Sport

Kampf um die Schachkrone

Im Weltsport finden sich immer öfter Bündnisse aus Diktatoren und Autokraten auf der einen und internationalen Sportfunktionären und Sportorganisationen auf der anderen Seite. FIFA und das IOC sind Spitzenreiter der Schande. Da will auch der Schachweltverband offenbar nicht fehlen. Frei nach Shakespeare: „Wo Geld vorangeht, sind alle Wege offen.“ Die Schachweltmeisterschaft 2021 wird unter der Schirmherrschaft des Weltschachbundes FIDE ausgetragen. Partner fürs Geld und Organisator der Weltmeisterschaft ist allerdings das Medienunternehmen World Chess im Besitz des dubiosen russischen Schachpromoters Ilja Merenzon, der auch hinter der russischen Event-Agentur Agon steckt, die Schachturniere und WM Kämpfe veranstaltet. Merenzon ist am ehesten mit dem skrupellosen Boxpromoter Don King vergleichbar. Denen in Dubai (Vereinigten Arabischen Emiraten) sind ihre Partner egal. Was Aufmerksamkeit in Form von Sportevents bringt, wird eingekauft, der Preis spielt keine Rolle. Das Image der absoluten Monarchie soll mit allen Mitteln aufpoliert werden. Nun eben Schach-WM. Zwischen dem amtierenden Schachweltmeister Magnus Carlsen und dem unaussprechlichsten Namen der Schachgegenwart, Jan Nepomnjaschtschi (Daher oft die Abkürzung Nepo im Umlauf.), dem Gewinner des mehrmals unterbrochenen Kandidatenturniers, steigt also der Kampf um die Schachkrone in dem futuristischen Bauwerk „Dubai Exhibition Center“. Vom 24. November bis zum 16. Dezember 2021 sitzen sich die Spieler gegenüber. Der Titelkampf ist auf 14 Turnierpartien angelegt. Vereinbarte Remis sind erst nach dem 40. Zug erlaubt. Die Veranstalter wollen so die bei WM Kämpfen hohe Remisquote senken. Bei Gleichstand nach 14 Partien geht es in den Tiebreak aus vier Schnellschach-Partien, danach in Blitzschach-Partien. Wenn es dann immer noch keinen Titelträger gibt, steht eine letzte Partie an. Die sogenannte Armageddon-Partie. Von Armageddon zu reden ist in Zeiten einer ausufernden Pandemie vielleicht etwas keck, aber auch irgendwie passend. Natürlich gibt es zum Titel auch ein bisschen Geld. Das Preisgeld beträgt zwei Millionen Euro, aufgeteilt 60:40 oder 55:45, wenn es in ein Play-off geht.

Auch Schach strebt nach Geld. Zwei Millionen Euro Preisgeld. (Collage: Gerd Altmann auf Pixabay)

Selbst das Schachgenie Magnus Carlsen wird eines Tages nicht mehr Schachweltmeister sein. Kaum vorstellbar, dass dieser Fall aktuell eintreten könnte. Sein Gegner, der Russe Jan Nepomnjaschtschi ist etwas überraschend zum Herausforderer geworden. Man rechnete eher mit einem gedrillten Wunderchinesen oder wieder mit Fabiano Caruana. Das Duell ist somit ein Wettkampf zwischen zwei „Alten“ im Schach. Nepomnjaschtschi zählt 31 Lebensjahre und gilt inzwischen bei Weitem nicht chancenlos. Der nervenstarke Mann mit dem Zopf hat durchaus Selbstbewusstsein und Können, um auch Weltmeister zu werden. Carlsen wird seinen 31. Geburtstag am 30. November während des WM Kampfes begehen. Beide kennen sich. Seit Kindertagen begegnen sie sich an den Schachbrettern der Welt. Als Carlsen 2013 den Weltmeister Anand entthronte, war Nepomnjaschtschi einer seiner Sekundanten. Viel wird aktuell über die bessere Bilanz von Nepomnjaschtschi gegenüber Carlsen geredet und geschrieben. Neun Partien spielten beide bisher im klassischen Schach gegeneinander, davon gewann Nepomnjaschtschi zwei, Carlsen eine. Sechs Partien endeten remis. Partien aus Schüler- und Jugendzeiten eingerechnet, sieht die Bilanz mit vier Siegen, einer Niederlage und 6 Remis noch günstiger für Nepomnjaschtschi aus. Die Glaskugeldeuter befeuern diese Bilanz seit Tagen. Dazu sei hier an den legendären Efim Geller (1925 – 1998) erinnert, einem der besten Schachspieler aller Zeiten. Geller hatte am Ende seines Lebens eine positive Bilanz gegen vier Weltmeister (Botwinnik, Smyslow, Petrosjan, Fischer) sowohl in den direkten Duellen als auch in der Gesamtheit aller Spiele gegen diese zusammen. Weltmeister wurde Efim Geller nie. So viel zu Bilanzen.

Efim Geller: Schrecken der Weltmeister. (Fotorechte: Russischer Schachbund)

Nicht nur Statistiken geistern durch die Medien. Ein anderes Thema ist wunderbar für jedwede Geheimniskrämerei geeignet und lässt sich wabernd durch die Zeilen jagen. Nepomnjaschtschi und seine Sekundanten können nämlich auf einen der schnellsten Supercomputer Russlands zurückgreifen, über den Wunderdinge erzählt werden, das Wort künstlicher Intelligenz macht die Runde. Man wird sehen. Magnus Carlsen als geschäftstüchtiger, moderner wie kluger Vorreiter einer neuen Schachära, lässt seine Sekundanten sicher auch nicht auf Schiefertafeln Züge durchrechnen. Unter der Woche gab der russische Herausforderer dem Guardian noch ein Interview, wo er den Supercomputer „Zhores“ vom „Skolkovo Institute of Science and Technology“ in Moskau auch in seinen Erfolg im Kandidatenturnier mit einbezog. Dieser hätte seinem Team in der Vorbereitung bei der Auswertung von Dutzenden von Millionen Positionen pro Sekunde geholfen. Nepomnjaschtschi bestätigte auch, dass er den Rechner erneut genutzt hat, um sich auf Carlsen vorzubereiten. Eine Merkwürdigkeit besteht darin, dass ein Boss vom Skolkovo-Institut, Arkady Dvorkovich, gleichzeitig Präsident des Schachweltverbandes FIDE ist. Es wird Magnus Carlsen weder überraschen noch aus der Bahn werfen. Vom Weltmeister gab es zu dem ganzen Vorfeldgeraune nur einen Satz: „Ich freue mich, auf jede erdenkliche Weise zu gewinnen.“ Nepomnjaschtschi muss Carlsen am Brett schlagen, nicht in der Analyse oder Vorbereitung. Der Russe hat einen auffälligen Mentalitätswandel hinter sich, ist kein schlampiges Genie mehr, sondern ein ernsthafter Herausforderer. Er nahm 10 kg ab, treibt jetzt Sport und trainiert intensiv vier bis fünf Stunden täglich am Brett. Er galt unter den Top 20 der Welt lange als der faulste Profi, schaute lieber Game of Thrones statt zu trainieren. Jetzt beschreiben ihn die Kenner der Szene als Vollprofi mit der richtigen Einstellung. Also alles, was sein norwegischer Konkurrent ganz natürlich in seinem Naturell hat.

Magnus Carlsen machte Norwegen zur enthusiastischen Schachnation.

Dieser Norweger Magnus Carlsen, ein bekennender Basketball- und Fußballfan, ist weiterhin ziemlich einsam auf seiner Höhe und längst der beste Schachspieler aller Zeiten, worin er mittlerweile selbst die Giganten Bobby Fischer und Gary Kasparow überflügelte. Sein Schach überragt sogar diese beiden Jahrhundertspieler. Carlsen ist außerdem eine globale Marke, darin ein erfolgreicher Geschäftsmann in der Vermarktung seines Erfolges und Ruhms. In Norwegen genießt er natürlich Kultstatus. In diesen Höhen kann es einsam werden. Aber Carlsen ist ein stabiler und kluger Charakter, der spätere Wahnsinn Fischers und das Missionarische von Kasparow sind ihm fremd, hindern nicht seinen Weg. Norweger sind geerdet und mit Ausgeglichenheit geschlagen, sicher kein Nachteil im Schach. Druck kann man einem wie Magnus Carlsen längst nicht mehr einreden. Er weiß um seine Position und seinen Nimbus, er kennt auch die Fallhöhe und die Zahl der Neider, den Ehrgeiz seiner Gegner. Bei Bedarf kann er sogar wie sein Gegenpart schlampig sein. Wo dieser Nepomnjaschtschi lieber Game of Thrones schaut, spielt Carlsen eine Partei auch mal schneller, um den Anpfiff eines Premier League Spiels nicht zu verpassen oder hinter dem Haus mit Freunden ein paar Körbe zu werfen. Carlsen ist wie stets fit und in guter Form. Normalerweise verbringen die Spieler die letzten paar Monate, bevor ein WM-Kampf beginnt, eher zurückgezogen in stiller Vorbereitung. Carlsen zog sich vor dem Match überhaupt nicht zurück, er spielte bis zuletzt ein- und dreiminütige Blitzpartien online, wobei er seine Gegner vom Brett fegte. Auf diese sehr ungewöhnliche Vorbereitung angesprochen, antwortete Carlsen: „Es sind ein paar verschiedene und einfache Faktoren. Meistens lag es daran, dass ich erkältet war und nicht wirklich viel rausgehen oder irgendetwas tun konnte. Aber ich denke auch, dass jede praktische Übung, die man bekommen kann, nützlich ist, besonders im Blitz.“

Bester Schachspieler aller Zeiten. Magnus Carlsen. (Collage: Dmitry Abramov auf Pixabay)

Die FIDE-Wertung der Spielstärke (Elo-Zahl) sieht Magnus Carlsen aktuell bei 2855 und Nepomnjaschtschi bei 2782. Ein deutlicher Abstand. Ex-Weltmeister Vishy Anand meldete sich kurz vor dem Wettkampf mit dieser Einschätzung zu Wort: „Nepomnjaschtschi ist der Typ, der keine Angst vor Magnus hat. Das ist wichtig. Denn diesen Respekt kann man ihm nicht entgegenbringen. Du musst daran glauben, dass du ihn schlagen kannst. Nepo tut es. Magnus hört dagegen nicht auf zu kämpfen. Das ist wahrscheinlich das, was die meisten Leute einschüchtert. Und er macht keine eklatanten Fehler, was bedeutet, dass seine Gegner ihr Level wirklich hochhalten und dann beibehalten müssen, um überhaupt einen Treffer zu landen. Das heißt nicht, dass Magnus nicht manchmal zusammenbrechen kann. Es gibt bestimmte Positionen, die er nicht mag. Aber es ist sehr schwierig, ihn überhaupt zu erwischen.“ Vorreden und Spekulationen enden. Nun steigt der Wettkampf. Das Schlusswort soll an Emanuel Lasker gehen, der von 1894 bis 1921 erstaunliche 27 Jahre den Weltmeistertitel in seinen Händen hielt:

Schach ist weder eine Wissenschaft noch eine Kunst. Es ist das, was die menschliche Natur am meisten erfreut – ein Kampf.

*Titelbild: PIRO4D auf Pixabay

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