Gesellschaft

Dilemma der Franzosen

Vielerorts in Frankreich ein großes Dilemma vor dem zweiten Wahlgang um das Amt des Präsidenten der Republik. Derjenige, welcher die Republik im Blut hat, ist im ersten Wahlgang gescheitert. Der übrig gebliebene Präsident und seine Herausforderin spielen den Franzosen etwas vor, was sie beide nicht sind. Was ein Kampf der Ideen sein sollte und mit einem Gegenkandidaten Mélenchon in der zweiten Runde auch geworden wäre, ist nun ein neoliberaler Gleichklang mit falschen sozialen Versprechungen. Marine Le Pen und Emmanuel Macron wollen plötzlich Anwalt wie Interessenvertreter der kleinen Leute sein. (Schon Bismarck meinte: „Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.“ Darin werden die Franzosen sogar diesem Reaktionär und Franzosenhasser zustimmen.) Bei Macron fragt man sich, warum ihm plötzlich die Unterschicht einfällt. Fast 6 Millionen Arbeitslose und der Wegfall ordentlich bezahlter Jobs im Tausch gegen Billigjobs, von denen niemand würdig leben kann, werden Macron in Rechnung gestellt, die er nur schwer wegdrücken kann. Macron hat die wirtschaftspolitische Philosophie des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlers Klaus Schwab verinnerlicht, eines neoliberalen Globalisierungsfanatikers, was die Franzosen auszubaden haben. Wie sagte Jean-Luc Mélenchon im Wahlkampf: „Es ist dem ausgebeuteten und unterbezahlten Uber-Fahrer, der seine Familie verelenden sieht, ziemlich egal, welch europäische Glorie über Macron schwebt.“ Am kommenden Sonntag wird Macron aller Wahrscheinlichkeit das Duell der ungeliebten Varianten gewinnen und bleiben, wer und was er ist, Frankreichs Präsident, Staatsmann nach außen und neoliberaler Politiker nach innen.

Wiederholung. Le Pen und Macron 2017 vor dem TV-Duell. Am Sonntag das Rückspiel. Macron klarer Favorit. (Screenshot TV2)

Le Pen wird vor allem ihre Vergangenheit nicht los, den Front National und ihren Vater, jene rechtsradikale Ausgangsbasis ihrer Karriere, welche ihr wohl letztlich die Wahl kosten wird. Hätte sie dieses „Erbe“ nicht am Hals, könnte sie sogar siegen. Macron hängt mittlerweile vielen Franzosen nämlich aus selbigem Hals heraus. Falls alle von Macron gefrusteten Franzosen daheimbleiben, die zwar auch nicht Le Pen wollen, aber deshalb eben überhaupt nicht wählen oder ungültig abstimmen, jedenfalls nicht Macron, dann könnte Le Pen sogar eine kleine Chance haben. Jedenfalls zwei neoliberale Kandidaten zur Wahl. Für viele Franzosen, die mit der Außenpolitik von Macron noch ganz gut leben können, ein sozialer Albtraum. Und von den billigen Rängen, da besonders laut und penetrant, die deutschen Medien, die in Frankreich so interessieren wie der Schrott im Weltraum. Deren Sicht auf Frankreich ist wie immer eine gebastelte Wahrheit, um dem deutschen Mediennutzer etwas vorzugaukeln, was in den eigenen Kram passt. Sie wollen und können eben nicht objektiv berichten, sie wollen und sollen Politik machen. Sehr typisch für Konzernmedien. Dazu müssen sie nicht einmal lügen. Es wird einfach weg- und ausgelassen, was nicht passt, aufgebauscht, was genehm und verkleinert, was stört. Journalismus nach bewährter Gutsherrenart, welche Information Plebejer und Pöbel auf den Teller bekommen, bestimmen wir. In vielen deutschen Medien war Le Pen bis zum ersten Wahlgang noch eine „Rechtspopulistin“, nach ihrem Einzug in die Stichwahl und einer Gefährdung von Macron wurde sie zur „Rechtsextremistin“. (Ähnlich der Verfahrensweise, aus dem „Linkspopulisten“ Mélenchon nach dessen Niederlage schnell einen „Linkspolitiker“ zu machen, weil dessen Wähler für Macron wichtig.) Besonders lustig, ausgerechnet der Springer Konzern und sein Parteiorgan Bild bezichtigen Le Pen des Rechtspopulismus. Dazu muss man nichts mehr sagen.

Marine Le Pen. Feindbild deutscher Medien. (Bild: Twitter Le Pen)

Den größten Taschenspielertrick ziehen aber die EU und Brüssel ab, die sich an den Wahlkampfmethoden von Donald Trump ein Scheibchen abschnitten. Die EU geht einer angeblichen Verfehlung von Le Pen in ihrer Zeit als Europaabgeordnete nach. Sie soll Gelder nicht vorschriftsgemäß ausgegeben haben. Was ja in Kenntnis der Verhaltensweisen von EU-Parlamentariern durchaus sein kann. Wir wissen es nicht. Die Französische Justiz prüft die Vorwürfe. In allen deutschen Schlagzeilen ist lautmalerisch von Le Pen und der Veruntreuung von Geldern zu lesen. Eine 10 Jahre zurückliegende Geschichte, rein zufällig wenige Tage vor der Wahl. Plumper geht’s kaum. Die EU und vor allem deutsche Medien unternehmen eine Menge, um Le Pen zu diskreditieren, zu diffamieren und Wahlen zu beeinflussen. Wie wird so etwas wohl auf französische Wähler wirken? Diese latente Parteinahme für Macron in Brüssel und in Deutschland könnte Le Pen eher von Nutzen sein als ihr Schaden bereiten. Ein spektakulärerer Fall wird den Nutzern deutscher Medien dagegen hierzulande kaum vermittelt. Mehr als eine Milliarde Euro bezahlte in der Amtszeit von Macron dessen Regierung dem globalen Beratungsunternehmen McKinsey & Company für Leistungen, die von dafür vorhanden und ausgebildeten wie bezahlten französischen Staatsbeamten hätten erbracht werden können. Die Unverfrorenheit des Vorgangs hat längst einen Untersuchungsausschuss des Französischen Senats nach sich gezogen. Dieser hat einen sehr feinen Pfeil Richtung Macron abgeschossen. Macron nannte einst Sozialleistungen für ärmere Menschen und die Unterschicht, wovon er heute nichts mehr wissen will, sehr herablassen und zynisch: „Ein Wahnsinnsgeld für ein tentakelartiges Phänomen.“ Nun schrieb der Untersuchungsausschuss in dem vorgelegten Bericht, die Summen für ein Beratungsunternehmen seien „ein Wahnsinnsgeld für ein tentakelartiges Phänomen“. Französische Medien, die größtenteils nah an Macron versuchen, den McKinsey-Deal aus dem Wahlkampf zu halten, doch in den Sozialen Medien lässt sich diese Themenflamme nicht mehr austreten.

Staatsmann nach außen, neoliberaler Politiker nach innen. Emmanuel Macron. (Screenshot TV2)

Was die Franzosen aktuell verwundert, ist der neueste Macron-Coup. Sie entnahmen es am Wochenende einem Amtsblatt. Das Amtsblatt teilte die Abschaffung des Diplomatischen Korps mit. Frankreich wird damit künftig das einzige große westliche Land ohne Berufsdiplomaten sein. Eine grandiose diplomatische Geschichte von mehreren Jahrhunderten geht zu Ende. Die Tür steht nun für eine Nominierung nach amerikanischem Vorbild offen. Diese Neoliberalisierung der politischen Institutionen war immer im Blick von Macron. Botschaftsposten nach Geldbeutel, Lobbykontakten und Allianzen wie Nützlichkeiten, nur selten nach Fähigkeiten und unabhängiger Meinung. Jean-Luc Mélenchon twitterte dazu: „Frankreich sieht sein diplomatisches Netzwerk nach mehreren Jahrhunderten zerstört. Jetzt können politische Freunde nominiert werden. Große Traurigkeit.“ Zu alldem passt weiterhin, was hier zwar schon mehrmals veröffentlicht wurde, aber nicht oft genug wiederholt werden kann, die klare Ansage an uns Deutsche in Sachen Macron, worin auch Le Pen nicht geschont wird, vom französischen Schriftsteller, Soziologen und Autor Didier Eribon:

Aber ich verstehe nicht, warum die Deutschen Macron für einen Zentristen halten können: Er ist ein gewaltsam autoritärer rechter Politiker. Seine Politik ist die Demontage des öffentlichen Sektors und der Abriss des Sozialstaats + schrecklicher Polizeirepression gegen Demonstranten. Wenn Le Pen jetzt so stark ist, liegt das an Macrons neoliberaler Politik, die den Reichen mehr Geld gibt und es den Armen nimmt. Edward Snowden fasst die Situation in einem sehr kurzen und aufschlussreichen Tweet zusammen: ‚Emmanuel Le Pen‘ .

*Titelbild: Walkerssk auf Pixabay

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