerbeschuss ist für Feuer längst nicht mehr nötig.)

Dann könnte manch Unglück auch nicht vermieden werden, aber ein Teil der Menschheit darin überleben. Fordert man so etwas, setzt man sich natürlich dem Philipp Diktum über den Marquis Posa aus, ein sonderbarer Schwärmer zu sein. Lieber wird global weiter an einer Militärmaschinerie gebastelt, die nicht mehr gebraucht. Damit ja auch im drohenden Abgesang von Mensch und Natur im Bedarfsfall Krieg möglich bleibt, die brennenden Wälder und überfluteten Städte eines Gegners wenigstens noch erobert werden können.

Der Beitrag begann mit Helmut Schmidt, ihm soll auch das letzte Wort gehören. Einen eigenen Artikel in der Zeit überschrieb er 1987 mit den Titel „Charakter zeigt sich in der Krise“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert