Gesellschaft

Frankreichs Linke

Eine Mehrheit der Franzosen möchte nicht Marine Le Pen als Präsidentin. Eine Mehrheit der Franzosen möchte allerdings auch die Politik von Emmanuel Macron eher heute als morgen loswerden. Diese Rechnung geht nicht auf. Von dem Dilemma die ganze Wählerschaft betroffen. Davon ebenfalls erfasst die Anhänger, Unterstützer und Wähler des im ersten Wahlgang knapp unterlegenen einzigen echten linken Kandidaten, Jean-Luc Mélenchon. Dieser war in den letzten fünf Jahren der vehementeste und aktivste Kritiker der neoliberalen Politik des Präsidenten Macron und von dessen Regierung. Die einzig wahrnehmbare Alternative zum Macronismus und Hoffnung auf eine Abkehr von diesem. Aus dem politischen Lager von Mélenchon nun ein Zeichen Richtung zweiter Wahlgang. Die eingeschriebenen Unterstützer der Präsidentschaftskandidatur von Jean-Luc Mélenchon, die Keimzelle der heutigen Volksunion, dem neuen Gravitationszentrum der französischen Linken, wurden um ihr Meinungsbild (Vorschlag Wahlverhalten) für die zweite Runde der Präsidentenwahl zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron gebeten. Organisiert wurde die Befragung von La France insoumise, der Sammlungsbewegung von Jean-Luc Mélenchon und eben dieser Volksunion (L’Union populaire), die seine Kandidatur getragen hat. Von 310.000 stimmberechtigten Unterstützern haben sich an dieser Konsultation 215.292 Personen beteiligt. Hier das Ergebnisse:

  • Leeren Stimmzettel oder ungültige Stimme abgeben: 81.051, d. h. 37,65 %.
  • Stimme für Macron: 71.899, d.h. 33,40%.
  • Wahlenthaltung: 62.342, bzw. 28,96%.

Die Option Marine Le Pen wählen wurde nicht angeboten, da Mélenchon die Wahl von Le Pen kategorisch ausgeschlossen hat. (Auch unter Linken wurde diese Auslassung durchaus kontrovers diskutiert.) Jean-Luc Mélenchon gab darüber hinaus keine Stellungnahme ab, eine Macron-Empfehlung ist von ihm nicht zu erwarten. Er ging die Tage nach seiner Niederlage lieber zur geistigen Auffrischung in ein Kunstmuseum, um die bittere Niederlage zu verkraften, den kräftezehrenden Wahlkampf hinter sich zu lassen. Kein Kandidat sprach zu mehr Menschen, absolvierte mehr Veranstaltungen in ganz Frankreich als Mélenchon. Im Museum stieß er umgehend auf Anhänger, darunter wieder junge Menschen, für die er im Wahlkampf ein Magnet und mit seinem Programm die große (letzte) politische Hoffnung war:

Mélenchon bleibt für viele Franzosen der einzige Kämpfer gegen den Neoliberalismus. (Twitter: Mélenchon)

Auf eine Präsidentschaftswahl folgt in Frankreich zeitnah eine Wahl zur Nationalversammlung. Dort könnte die L’Union populaire durchaus eine Mehrheit erringen und dem alten oder der neuen Präsidentin in einigen Bereichen durchaus in den Arm fallen. Eine letzte Hoffnung sehr vieler Franzosen, die entsetzt über die aktuelle Alternativlosigkeit. Der Wahl zwischen einer neoliberalen Nationalistin und einem neoliberalen Globalisten ist für sehr viele äußerst frustrierend. Das Wort Pest oder Cholera macht längst die Runde bei den Wählern. Macron oder Le Pen können beide im zweiten Wahlgang nur siegen, wenn sie Wähler aus dem Mélenchon Lager dazugewinnen.

Die Aussichten der Volksunion sind in naher Zukunft, also in Sachen Wahl zur Nationalversammlung, nicht so übel. Viele Menschen wollen eine Gegenmacht zu Le Pen oder zu Macron. Allerdings gibt es weiter die große Unbekannte, den Trupp von Macron und Le Pens Helfern im ersten Wahlgang, der aus den Kandidaten der Sozialisten, Kommunisten und Grünen bestand, die den Einzug des linken Kandidaten Mélenchon in die zweite Runde erfolgreich torpedierten. Eine erforderliche Einigung dieser drei Parteien mit der Volksunion für ein Wahlbündnis steht schon deshalb eher neblig in den Sternen. Die Vorzeichen dafür von skurriler Natur. Olivier Faure, Erster Sekretär der Sozialisten, deren peinliche Kandidatin Anne Hidalgo (1,7 %) nur Mélenchon bekämpfte, aber nicht Macron und Le Pen, sagte dieser Tage allen Ernstes: „Wir müssen den Groll überwinden, der existiert.“ Die Franzosen, die fünf weitere Jahre Neoliberalismus für ihr Land sehen und dieses verhindern wollten, werden wohl viel vergessen, sicher nicht ihren Groll gegen die Spalter der Linken um Hidalgo, Jadot und Roussel. Was sich vor allem die Sozialisten und Grünen als eine Art Fünfter Kolonne für Macron/Le Pen geleistet haben, hat das linke Lager in Frankreich tief gespalten. Heilung aktuell schwer vorstellbar. Den Vogel dabei abgeschossen Yannick Jadot, Frankreichs Vorzeigegrüner, der am Abend des ersten Wahlganges in Kenntnis seines desaströsen Ergebnisses (4,6 %) tönte: „Heute Abend rufe ich in Verantwortung die Wähler auf, die extreme Rechte zu besiegen, indem sie am 24. April für Emmanuel Macron stimmen.“ Dass vor allem seine aussichtslose Kandidatur der extremen Rechten in den zweiten Wahlgang half, war ihm schon wenige Minuten nach der Wahl völlig entfallen. Die geschmeidige Wandelbarkeit von Grünen ist uns hierzulande ja durchaus auch geläufig. Welche Art Bündnis lässt sich mit solchen Kantonisten ohne Groll schließen?

Grüner Yannick Jadot. Bester Wahlhelfer für Macron und Le Pen. (Foto: Screenshot BFMTV)

In Richtung der nützlichen Idioten des Neoliberalismus sagte der renommierte Wirtschaftswissenschaftler der Pariser Sorbonne, Thomas Porcher: „Ich stelle fest, dass Mélenchon in weniger als einer Woche von der Gefahr für die Republik, der als Freund von Diktatoren geschmäht wurde, plötzlich zu einem potenziellen Verbündeten geworden ist.“ Den Grünen, den Kommunisten und Sozialisten ist völlig klar, ohne Mélenchon und dessen Volksunion mit ihren enorm engagierten Jugendlichen, ist eine Mehrheit in der Nationalversammlung nicht zu erringen. Geschichte wiederholt sich, so lehrte es Karl Marx, grundsätzlich als Farce. Die ins Unbedeutende gerutschten Hidalgo, Jadot und Roussel brauchen jetzt genau denjenigen, dem sie im Wahlkampf einen politischen Dolch in den Rücken stießen für ihr eigenes Überleben. Welch Ironie! Le Pen und Macron dagegen brauchen weniger den Politiker Mélenchon, sie brauchen am kommenden Sonntag vor allem seine Wähler.

*Titelbild: Twitter Adrien Quatennens

 

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