Porträts

Danke Fitz!

Danke Robbie Coltrane! In „Cracker“ (1993 – 1995) spielte er sich in den Olymp der Schauspieler, so wie viele Jahre nach ihm James Gandolfini als Tony Soprano oder Bryan Cranston als Walter White. Dem Mainstream bleibt Robbie Coltrane natürlich aus der traumhaften Kinderwelt der Harry Potter-Filme in Erinnerung, wo er den riesenhaften und liebenswert raubeinigen Wildhüter Rubeus Hagrid vollendet gab. Sein Dr. Edward Fitzgerald (genannt: Fitz) aus „Cracker“ (Deutscher Titel: „Für alle Fälle Fitz“) haben viele Harry Potter-Fans altersbedingt vielleicht nie gesehen. Schade. In der Eröffnungsszene wirft er den staunenden Studenten der psychologischen Fakultät von Manchester die Fachliteratur und alle großen Psychologen in Form von Büchern vom Pult direkt mit Kraft an den Kopf. Dann hält er einen brillanten Vortrag, was er nur macht, weil er ständig pleite. Die Pleite kommt hauptsächlich von der Sauferei und der Spielsucht. Was Robbie Coltrane aus einem klebrigen und ständig schwitzenden Fettwanst mit mehr Lastern als Moral macht, breitet sich vor dem Zuschauer wie ein Shakespeare-Drama aus. Nie hat es wohl einen größeren Antihelden in einer TV-Serie gegeben. Fitz betrügt bei Geldmangel alles und jeden, auch die schwangere Frau, die von ihm begehrte Polizistin sowieso. Sogar die eigenen Kinder. Fitz ist ein Abgrund und Coltrane zeigt ihn den Zuschauern in aller Schonungslosigkeit als liebenswertes Scheusal. Man kann sich dem Sog nicht entziehen und mag diesen Fitz von Folge zu Folge immer mehr. Nie schmeißt sich Coltrane an den Zuschauer ran oder erhebt sich der Schauspieler über die Rolle. Er stellt seine Figur niemals bloß. Darin ist ganz große Schauspielkunst zu finden. Vor allem Wucht, wie sie wohl aktuell nur noch Brian Cox als Logan Roy in „Succession“ bietet.

Kette rauchender Säufer mit Spielsucht und brillantem Verstand: Fitz (Robbie Coltrane) – (Screenshot „Cracker“)

Die Drehbücher der Serie „Cracker“ stammten von Paul Abbott, ein Genie unter den Drehbuchschreibern englischer Zunge. In Coltrane als Fitz fand Abbot einen kongenialen Partner für seinen harten Stoff. Und hart ging es zu. Selten wurden Dreck, Verfall und Abgründe der britischen Gesellschaft so nach oben gespült, die soziale Schattenseite schonungsloser aufgezeigt. Mittendrin aus Gründen des Gelderwerbs und auch der Arroganz geistiger Überlegenheit eben Fitz als eher ungeliebt geduldeter Teil einer in Manchester ermittelnden Polizeitruppe. Ein Psychologe mit genialem Verstand, der meistens im zu engen und speckigen Anzug unterwegs. Jeder Lügner und Betrüger, aber auch Mörder oder Psychopath wird von ihm erwischt, weil er oftmals bis zum Punkt des eigenen Verderbens in deren Seele kriecht. Viele Fälle von „Cracker“ gehen aus, aber nicht immer gut und schon gar nicht mit Hollywood Happy End, sondern in grausigen Finals, die oftmals auf allen Seiten nur Verlierer zurücklassen. Wer der „Heile, heile Gänsje – Welt“ entrückt oder entkommen, der sollte einmal im Leben „Cracker“ gesehen haben. Coltranes schauspielerische Meisterleistung ist zeitlos und bis heute zum Niederknien. Am 14. Oktober 2022 ist dieser Ausnahmeschauspieler im Alter von 72 Jahren gestorben. Möge er in Frieden ruhen und die Erde ihm leicht sein.

*Titelbild: Interview Robbie Coltrane mit Movie Times im Dezember 2021 (Screenshot: Movie Times)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert