Gesellschaft

Frankreich hat gewählt

Im Angesicht des Ergebnisses beim eben beendeten ersten Wahlgang in Frankreich möchte GERADEZU etwas in Erinnerung rufen und wachhalten, was wir hier schon vor der Wahl so gesagt und geschrieben. Es muss notwendigerweise erinnert und deshalb sogar penetrant wiederholt werden. Historische Lügen wie kollektives Vergessen sollten nämlich stets schon im Entstehen bekämpft werden. Für den Einzug von Marine Le Pen in die Stichwahl um das Amt des französischen Präsidenten tragen drei Personen die Hauptverantwortung. Yannick Jadot (Grüne), Anne Hidalgo (Sozialisten) und Fabien Roussel (Kommunisten). Es ist offenkundig, dass genau aus diesen politischen Lagern in unserem Land nun im Stundentakt das Schreckgespenst Le Pen an die Wand gemalt und vor dieser gewarnt wird. (Die schändliche Rolle der politischen Freunde und Bundesgenossen in Frankreich wird natürlich bei keiner dieser Warnungen und Betroffenheitsrituale erwähnt werden.) Persönlicher Ehrgeiz und die an den Tag gelegte Uneinsichtigkeit gegenüber einer historischen Chance haben den Grünen Jadot, die Sozialistin Hidalgo und den Kommunisten Roussel bis zum bitteren Schluss an völlig sinnlosen wie spaltenden Kandidaturen festhalten und die Linke in Gesamtheit scheitern lassen.

Die Schande von Jadot, Hidalgo und Roussel in Zahlen.

Im Ergebnis dieses politischen und menschlichen Totalversagens jener drei Gescheiterten konnte der einzig chancenreiche linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon die Stichwahl nicht erreichen. Für Jadot, Hidalgo und Roussel waren weder Gegenwart noch Zukunft der Menschen in Frankreich von Interesse. Sie opferten eine notwendige linke Einheit und soziale Politik auf dem Altar ihrer Eitelkeiten. Sie trugen ihr erbärmliches Verhalten auf den politischen Markt und bekamen dafür von den Franzosen die Wahlquittung. In Erinnerungen werden drei nützliche Idioten des Neoliberalismus bleiben, die sich zum Spielzeug und Steigbügelhalter von Emmanuel Macron und Marine Le Pen gemacht haben. In Frankreich haben ca. 32 % jemanden links von Macron gewählt, davon 22,2 % Mélenchon. Hätten Sozialisten, Grüne, Kommunisten nicht ihren sektiererischen Fehler von 2017 bewusst wiederholt, wäre Le Pen ohne Chance und nicht in die Stichwahl gekommen. In Deutschland verkündet derweil der ZDF-Reporter (Thomas Walde) aus Paris, der Grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot ruft dazu auf, im zweiten Wahlgang Emmanuel Macron zu wählen, um Marine Le Pen zu verhindern. Schau einer an. So etwas belobhudelt dann dieser Reporter und die Grüne Partei in Deutschland jubelt darüber. Was für ein toller Hecht dieser Jadot doch ist, fast ein Held. Alles in der bewährten Hoffnung, die Menschen sind blöd und können nicht bis drei zählen.

Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten Ségolène Royal hat selbstverständlich mehr Durchblick als eine fehlbesetzte Auslandsreporterstelle des ZDF in Paris und die Grünen in Deutschland. Ihr Urteil über Jadot, Hidalgo und Roussel noch am Wahlabend im französischen TV abgegeben: „Jean Luc Mélenchon hat mit seiner Kampagne und seiner Rede der anständigen Politik alle Ehre gemacht. Jadot, Roussel, Hidalgo, die alle unter 5 % liegen, haben nun zur Blockade von Le Pen aufgerufen? Sie hätten diese durch Einigkeit längst blockieren können, indem sie sich zurückgezogen hätten. ‚Zwerge‘ hätte François Mitterrand diese Leute genannt.“ Wie es gehen kann, wenn die Sorge um das Land und das Wohl der Menschen einem wichtig, zeigte übrigens die ehemalige Justizministerin von Frankreich, Christiane Taubira. Diese Politikerin gab ihre Kandidatur auf und erklärte ihre Unterstützung für Jean-Luc Mélenchon, um die Möglichkeit einer rechten Politik abzuwenden: „Von der ersten Runde an wähle ich den Kandidaten, der Éric Zemmour oder Marine Le Pen den Weg versperren kann, den linken Kandidaten, der heute als einziger dazu in der Lage ist, Jean-Luc Mélenchon.“ (Interview Magazin têtu, 8. April 2022) Aus und vorbei. Dank Jadot, Hidalgo und Roussel hat das französische Volk im zweiten Wahlgang eine einzige Wahl. Die Wahl zwischen neoliberal und neoliberal.

Didier Eribon (Twitter-Foto)

Abschließend soll ein Franzose zu Wort kommen, der bei unseren Nachbarn eine lebende Legende und Instanz bei einfachen Leuten wie unter Intellektuellen. Didier Eribon, der Autor von „Rückkehr nach Reims“. Er erlebte hautnah am Beispiel seiner Familie, wie Menschen von Politikern und Parteien, von Wirtschaft und Gesellschaft im Stich gelassen wurden. Sah wie die etablierten Parteien sich nicht mehr um die Leute kümmerten und diese einfach den Parolen neuer rechter Parteien überließen. Eribon hat dem alten Proletariat mit seinen Büchern ein Denkmal gesetzt und der französischen Gesellschaft den Spiegel vorgehalten, die sozialen Verwerfungen des Landes aufgedeckt. Über den hierzulande als europäischen Heilsbringer beweihräucherten Emmanuel Macron, den Investmentbanker auf dem Präsidentenstuhl, macht er sich aus der täglichen Erfahrung mit dem französischen Alltag keinerlei Illusionen. „Aber ich verstehe nicht, warum der Deutsche Macron für einen Zentristen halten kann: Er ist ein gewaltsam autoritärer rechter Politiker. Seine Politik ist die Demontage des öffentlichen Sektors und der Abriss des Sozialstaats + schrecklicher Polizeirepression gegen Demonstranten. Wenn Le Pen jetzt so stark ist, liegt das an Macrons neoliberaler Politik, die den Reichen mehr Geld gibt und es den Armen nimmt. Edward Snowden fasst die Situation in einem sehr kurzen und aufschlussreichen Tweet zusammen: ‚Emmanuel Le Pen‘ “. (Twitteraccount von Didier Eribon)

Mit nachfolgendem Bild signalisierte Didier Eribon auf Twitter seine persönliche Wahlentscheidung:

*Titelbild: Le Monde (Twitter)

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