Porträts

Anstand und Bücher

Ein Linker mit großem Herz hat uns verlassen. Hochbetagt, wie man es nachruftechnisch so nennt, ist dieser wunderbare Mensch im Alter von 91 Jahren gestorben. Zeit seines Lebens blieb er, was er war, ein aufrechter und anständiger Linker. Er driftete nicht wie so viele andere ab einem bestimmten Punkt ins rechte Lager oder gar zur Reaktion. Auch eine Lebensleistung. Berliner kannten ihn und lebten mit ihm. Wenn er am Blumenstand in der Knesebeckstraße einen frischen Strauß kaufte, den er zu Freude und zum Dank an seiner Mitarbeiterschaft morgens in den Verlag mitbrachte, konnte ihm jeder, der des Weges kam, begegnen und sich an seinem freundlichen wie klugen Lächeln erfreuen, mit dem der Tag besser wurde.

Klaus Wagenbach (1930 – 2021) mochte Menschen, besonders jene, die Bücher und Literatur schufen, möglich machten und die sie lasen. Der Verlag, der seinen Namen trägt und bis heute seine Unabhängigkeit kämpfend verteidigt und bewahrt hat, nicht zur Fließbandwelt der Literatur- und Buchindustrie gehört, war immer auf der guten Seite unseres Landes zu finden. „Die kleinen Unglücke sind unser täglich Brot“, beschrieb er einmal lächelnd den ewigen Kampf um das verlegerische Überleben. „LINKS und FREI“, Willy Brandts berühmte Sentenz, Klaus Wagenbach lebte sie. Politisch war Wagenbach immer knapp wie konkret, da ähnelte er Kafka in der Klarheit der Sprache. Einen aufdringlichen Reporter beschied er mit drei kurzen Wörtern: „Würden Sie sagen, dass sie Kommunist sind? Nein. Sozialist? Ja. Marxist? Ja.“ Er war theoretisch beschlagen, belesen wie bewandert, dabei dennoch kein ideologischer Linker, sondern einer der weltklugen und sinnenfrohen Lebensart. So jemand liebte Italien, natürlich die Renaissance, guten Wein und gutes Essen. Kein Wunder, dass besonders Italien in seinem Verlag bis heute immer eine wichtige Rolle spielt. Warum Linke nicht auch gut leben und schlemmen sollten, ging ihm nicht ein. Dröge Lustfeindschaft und aufgesetzte Verbissenheit bedachte er gnädig mit einem milden Lächeln. Doch bei aller persönlichen Lebenslust und Freude, Herz und Hirn gehörten vor allem den Büchern und der Literatur. Wagenbach nannte sich selbst scherzhaft „die letzte Witwe Kafkas“. Zeit seines Lebens war Franz Kafka ein Autor, mit dem er sich persönlich beschäftigte. Er liebte Kafkas klare Sprache, so einfach dafür seine Erklärung. Kafkas „Jemand musste Josef K. verleumdet haben“, war ihm literarische Offenbarung und Wunder zugleich. „Klare Sprache, fantastische Welt, seltsame Inhalte“, so beschrieb er Kafka.

Klaus Wagenbach. Der Verleger und seine Bücher. (Screenshot aus Doku „Das Herz sitzt links.“)

Über Klaus Wagenbach und seinen wunderbaren Verlag könnte man Romane schreiben, dies soll hier nicht angedroht werden oder gar geschehen. Es ist ihm aber zu danken für viele Jahrzehnte toller Bücher, für einen progressiven Verlag und viele Wortmeldungen, sobald in diesem Land etwas in die falsche, also die rechte Richtung lief. Mit Wagenbach verlieren Anstand und Integrität einen der besten Anwälte auf Erden. Dieser alte und im Kopf immer junge Linke wird fehlen, an vielen, vielleicht allen Ecken. Sein Haus, also den Klaus Wagenbach Verlag, hatte er schon lange gut bestellt. Eine Geschichte, die viel über Klaus Wagenbach sagt, soll hier noch erinnert werden, in seinen Worten wiedergegeben. Nebenbei war dieser Mann auch noch ein glänzender und pointierter Erzähler. Was gleich folgt, wurde in einem Dokumentarfilm über ihn („Das Herz sitzt links. Klaus Wagenbach“; Autoren: Margit Knapp und Arpad Bondy; 2005) von ihm selbst erzählt. Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger war der junge Linke Klaus Wagenbach Lektor des Samuel Fischer Verlages, die aus dem Exil zurückgekehrten Besitzer ließen ihn machen. Dann verkauften sie den Verlag und nun übernimmt Wagenbach die Geschichte:

Ich habe miterlebt, wie sie sich aus dem Verlag zurückzogen und ihn am Ende verkauften. An einen – da bleibe ich höflich, wenn ich das sage – sehr konservativen Herrn Georg von Holtzbrinck. Der hat dann den Verlag mal durchgesehen und da war ich fällig. Dann wurde ich in den Frankfurter Hof zitiert, niedergebrüllt und gefeuert. Also ich saß da als 33-Jähriger, aber schon mit drei Töchtern und wusste nicht weiter.

Aus dem „nicht weiter wissen“ und nach Beratung mit Freunden, zu denen auch Günter Grass und Hans Werner Richter gehörten, kam die Erkenntnis, ein arbeitsloser linker Intellektueller hat im CDU-Staat Bundesrepublik wenig bis keine Chancen. So wurde die Idee des eigenen Verlages geboren und in ihrer Konsequenz stand dann die Gründung „Verlag Klaus Wagenbach“. Dafür und für so viel mehr bleiben wir Klaus Wagenbach über den Tod hinaus dankbar. Abschließend ein Zitat, fast ein Lebensmotto von Klaus Wagenbach aus der Feder des Wagenbach-Autors Robert Pinget:

Der Optimismus ist ebenso ungewiss wie der Pessimismus, aber seine Gesellschaft ist angenehmer.

Signet Verlag Klaus Wagenbach

*Titelbild: Screenshot aus Doku-Film „Das Herz sitzt links. Klaus Wagenbach“ (2005)

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