Sport

Fantheater

Unzählige Fußballfans, die Stadien bevölkern und zu Vereinen pilgern, mit diesen durch die Gegend reisen, haben durch Corona eines vielleicht sogar gelernt. Der Elite-Fußball der Profis benötigt sie zum Antrieb der Geldmaschine nicht am Ort des Geschehens. Es geht gut ohne sie. So sie nicht ins Stadion können, sind sie aber weiterhin äußerst willkommen als Abnehmer diverser Streamingangebote und deren kostenpflichtiger Abonnements. Nur darin bleiben sie wertvoll. Dennoch stellt kaum eine gesellschaftliche Freizeitgruppe so hohe Ansprüche an andere, als es eingefleischte Fußballfans tun. Selbstverständlich so vehement zum Ausdruck gebracht, dass jene andere diese Ansprüche gefälligst zu erfüllen haben. „Andere“ sind dann übrigens meistens der eigene Verein, die eigenen Spieler und der eigene Trainer. Fans in der Rolle eines Familienpatriarchen, der außer seiner eigenen Ansicht unter dem häuslichen Dach andere Meinungen kaum ertragen kann. Solche Patriarchen der alten wie erbärmlichen Schule soffen sich noch Mut an, um dann Familien zu tyrannisieren. Darin gewisse Parallelen zum Fußball. Der Alkohol ist ein wichtiges Schmiermittel für vorgeblichen Mut, welcher sich besonders in der Masse entfacht. Viele machen davon schon vor Spielbeginn reichlich Gebrauch. Bezeichnenderweise hat jeder Fußballverein seinen Bierpartner. Wie auch nicht.

Das lärmende und zornige Element von Fußballfans – ohne oder mit Alkohol – ist oftmals plump wie erschreckend. Zumal es sich in einer schlechten Phase wütend und tobend über das eigene Heiligtum ergießen kann. So etwas gipfelt dann in der lustigen wie wahnsinnigen Fehleinschätzung „WIR sind der Verein, IHR nicht“! Mit „IHR“ sind hier Vereinsführung, Trainer und Spieler des eigenen Klubs, der eigene Mannschaft gemeint, manchmal einzeln, manchmal in Gesamtheit. Spieler und Trainer verdammen, die man noch vor Wochen angehimmelt und wegen Autogrammen hinterherjagte, ist im Fußball eher Regel denn Ausnahme. Fußballmillionäre, so sie als Spieler auf dem Platz aktiv, haben eine einfache Methode, den Zorn abzuarbeiten. Bei einem Tor schlagen sie dahin, wo das Emblem ihres Vereins aufs Trikot gepappt, also meistens die Brust und rennen dann zu den lautesten Fans. Jene, die diesen Spieler vor Minuten noch zum Teufel jagen wollten und dieses auch so artikulierten, liegen nun wieder zu dessen Füßen. Dieses einfache wie bewährte Strickmuster lässt sich in allen Fußballstadien der Welt beobachten. Um so etwas nicht so beschämend wirken zu lassen, wie es sich darstellt, wird dann gerne die Mär verbreitet, man müsse echter Fan sein, um dies zu verstehen. Wieder ein großer Selbstbetrug vieler Fans, der eigene Unzulänglichkeit kaschieren soll.

Fanschals (Foto: e_stamm auf Pixabay)

Längst ist das friedfertige Accessoire Schal als Fan-Markenzeichen von der verbalen Social Media Keule oder üblen Schmähgesängen abgelöst worden. Der Furor, mit dem Fußballfans Spieler und Trainer verdammen, wie gesagt diejenigen des eigenen Teams, ist in der Sportwelt einmalig. Medien befördern solcher Art Zorn noch, indem sie ihn für Kampagnen gegen Spieler und Trainer instrumentalisieren, was bei den Fans gut ankommt. Diese fühlen sich bestätigt, wenn Scheinwerferlicht auch auf sie fällt. Ihre Rolle als nützliche Idioten anderer Interessen erfassen sie dabei selten bis nicht. Die Fußballfans ziehen ihre dramatisierten Ansprüche gern aus dem Kauf von Dauerkarten, dem Stimmung machen in der Kurve und dem Engagement in Fanklubs. Bestimmte Fangruppierungen stellen sich als Ultras auf und leiten davon noch zusätzliche Rechte ab, die nirgends in Stein gemeißelt oder für irgendwen verpflichtend sind. Sie regeln sich sozusagen als letzte Instanz selbst und sehen sich in dieser Überhöhung fast wie ein Politbüro des Klubs, für den sie das Haus verlassen. Wenn z. B. der Irrsinn von Pyrotechnik im Stadion aus nachvollziehbaren Gründen verboten wird, stehen sie auf dem Plan, um weiterhin im Stadion und während des Spiels mit dem Feuer spielen zu können, koste es an Gefährdung, was es wolle. Bei alledem drängelt sich eine Frage immer wieder auf. Welche Ansprüche stellen Fußballfans eigentlich an sich selbst? Kehrt je Reue ein, wenn ein Trainer, ein Spieler mit ihrer Hilfe „fertiggemacht“ vom Felde zieht? Im Zusammenspiel mit bestimmten Boulevardmedien ist der Fußballfan ein williger Helfer bei Desinformationskampagnen und Rufmord.

Wo andernorts im Weltsport auch in Mannschaftssportarten eine Gegnerschaft vorhanden, ist im Fußball viel zu oft das Wort Feindschaft eine traurige Normalität. Ob es sich dabei nun um Lokalrivalen handelt oder sogar um andersdenkende Fans des eigenen Vereins. Meinungspluralität scheint Fußballfans nicht gegeben. Wer erlebt, es sich anschaut und liest, um hier nur zwei exemplarische deutsche Beispiele zu nennen, was und wie Dortmund und Schalke Fans miteinander umgehen oder wie unterschiedliche Fangruppen des HSV sich im eigenen Stall behandeln und abwerten, der wird wissen, was gemeint. Das aufgemalte Fadenkreuz für andere Menschen, in diesem Fall der Unternehmer Dietmar Hopp, ist nicht von Okkupanten der Menschlichkeit gemalt worden, sondern von vielerlei Fangruppen in deutschen Fußballstadien, die für sich in Anspruch nehmen, so pervertiert ist deren Denken, solche Untaten im Namen von Vereinsliebe und Sport verüben zu dürfen. Dabei halten sie sich für die Retter des Fußballs. Ein Sport, der solche Anhänger hat, ist wohl irgendwann zum Untergang verdammt.

Stimmungsmacher für den Fußball (Foto: Manfred Antranias Zimmer auf Pixabay)

Es geht auch ganz anders. Jürgen Klopp war nie einer, der sich an Fans anbiederte, so diese einem Irrweg oder purer Dämlichkeit folgten, nur um seine eigene Beliebtheit nicht zu gefährden. Als sich Liverpool-Anhänger am 1. Spieltag der Premier League Saison 2021/22 beim 3:0 Auswärtssieg gegen Norwich City, den 20-jährigen Norwich-Leihspieler Billy Gilmour als Feind aussuchten, nur weil dieser bei Chelsea unter Vertrag, diesen mit „Chelsea rent boy“ Schmähgesängen beleidigten, hatte Klopp schon nach Abpfiff deutliche Worte gefunden. Er bezeichnete diese Art Fans schlichtweg als „Idioten“. Klopp setzte wenige Tage später nach und brachte seine Enttäuschung nochmals zum Ausdruck. „Das habe ich nie begriffen. Ich mochte es nie. In unserem Fall haben wir das wahrscheinlich beste Liederbuch der Welt. Es ist leicht, sich zu entscheiden, so ein Lied nicht mehr zu singen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute mir zuhören, aber es wäre schön. Ich will es aus so vielen Gründen nicht mehr hören. Wir leben in einer Zeit, in der wir viel lernen. Ich bin jetzt 54 und als ich 20 war, haben wir so viele Dinge gesagt, über die wir nicht nachgedacht haben. Und inzwischen haben wir Gott sei Dank 34 Jahre später etwas dazu gelernt.“ Klopp betonte auch, dass solche Gesänge „nichts für das Team tun“ und nannte sie „Zeitverschwendung“.

Couragiert wie Jürgen Klopp auch die Spieler und Verantwortlichen von Olympique Marseille. Diese kehrten nach kriegsähnlichen Entgleisungen der Heimfans des OGC Nizza nicht zum Wiederanpfiff ihres Ligue-1-Spiels auf den Platz zurück, was den Schiedsrichter zum Abbruch des Spiels zwang. Endlich Schluss mit der feigen Ausrede, man könne als Team Spiele auch nach schlimmsten Verstößen und Anfeindungen nicht abbrechen. Ein Teil der Heimfans hatte die angereisten Marseille-Spieler während des gesamten Spiels mit Flaschen beworfen, was dazu führte, dass der Stadionsprecher die Zuschauer aufforderte, keine Gegenstände auf die Spieler zu werfen. Was zu einer vermehrten Wurfhandlung der Idioten führte. Der Spieler Dimitri Payet wurde daraufhin von einer geworfenen Flasche am Hinterkopf getroffen, die er wutentbrannt zurückwarf. Was dann dazu führte, dass Spieler und Anhänger auf dem Platz aufeinanderprallten. Spieler, die normalen Zuschauer und Ordner versuchten einzugreifen, aber es wurden immer mehr Wurfobjekte aller Art geschleudert, woraufhin der Schiedsrichter die Mannschaften wegen Bedrohung an Leib und Leben vom Spielfeld nehmen musste. Seinem Anerbieten, die Partie fortzusetzen, folgte Olympique Marseille nicht mehr.

Panic – Gern von Fußballfans entfacht (Bild: Gerd Altmann auf Pixabay)

Tumulte und Gewalt zeichnen besonders das Fußballumfeld aus. Anhaltender Rassismus ist dagegen auch im angeblich vornehmen Cricket zu finden, vergiftet viele Wettbewerbe in vielerlei Sportarten und darf deshalb nicht als eine Unsäglichkeit abgetan werden, die nur in der Fußballwelt ausbricht. Der Sport und darin der Fußball in einem hohen Maße ist weltweit nur Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Allerdings ist besonders der Fußball immer wieder und regelmäßig Tatumfeld für Rassismus und einem daraus wachsenden blindwütigen Hass. Was englischen Fußballspielern nach der EM an Rassismus und Hass entgegenschlug, ist noch in frischer Erinnerung. Nirgends in der Sportwelt scheint das Klima so anfällig für vielerlei Gift und Hass wie im Fußballumfeld. Es täte den Hardcorefans unter den Fußballanhängern gut, sich einen eigenen Kompass anzuschaffen, dessen Nadel mit den Maßstäben, die sie gern und dogmatisch an andere legen, auf sie zeigt und dadurch vielleicht ein Nachdenken auslöst. Vielleicht.

*Beitragsbild: Fans im Stadion (Foto: Djordje Nikolic auf Pixabay)

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