Leben

Formen der Liebe

Wer einen Artikel über Liebe lesen mag, könnte sich vorher wie dabei und danach mit ‚Only You‘, gesungen von Selena Gomez, in die richtige Stimmung versetzen. Da kann man wirklich wenig falsch machen. Das lässt sich über diesen Beitrag natürlich nicht sagen, so viel Hochmut dann doch nicht. Wer es mit der ganz großen, dieser wahren und einzigen Liebe hält, der ist hier vielleicht auch falsch. Oder doch nicht? So oder so nähern wir uns dem Komplex sachlich und familienfreundlich. Zumindest versuchen wir es. Um es profaner zu sagen, sei hier Mario Adorf aus der Blechtrommel zitiert: „Ich stelle mir unter Liebe etwas anderes vor als nur Sauereien.“ Oder George C. Scott bei Kubrick: „Nein! Es ist nicht nur körperlich.“ Wie es zu diesen philosophischen Feststellungen kam, soll hier nicht erklärt werden, weil wir dann die familienfreundliche Rutschbahn verlassen und auf zu dünnem Eis doch noch einbrechen. Tucholsky nahm ja immer an, der Vorzug von Ehepaaren besteht darin, sich gemeinsam zu langweilen. Der bevorzugte Ort dafür, der Abendbrottisch. Wie dem auch sei. Wo die Liebe ins Leben fällt, liegt sie lang und steht selten wieder auf. In Zeiten von rohem Krieg und ungehobeltem Vokabular sollte es erlaubt sein, wieder einmal an so profane wie großartige Dinge wie die Liebe zu erinnern, ohne dabei die Feder in einen Bottich aus falscher Sentimentalität zu tunken.

Irgendwie auch Liebe. Bennent, Adorf, Thalbach. (Screenshot, „Die Blechtrommel“, 1979, Regie: Volker Schlöndorff.)

Im Volksmund wird gerne ein in Napoleons Urheberschaft liegendes Zitat verdreht: „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.“ Nein, nein, wir kommen nicht über Umwege zu schweren Waffen, sondern nur zu schneller pochenden Herzen. Gustav Heinemann, der wohl klügste Bundespräsident, den dieses Land je hatte, wusste sich auszudrücken und gebildet zur Wehr zu setzen. Diesem ersten Bundespräsidenten (1969 – 1974) aus den Reihen der Sozialdemokratie, die das damals noch war, wollten Medien unbedingt Deutschtümelei und Nationalstolz aus dem Knopfloch drücken. „Lieben Sie diesen Staat denn nicht? lautete die dämliche wie aufdringliche Frage. Man ahnt, wie eilfertig heutzutage Politiker darauf medienkompatibel, mehrheitsfähiges Antwortzeug abliefern. Heinemann blieb unaufgeregt, souverän und ein Mensch: Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!“ So geht’s. Chapeau. Vielleicht bis heute die schönste Liebeserklärung deutscher Sprache, trotz Goethe (Marienbader Elegie), Brecht (Erinnerung an die Marie A.) und einer Menge Rilke.

Kluger Mann + kluge Frau = große Liebe: Ehepaar Heinemann.

Politiker haben es nicht immer so mit der Liebe. Es gibt Ausnahmen. Ein englischer König dankte sogar wegen einer geschiedenen Dame mit zweifelhaftem Ruf ab und ließ dafür das Empire liegen. Meistens sind die Engländer in Liebesdingen mit einem zugeknöpften Image behaftet. Könnte am vielen Regen liegen. Was bei Shakespeare und seiner Gattin daheim los war, weiß kein Mensch. Ob man heute allerdings mit einem Shakespeare-Sonett noch Partnerin oder Partner zu irgendetwas rumkriegt, darf wohl bezweifelt werden. Was hat der alte Barde aus Stratford-upon-Avon noch in Sachen Liebe zu bieten? Allerhand. Sein Othello lässt sich von einem schmierigen Untergebenen in eine falsche Raserei aus Eifersucht treiben, bis er seine Herzensdame unmittelbar nach dem Nachtgebet erwürgt. Die größte Liebesgeschichte alle Zeiten geht zwar aus, aber nicht gut. Romeo und Julia sind jung, pubertär und aus feinen Häusern. Die Liebe ist in jenen Häusern nicht wohlgelitten, was am Ende zum Tod der jungen Leute führt. Gebrauchsgegenstände fürs gemeinsame Ableben sind Dolch und Gift. Das Ehepaar Macbeth kann vor lauter Liebe und Ehrgeiz nicht davon ablassen, das Meucheln der politischen Konkurrenz voranzutreiben. Endet für beide bekanntermaßen auch mit dem Tod. Richard III ist ein hässlicher Vogel und liebt ausgerechnet die Frau des Mannes, den er gerade aus Gründen der Macht umgebracht hat. Besagte Witwe schmilzt dennoch dahin, was ihre Haltbarkeit nicht erhöht. Richard III liebt nur sich und braucht am Ende ein Pferd, keine Gattin. So berühmt wie Shakespeare und im Ranking um den berühmtesten Briten oft vor diesem, natürlich Winston Churchill. Der liebte seine Clementine auf eine sehr neckische Art und war 57 Jahre mit ihr verheiratet. Dennoch hat er eigentlich nur Konflikte und Politik, noch lieber Kriege und Schlachten heißblütig geliebt. Als er davon nichts mehr hatte, waren seine letzten Worte, wie Clementine sie übermittelt, „alles so langweilig“.

Ehepaar Churchill. Gemeinsames Denkmal in Chartwell.

Franzosen gelten in Liebesdingen überlegen. Ob man dies aber von Charles de Gaulle auch sagen sollte? De Gaulle galt ausschließlich in Politik und Macht verliebt, natürlich auch in Frankreich. Er brachte es dabei auf 49 Ehejahre, also mit seiner Gattin, nicht mit Frankreich. Diese Gattin Yvonne de Gaulle war allerdings aus ähnlichem Holz wie der berühmte Gemahl. Als beide am 22. August 1962 ins Wochenende fahren wollten, chauffierte man die de Gaulles im bewährten Citroën nebst Eskorte zum Flughafen, wo der Hubschrauber wartete. Unterwegs wartete noch jemand, die Attentäter der OAS. Die gaben auf das Präsidentenfahrzeug 187 Schüsse ab, davon trafen 14, so viele Einschusslöcher wurden gezählt. Am Flughafen trotz zerschossener Vorderreifen angekommen, stellte de Gaulle beim Aussteigen fest „diesmal war es knapp“. Dann säuberte er sich völlig unverletzt von den Scherben. Derweil hatte die Gattin längst ihr Kostüm gerichtet und wartete, dass es nun endlich ins Wochenende geht. Während des Überfalls saß sie so stoisch neben ihrem Mann wie dieser neben ihr. Das war wohl Liebe.

Typischer wie bescheidener Dienstwagen von de Gaulle. (De-Gaulle-Gedenkstätte.)

Churchill und de Gaulle, waren noch alte Schule. Das kann man von John F. Kennedy nicht sagen. Der lebte seine Promiskuität zu jeder freien Stunde aus, selbst wenn es keine freie Stunde gab. Keiner zählte die Bardamen, Callgirls und Hollywood-Schönheiten mit. Aber es waren wohl mehr, als der Citroën von de Gaulle Einschusslöcher aufwies. Seine edle Gattin „Jackie“ Kennedy war davon weniger angetan. Nach seinem gewaltsamen Tod machte sie sich auch bald vor solcher Art Erinnerungen davon und landete im Ehehafen des griechischen Reeders Ari Onassis. Der hatte nicht nur Schiffe, sondern auch Milliarden auf der hohen Kante. Für die ehemalige US-First-Lady schob er seine große Liebe, die Operndiva Maria Callas, mal flugs beiseite. Als er später in Paris seine letzten Atemzüge aushauchte, eilte allerdings die abgeschobene Diva an sein Bett, nicht die ehemalige First Lady. Es geht im Leben halt oftmals zu wie im Film.

Hassliebe bis zum Totenbett. Maria Callas mit Ari Onassis.

John Lennon holte sich Yoko Ono an die Seite. Es war wohl Liebe, aber auch das Ende der Beatles. Anita Pallenberg liebte die Rolling Stones, darunter besonders Mike Jagger und Keith Richards. Ein bisschen mochte sie natürlich auch Blitzlichter, Geld und Ruhm. Ein bisschen. Wen und was nun mehr, das hat sie 2017 mit ins Grab genommen. Die Rolling Stones, darin anders als die Beatles, waren dadurch nie gefährdet. Über diverse Eskapaden seiner Bandkollegen konnte der 2021 verstorbene Gentleman und Stones-Drummer nur den Kopf schütteln. Charlie Watts war 57 Jahre mit Shirley Shepherd verheiratet, eine große Liebe, die sogar Sex & Drugs & Rock & Roll überlebte. Überlebt hat auch sehr lange die größte Schnulze in Sachen Liebe. „Love Story“, ein Film aus dem Jahr 1970. Viele Jahrzehnte ölige Schablone für allerlei Herz- und Schmerzfilme. Das Ding können die einen kaum noch ansehen, während er für andere längst Kult. So bigott ging es im Film und bei seinen Stars nicht immer zu. Lana Turner, legendäre Schönheit und mörderische Lady de Winter aus dem berühmtesten Musketier-Film aller Zeiten, liebte heiß und gefährlich einen Mafioso. Leider nicht im Film, sondern im Leben. Der Ganove bekam irgendwann von Turners Tochter ein Messer in die Brust und röchelte seine Mörderlaufbahn aus. Lana weinte vor Gericht und zog dann weiter ihre Liebesbahnen. Bis ans Ende ihrer Tage verbrauchte sie acht Ehemänner. Ob sie einen davon auch geliebt hat? Nichts Genaues weiß man nicht.

Atemberaubende und bedrohliche Schönheit. Lana Turner. (Screenshot: „Die drei Musketiere“, 1948)

Ein ganz anderes Kaliber war Marlene Dietrich, in Kopf, Herz und Leben allemal heller und klüger als Lana es je war. Ihre Filme zeigten sie zum Anfang auch als Femme fatale, später faszinierte sie durch Charakterrollen, mutige Fronteinsätze im 2. Weltkrieg und legendäre Bühnenauftritte mit rauchiger Stimme. Nur die Dietrich konnte aus der Militärschnulze Lili Marlen ein Antikriegslied machen. Und wie! Zur Liebe hatte sie ein entspanntes Verhältnis. Rudolf Sieber heiratete sie 1923. Bis zu seinem Tod 1976 blieben beide verheiratet. Obwohl sich beide schon in den 30er Jahren trennten. Die Liebe hielt nicht, die Freundschaft ewig. Marlenes Affären waren nicht von Pappe. Jean Gabin, Ernest Hemingway, wohl auch Édith Piaf und viele mehr. Über den Sex sagte sie einmal zu Maximilian Schell „die Männer mögen das“. Schell widersprach nicht. Wenn Marlene mit diesen Männern fertig war, dann blieben die meistens wie vom Blitz getroffen und von Amors Pfeil getötet in einer Ecke liegen und erholten sich nur schwer. Erich Maria Remarque schleppte die Erinnerung an seine Dietrich-Affäre schwer durch sein ganzes Leben. Selbst die wunderbare Paulette Goddard konnte ihn darüber nicht ganz hinwegtrösten.

Über diese Liebe wurden Bücher geschrieben. Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque.

Humphrey Bogart ahnte in seiner legendärsten Rolle, dass es mit Frauen und Männern so seine Tücken hat. Als Rick Blaine raucht und säuft er sich in seinem Café in Casablanca die Erinnerung an die Liebe seines Pariser Lebens weg und brütet über den nächsten Zug beim Schach. Besagte Liebe in Form einer echten Dame hat natürlich nichts Besseres zu tun, als irgendwann durch die Tür zu kommen. Und wenn Ingrid Bergman zu der Zeit durch eine Tür kam, konnte es jedem den Atem verschlagen. Was für Augen, was für ein Gesicht. Bogart blieb sachlich und rutschte nicht auf die Knie oder sprudelte gar über und aus: „Von allen Kaschemmen der Welt kommt sie ausgerechnet in meine.“  Keine Kaschemme, sondern eine Insel, Paläste, Villen und Reichtum besaß der geniale und legendäre Regisseur Luchino Visconti. Die Viscontis gehörten zu den reichsten und ältesten Adelshäusern in Italiens Geschichte. Maria Callas mochte Visconti noch mehr als sie Onassis liebte. Mit Visconti fühlte sie sich künstlerisch seelenverwandt. Bei Visconti war aber nichts zu machen, dessen Auge ruhte da schon auf dem angeblich schönsten Mann seiner Zeit, Helmut Berger. Natürlich biss Berger an. Es kamen dabei drei berühmte Hauptrollen raus, viele edle Dinge und ein Leben in Saus und Braus. 12 wilde Jahre auf der Überholspur. Darauf konnte es nicht ewig gut gehen. Visconti immerhin 38 Jahre älter als Berger. Somit war der Ausgang vorgezeichnet. Als Visconti starb, jagte dessen Sippe Berger mit einem Tritt vom Hof und von der Insel. Was an edlen Dingen noch übrig, verscherbelte Berger über die Jahre. Hauptrollen kamen nicht mehr, die Sache mit dem schönsten Mann war längst Geschichte und sein Abstieg aus dem Ruhm nahm ein Tempo auf, das jeder billigen Seifenoper Ehre machte. Wie gewonnen, so zerronnen. Was ist aber eine Visconti-Insel gegen ein Weltreich. Marcus Antonius teilte sich mit Octavian das gigantische Römische Imperium. Während Octavian Politik machte und sich darauf vorbereitete der Imperator und Kaiser Augustus zu werden, teile Marcus Antonius noch etwas anderes. Das Bett mit Kleopatra, der Herrscherin über das ägyptische Großreich. Am Ende war alles verspielt, das Römische Imperium wie Ägypten, weswegen sich Marcus Antonius das eigene Schwert in den Bauch rammte. Tage später war es auch um Kleopatra geschehen.

Marcus Antonius. Erst die Liebe. Dann das Schwert.

Sie kann schon arg daher kommen, die Sache mit der Liebe. Versuchen wir einen harmonischen und tröstlichen Abschluss, also nicht Liz Taylor und Richard Burton. Die heirateten sich zweimal, waren für den jeweils anderen wohl wirklich die Liebe des Lebens. Aber sie konnten sich auch die Hölle auf Erden bereiten, wozu der Alkohol seinen freudigen Beitrag leistete. Bei Paul Newman und Joanne Woodward dagegen, wie bei Bogart und Bacall oder Blake Edwards und Julie Andrews, war auch im grellen Hollywood-Zirkus echte Liebe im Spiel, die sogar über den Tod hielt. Natürlich Helmut und Loki Schmidt. 68 Ehejahre. Was nach Aussagen von Helmut nur Loki zu verdanken, weil die ihm einige Eskapaden nicht nachgetragen. Ihre Liebe soll ein festes Band gewesen sein, wie es nur wenige haben knüpfen können. Vor allen aber der größte Schauspieler deutscher Zunge im 20. Jahrhundert und dessen Ehefrau. Fritz Kortner und seine Kollegin Johanna Hofer. 46 Ehejahre zwischen Ruhm, Verfolgung, Weltkrieg und Exil. Die Kortner Tochter Marianne Brün sagte in ihren späten Jahren einmal: „Meine Mutter saß im Publikum und sah meinen Vater auf der Bühne. Darüber vergaß sie ihren eigenen Auftritt in einem anderen Theater. Einen besseren Liebhaber hätte eine Frau nicht haben können, als Kortner für seine Frau dauernd war. Zu Hause war auch eine erotische Stimmung zwischen den beiden. Überall und immer.“ Eine echte Hommage an die Liebe und ein schönes Schlusswort.

Füreinander geschaffen. Tiefe Liebe und erotisches Knistern. Johanna Hofer und Fritz Kortner.

 

Erinnerung an die Marie A. (Bertolt Brecht)

Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.

Und auch den Kuss, ich hätt‘ ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke da gewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.

*Titelbild: 2023852 auf Pixabay

 

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