Gesellschaft

Kanzler kam, Vorsitzender ging

Guten Job gemacht und den Abschied klug gewählt. Norbert Walter-Borjans war zwei Jahre Co-Vorsitzender der SPD. In der Doppelspitze mit Saskia Esken erst als Notlösung verlacht, dann als Leichtgewicht verspottet, später oft unterschätzt. Begleitet von unsäglicher und herabsetzender Medienhäme, hat seine Amtszeit die SPD wieder ins Kanzleramt geführt. (Was auch für die mit noch mehr Niedertracht, Häme und Mist überkübelte Saskia Esken gilt.) Gemessen an der desaströsen Ausgangslage der darniederliegenden SPD, der kurzen Amtszeit und dem erzielten Ergebnis ist Walter-Borjans vielleicht einer der erfolgreichsten Vorsitzenden der SPD-Geschichte. Ohne ihn nicht die neue Geschlossenheit der SPD, ohne ihn kein Kanzlerkandidat Olaf Scholz, ohne ihn keine wahlkämpfende SPD, ohne ihn kein funktionierendes Willy-Brandt-Haus. Am Einzug von Olaf Scholz ins Kanzleramt hat Walter-Borjans einen gewichtigen Anteil. Norbert Walter-Borjans ist 69 Jahre alt, hat nach der Wahl ohne Gedöns und unspektakulär seinen Rücktritt vom Amt und seinen Abschied aus der Politik verkündet. Jüngeren will er den Weg ebnen und nicht die Zukunft blockieren. Was für ein Gegensatz zum ewig und peinlich auf Ämterjagd befindlichen Friedrich Merz. Selbstbestimmt, ohne Druck und auf dem Höhepunkt eines Erfolges, der eng mit seinem Namen verknüpft bleiben wird, ist er nun gegangen. Solch eigenständige Rücktrittgeschichte ist selten in Deutschlands Politikgeschäft und noch seltener in der SPD. (Einschub: Nach einigen Kanzler-Phantomschmerzen und skurrilen Anmaßungen hat auch der Noch-CDU-Vorsitzende Armin Laschet einen anständigen Rückzug aus der 1. Reihe der Politik hinbekommen.)

Norbert Walter-Borjans war lange genug dabei, er kennt die Mechanismen der Politik und wird keine Illusionen hegen, was Regierungsbeteiligung und Kanzleramt für die SPD mitunter bedeuten. Dazu muss man nur an Gerhard Schröder und den Wahlsieg der SPD 1998 denken. Vielleicht weiß Walter-Borjans nur zu gut um alle Fallen, die nun auf die SPD warten und fühlte sich klug beraten, nicht für eine durchaus mögliche neue SPD-Schröder-Welt den Kopf hinzuhalten. Dieser Gerhard Schröder hatte das Kanzleramt kaum bezogen, da verhöhnte er schon die SPD, desavouierte deren Vorsitzenden Lafontaine auf offener Bühne mit Durchstechereien, welcher immerhin auch sein Finanzminister. Büchsenspanner für diese Schmuddelarbeit war Schröders Kanzleramtschef Bodo Hombach, Schröders weitere Helfershelfer und die Titelseiten der Gazette für Niedertracht. Gerhard Schröder bekämpfte später alles, was die SPD je ausmachte, mit gleichem Furor, wie er den Sozialstaat bekämpfte, wurde eine Galionsfigur neoliberaler Politik in Europa. So lang ist dieses noch nicht her, Walter-Borjans wird sich gut wie grausig erinnern. Vielleicht spielte diese Erinnerung auch mit in die Entscheidung hinein, auf dem Höhepunkt bei Sonnenschein zu gehen. Wer wollte es ihm verdenken? Man bewegt sich natürlich mit solchen Überlegungen immer im Reich der Spekulation. Ehrenwert bleibt dieser Rücktritt allemal, der ja eher ein konsequentes nicht mehr antreten war. Chapeau!

Norbert Walter-Borjans. Erfolgreich, integer, anständig, uneitel. (Screenshot, TV „Jung & Naiv“, 2020)

Ob Olaf Scholz zum Schröder wird oder werden will, muss abgewartet, soll nicht von vornherein unterstellt werden. Auf dem Parteitag vermied er Schröders großkotzige Breitbeinigkeit und dessen Herablassung gegenüber der eigenen Partei, was man Scholz durchaus positiv anrechnen sollte. Andere Vorzeichen lassen dennoch ungute Gefühle hochkommen. Jener neue Kanzler Olaf Scholz sitzt schon regelmäßig am Gnadentischchen der Gazette für Niedertracht und wertet diese auf. Erst beehrt er, wie übrigens auch Habeck/Baerbock, das Blatt bei einer Gala zu deren Selbstbeweihräucherung, dann stolziert er mit denen durch das Kanzlerbüro. Dieses Fachorgan der Querdenker, Impfgegner, Volksverhetzer und latenter Wissenschaftlerdiffamierung bekommt damit höchste Staatsweihen und Absolution. Die Autorin und SZ-Redakteurin Jagoda Marinić brachte ihr Erstaunen via Twitter zum Ausdruck: „Man hat Olaf Scholz seit seinem Amtsantritt mehr bei Bild gesehen als Merkel in all den Jahren. Ist das Sozialdemokratie?“ (Der Ehrlichkeit halber muss allerdings angemerkt werden, Angela Merkel konnte ausgezeichnet mit Friede Springer, musste also nicht persönlich in den Trog steigen und dort vortanzen.) Was würde wohl Norbert Walter-Borjans antworten? Sein Abschied schützt ihn vor solchen Fragen und scheint auch im Lichte dieses fragwürdigen Kanzlerbündnisses klug und rechtzeitig gewählt. Besser wird für die SPD in einem Bündnis mit der FDP höchstwahrscheinlich nichts mehr. Die Variante Schröder-SPD scheint sich nämlich vom Friedhof der Geschichte zu stehlen und erneut ihren Platz mitten unter uns zu etablierten. Wiederholt sich die Geschichte mit von Sozialdemokraten beförderten Segnungen für die Reichen und Verachtung für die sozial Abgehängten? Auf diese Antwort darf man durchaus gespannt sein. Norbert Walter-Borjans kann so oder so dafür dann nicht mehr in Haftung genommen werden. Diesen Kampf müssen andere ausfechten und darin vielleicht erfolgreicher sein, als der fahnenflüchtige Oskar Lafontaine es einst war.

Dem Mann, der sich mit dem Kürzel NoWaBo einen guten Namen machte, ist für alles, was Zeit und Zukunft ihm bringen werden, viel Gutes und stabile Gesundheit zu wünschen. In ihm hatten die kleinen Leute einen ehrlichen Anwalt. Die da unten haben selten Anwälte ihrer Interessen. Auch deswegen haben die da oben Walter-Borjans gerne medial diffamieren lassen. (Davon konnte auch SPD-Ikone Willy Brandt ein leidvolles Lied singen.) Norbert Walter-Borjans soll von dieser Stelle jedenfalls gedankt werden.

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