Gesellschaft

(Kleiner) Hoffnungsschimmer

Ein Mann des Volkes wird Präsident in Chile. Darauf schauen nicht nur Chilenen mit großen Erwartungen und heißen Herzen. Der Wahlsieg von Gabriel Boric bewegt weltweit die Gemüter, elektrisiert einfache Menschen und lässt sogar viele Verlorene und Opfer von Neoliberalismus, Globalisierung und Milliardärswahn wieder Hoffnung schöpfen.

John Pilger, Journalist, Autor, Dokumentarfilmer, vielfach ausgezeichneter Journalist englischsprachiger Zunge (Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter sagte einmal: „John Pilger ist furchtlos. Mit stählerner Aufmerksamkeit für die Fakten entdeckt er die schmutzige Wahrheit und sagt sie so, wie sie ist.“) nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses der chilenischen Präsidentenwahl:

John Pilger

Der Albtraum, der 1973 mit Pinochet in Chile begann, könnte endlich enden. Ein junger Reformer, Gabriel Boric, hat die Stichwahl gewonnen. In Chile haben Faschisten und die USA den Neoliberalismus eingeführt, ein Virus, das sich auf der ganzen Welt ausbreitet. Viva Chile!

Gabriel Boric

Gabriel Boric im Wahlkampf.

Der gewählte und neue Präsident Chiles (Gabriel Boric):

Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus war, wird es auch sein Grab sein.

Endgültiges Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Chile.

Gedankenstütze: Wer sich nicht mehr erinnert. Die gewählte Regierung Chiles unter Salvador Allende wurde 1973 auf direktes Geheiß der USA und persönliches Betreiben von Richard Nixon und Henry Kissinger aus dem Weg geputscht. Allende nahm sich im Kampf um sein Amt und als Beispiel von persönlichem Mut das Leben. Der General, Putschist und Verbrecher Augusto Pinochet, dem Kissinger später dankbar die Hand schüttelte, überzog Chile umgehend mit Mord, Totschlag, Folter und Verschleppung, übergab sein Land dann amerikanischen Wirtschaftsprofessoren um Milton Friedman. Dessen Prinzip verfolgt ein einfaches Ziel. Den Reichen alles und den Armen nichts, Gewerkschaften zerschlagen, den Staat zurückdrängen und dabei dem, was so wohlklingend wie anonym „Markt“ genannt wird, die totale Macht und absolute Priorität einräumen. (Dieser Allende hatte die in US Hand befindliche Kupferindustrie verstaatlicht und sie Chile zurückgegeben. Außerdem ließ er z. B. an arme Kinder Schulspeisung und ein tägliches Glas Milch umsonst ausgeben, nahm Arbeitnehmerrechte in die Gesetzgebung auf. Für die USA, wie für Pinochet und Friedman alles Teufelszeug gegen den Kapitalismus ihrer Färbung.) Chile wurde also zum Experimentierfeld für alles, was die Welt heute bedrückt und beschwert, Menschen ins Elend treibt, Umwelt und Natur zerstört. Genau dort wurde nämlich die Bühne bereitet für den in seinen globalen Exzessen wütenden Neoliberalismus.

Der Schlächter des chilenischen Volkes Pinochet setzte um, was ein akademischer Schreibtischtäter und dessen Handlanger den Menschen des Landes aufbürdete. Das Experiment fand dann Widerhall in der Politik des späteren US-Präsidenten Ronald Reagan (Reaganomics, „Chicagoer Schule“) und vor allem bei Margaret Thatcher in Großbritannien. Thatcher entrechtete die britische Arbeitnehmerschaft und erklärte den Bergarbeitern eine Art Krieg, bekämpfte und zerstörte Gewerkschaften, schuf dem Neoliberalismus seine erste europäische Bastion. Als viele Jahre später ein spanischer Richter gegen Pinochet ermittelte, stellte sich die Ex-Premierministerin Thatcher eifrig und vehement vor Pinochet. Spanier waren unter den Opfern der Pinochet-Militärdiktatur. Deswegen dieses Auslieferungsersuchen an die britische Regierung. Pinochet weilte in seiner Funktion als Senator und Ex-Diktator als Gast in Großbritannien. Der Auslieferung dieses Schänders seines Volkes wurde nicht stattgegeben. Über Thatcher und Pinochet war die Geschichte da allerdings längst hinweggegangen. Der Neoliberalismus zog dagegen siegreich um die Welt und wurde Triebkraft der Umgestaltung des ehemaligen Ostblocks. Die Menschen in den neuen Bundesländern konnten ihn in Form der Treuhand in vollen Zügen genießen. In Deutschland bereitete Gerhard Schröder dem Neoliberalismus mit seiner Regierung aus SPD/Grünen und deren „Agenda 2010“ endgültig die Bahn.

Nun schaut die Welt auf Chile und seinen neuen Präsidenten, der ein Mann des Volkes aus deren Mitte. Vor Jahrzehnten wäre auch er per Putsch beseitigt worden. In Europa wäre Boric, durch die Macht von Medienkonzernen, so diffamiert worden, dass er keine Chance bei Wahlen gehabt hätte. Man denke an Jeremy Corbyn in Großbritannien. Jetzt liegen unermessliche Erwartungen auf Gabriel Boric und den Menschen in Chile, die kaum erfüllbar. Dass Boric den Weg wagt und geht, fordert allein schon Respekt und volle Unterstützung wie Sympathie. Was daraus wird, ist abzuwarten. Es mag nicht viel sein, aber die kleine Hoffnung, vielleicht auch naive Illusion, diesen Bezos, Musk, Buffett und wie sie alle heißen, gehört die Welt künftig doch nicht ganz allein, ist zur Weihnachtszeit doch auch etwas wert. Venceremos.

Chiles Präsident Salvador Allende am 11. September 1973, wenige Augenblicke vor seinem Tod in einer letzten Ansprache an das chilenische Volk, während Putschisten schon den Präsidentenpalast bombardierten:

Sie sollen wissen, dass sich eher früher als später erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht. Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Werktätigen! Das sind meine letzten Worte. Ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat strafen wird. (Scheiße nochmal – Allende ergibt sich nicht.)

Salvador Allende (Screenshot spanische TV-Dokumentation)

 

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