Gesellschaft

Die Bastler und China

Wer Journalismus lernen will, der muss sich selber drehen und den Blick weiten. Innerhalb unserer Grenzen kann man allerdings in Sachen Medien auch etwas lernen. Nämlich, wie man Fake News bastelt. Also die Sorte Nachrichten, die genau jene Bastler verteufeln, die sie ständig selber in die Welt setzen, so sie den Interessen derer dienen, die den „Journalismus“ und die dafür angestellten Wort- und Zeilenknechte nutzen, weil bezahlen. Aktuelles Beispiel ist eine neue Entdeckung deutscher und westlicher Medien, also jener Medien, die längst schon den künftigen China-Feldzug auf der Tastatur und im Tornister. (Im Zuge dessen gibt es natürlich längst eine US-Kampagne gegen den Besuch von Bundeskanzler Scholz in China, die von deutschen Medien eilfertig verlängert und ausgebaut wird.) In Sachen Sabotage Nordstream haben unsere gängigen Medien übrigens weiter nichts entdeckt. Das Thema ist verschwunden. Nordstream, war da was? Legt man unsere heimische mediale Berichterstattung zugrunde, wie sie hierzulande Stunde um Stunde feilgeboten wird, kann die Frage mit Nein beantwortet werden. Es blubbert zwar noch in der Ostsee, aber was schert es uns. Derweil schaut man viel lieber nach China, was besonders im Interesse des Bündnispartners USA. Die hat ja China als das ganz finstere Reich der Superbösen auserkoren und ausgerufen. Da haben wir gefälligst einzustimmen.

Im Machtspiel USA vs. China hat sich auch der Bauer Deutschland zu positionieren.

In China gab es derweil einen Parteikongress in Dauerschleife, der über Tage einen Riesensaal zeigte, mit unzähligen dunklen Anzügen und meistens älteren Herren mit steinernen würdevollen Gesichtern. Die KP Chinas hatte gerufen und die Genossen standen stramm und zur Sache. Irgendwann wurde vermeldet, der schon lange allmächtige Staats- und Parteichef Xi Jinping sitzt weiter fest im Sattel und hat seine Position gefestigt und sogar ausgebaut. So ist es. War auch nicht unerwartet oder gar neu über die Welt gekommen. Dann aber doch noch etwas, was sich ausschlachten und drehen ließ. Die Bastler bekamen etwas zum Basteln. Chinas Ex-Präsident Hu Jintao, 79 Jahre, direkt neben Xi Jinping sitzend, wurde vor laufenden Kameras von seinem Platz abgeholt und aus dem Saal geführt. Da waberte der deutsche Medienschaum und blubberte wie die Blase in der Ostsee:

Hu wird aus dem Riesensaal geführt. (Screenshot: Liveübertragung AFP)

Dass der weggeführte Mann im Foto wie auf den Bewegtbildern etwas durcheinander wirkte, war offensichtlich. Es könnte durchaus eine altersbedingte Orientierungslosigkeit gewesen sein, ähnlich den Aussetzern von Joe Biden. Doch in US-Medien und deutschen Medien umgehend das Spekulationsrad auf Hochtouren. „Machtkampf“, „Xi demütigt Gegner“, „Opposition ausgeschaltet“, „Hu widersetzt sich Xi und wird abgestraft“, „Xi zeigt Gegnern seine Macht“, „Diktator Xi setzt ein brutales Zeichen“ usw., man könnte den Faden unendlich weiterziehen, es wurde genug gesponnen. Dass auch in der Großmacht China die Mächtigen keine netten Onkel voller Empathie sind, ist wahrlich anzunehmen. Da ähneln sich das Weltmachtgehabe in Washington, Peking, Moskau und Neu-Delhi. Aber Partei- und Staatschef Xi, da muss man nicht viel wissen, ist schon lange die unangefochtene Nummer eins im Riesenreich China. Mächtig wie einst Mao und so wirkungsvoll für die Geschicke des Landes wie nur noch Deng Xiaoping. Der Mann hat es schlicht nicht nötig, einen sich in Rente befindenden Vorgänger ohne Einfluss und Amt als Instrument seiner Macht zu demütigen und öffentlich „abzuführen“, wie hierzulande sofort die Tonart. Solche Kämpfe hat Xi längst hinter sich und allesamt gewonnen.

Weitere Bilder (Fotos aus der Liveübertragung des chinesischen TV. Verbreitet auch über soziale Medien.)

Hu Jintao wird – wie an jedem Kongresstag – an seinen Platz neben den Boss Xi Jinping geführt:

Hu bekommt als einziger den Stuhl angeboten:

Xi Jinping berührt Hu und signalisiert, dass dieser sich setzen könne:

Die Geschichte der Übertragungen, denen diese Standbilder entstammen, hat man uns nicht vermittelt. Hu saß nämlich den gesamten Kongress stets neben Xi. Manchmal eher abwesend wirkend. Er wurde als einziger Delegierter immer von einem oder zwei Begleitern zu seinem Platz geleitet, dabei teilweise geführt und gestützt, eben wie ein wirklich alter und orientierungsloser Mann. Xi hat ihm, was für die chinesische Unnahbarkeit selten, manchmal die Hand auf Schulter oder Arm gelegt, dem klapprigen Herrn – die Chinesen respektieren im Unterschied zu unseren Breitengraden alte Menschen – höflich signalisiert, dass er sich setzen möge. Diese Bilder muss man in den Übertragungen des chinesischen Staatsfernsehens oder den Weiten der Social Media Blase suchen. Uns wurde nur der dramatische Moment gezeigt. Wir haben auf GERADEZU schon einmal über die Methode der Weg- und Auslassungen gesprochen, die für den deutschen Journalismus unserer Zeit stilbildend. Der Leiter des ARD-Studios in Brüssel, ein Herr Markus Preiß, twitterte sofort: „Der frühere Präsident und Chef der CCP, Hu Jintao, wird beim Parteitag aus dem Raum geführt. Und Xi Jinping lässt den Abgang seines Vorgängers live im TV zeigen. Mindestens für mich: ziemlich befremdlich.“ Was wäre Herrn Preiß wohl für ein Tweet eingefallen, wenn das chinesische Staatsfernsehen in dem Moment abgeschaltet hätte? Sie basteln und legen sich die Dinge, wie es ihnen passt. Twittern können auch andere, die es lieber lassen sollten. Darin liegt, was diesen Vorgang anbelangt, sogar etwas Tröstliches und somit eine positive Botschaft, die wir nicht verschweigen wollen. Sogar ausgewiesene Trottel können es nämlich, zumal in der FDP, in unserem Land sehr weit bringen. Es kommentierte den Vorgang in China, ein Mann der FDP, deren stellvertretender Vorsitzender. Nein, diesmal nicht Wolfgang Kubicki. Johannes Vogel heißt der Schlauberger:

Keine Ahnung, womit man es bei Xi zu tun hat, man ahnt es. Wer weiß in Europa und anderswo wirklich über China und seine inneren Verhältnisse Bescheid? Niemand. Aber man ahnt leider auch, womit man es bei Herrn Johannes Vogel zu tun hat. (Für strunzdumm gibt es übrigens sogar eine Definition. „Strunzdumm bedeutet, dass eine Person unter ihren Möglichkeiten bleibt, welche ihr Klassenzugehörigkeit, Bildung und privilegierter Zugang zu Informationen erlauben.“)

So wie unten abgebildet, sieht jedenfalls im Ergebnis des Parteikongresses von Chinas Kommunisten (KP China = 95 Millionen Mitglieder) das neue Führungs-Septett aus, welches dieses Weltreich mit 1,41 Milliarden Einwohnern auf einer Fläche von 9.596.961 km² regiert. China verfügt über 2 Millionen Soldaten in der Volksbefreiungsarmee, die angeblich ausgestattet mit ca. 320 Atomsprengköpfen, welche von Land, Luft und Wasser einsatzbereit sind. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte im Jahr 2021 mit rund 17,7 Billionen US-Dollar einen neuen Rekordwert. Für 2022 wird das BIP aktuell auf 20,3 Billionen US-Dollar prognostiziert. China ist ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und verfügt dort wie die anderen ständigen Mitglieder (USA, Frankreich, Großbritannien, Russland) über ein Vetorecht zur Blockade jedweder Entscheidung. Eben eine absolute Weltmacht, was Frankreich, Großbritannien und auch Russland in dieser Form und Stärke nicht mehr sind.

China hat eine lange und komplexe Geschichte und hat es geschafft, seine eigene Kultur über 4.000 Jahre hinweg zu entwickeln. Es stimmt daher nicht unbedingt, dass wir genau wissen, was für die innere Struktur Chinas am besten ist. (Henry Kissinger)

 

*Titelbild: Gerd Altmann auf Pixabay

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