Gesellschaft

Lobbyland

Wer im Sinn von Engelmann und Wallraff immer noch nicht weiß, wer oben und wer unten, dem ist nicht zu helfen. Der könnte im Krieg der Reichen gegen die Armen nicht nur Übersicht, sondern auch sein kärgliches Dasein schnell verlieren. Dabei weiterhin naiv glauben, die Pandemie und der Ukrainekonflikt seien einzig schuld, ansonsten würde man seine kleinen Rücklagen, die Otto und Trude Normalverbraucher immer noch für eine Art Wohlstand halten und wofür sie sich krummlegen, nicht antasten müssen. Ein aktuelles Beispiel für oben und unten. Die unten staunen Bauklötze, wenn sie die horrenden und explodierenden Preise in Supermärkten sehen und zahlen müssen, weil sie einiges von dem Zeug brauchen. An der Kasse haben die Leute vielleicht den Bundeswirtschaftsminister im Ohr, der uns dreimal täglich beibiegt „wir“ müssen uns einschränken, Opfer bringen. Bleiben also „wir“ noch einen Moment im Supermarkt, aber diesmal oben. Der Lidl-Erbe Dieter Schwarz verfügt über ein Vermögen von 46 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 waren es „nur“ 19 Milliarden Euro. Ein Zugewinn von 27 Milliarden in zwei Jahren gescheffelt. Eine Leistung! Leistung? Blicken wir nun von dieser schwindelerregende Höhen des Reichtums in Richtung derer, die für jene da oben die Niederung des Lebens regieren müssen. Wo all jene Massen sich tummeln, die zum unten gehören, bei denen die massive Ungleichheit im Land einzig abgeladen wird und die latente Opfer des neoliberalen Wahns vom Wachstum sind.

Gesellschaftsporträt von brennender Aktualität aus  dem Jahr 1973. Lesen hilft.

In dieser Regierung, die jene unten in Schach halten muss, damit die oben Ruhe haben, agiert wie ein Feldprediger der Dreiämtermann Robert Habeck als Vizekanzler, Wirtschaftsminister und Klimaminister. Sein Ministerium hat dieser Tage den Offenbarungseid geleistet, für wen man Politik macht. Bei der Gasumlage geht es nicht nur um die Rettung von Unternehmen. (Es ist übrigens die größte Erfolgsgeschichte der neoliberalen Agenda, Staaten so umgebaut zu haben, dass diese auf Kosten ihrer Bürger Unternehmen und Banken retten, dabei den Leuten allen Ernstes verkaufen, dies geschehe im Interesse der Menschen und des Landes. Die dafür nötige Verblödung des Bürgertums – die schon Tucholsky 1931 in der Weltbühne attestierte – haben Medien bestens zementiert.) Bei dieser Gasumlage geht es eindeutig um die Stabilisierung von Konzern- und Firmengewinnen. Zur Gasumlage fällt der während der Bundespresskonferenz hüstelnden Sprecherin von Robert Habecks Ministerium ein: „Wir stehen auf dem Standpunkt, dass ein Unternehmen auch Gewinne machen muss.“ Übersetzt heißt das nichts anderes, als dass die Kundschaft, also die Verbraucher, mit der Gasumlage auch die Profite von vielen Unternehmen absichern, die sich jetzt für die Gasumlage registrieren lassen. Auch Konzerne, die fette Profite einfahren, können sich ihre Gewinne auf Kosten der Bürger also dreist absichern. Platter formuliert, die Solidarität gilt den Konzernen. Man ging in der Bundesrepublik einmal davon aus, den demokratischen Grundkonsens durch sozialen Ausgleich einigermaßen zu gewährleisten. Davon wird nur noch geredet, die Taten sind längst anders gestrickt. Das Soziale war einst Mittel zum Zweck, den Kapitalismus attraktiv zu halten, jetzt wird dieses Mittel ausgedünnt und abgeschafft. Es geht einzig um Konzerninteressen und nicht um Menschenwürde oder gar Menschen. Abgesehen von solcher Sorte Mitbürger, die in zwei Jahren aus 19 Milliarden flott 46 Milliarden machen. Davon gibt es einige. Diese können sich auf die Politik immer verlassen. Was sie benötigen, wird geliefert. Bei Bedarf eben auch eine Gasumlage. Zahlen muss diese Zechen auf jeden Fall jemand. Nämlich die da unten.

Weltkarte mit jenem Staat (rot), der eine Gasumlage eingeführt hat.

Damit kommen wir vom Dreiämtermann Robert Habeck nun zum Generalissimus am Kabinettstisch, dem FDP Vorsitzenden Christian Lindner, Finanzminister zum Genuss derer da oben und zur Pein derer da unten. Als Kompass in Sachen oben und unten hilft immer die FDP und allen voran deren aktueller Chef. Der fiel unlängst als Verkehrspolitiker und Soziologe mit einem Hauch Psychologie-Studium auf. Da las er der „Gratismentalität“ der Deutschen die Leviten, von denen ca. 30 Millionen Menschen frech den Vorteil des 9-Euro-Tickets genutzt haben. Da Vorstände von Dax-Unternehmen, Großspender der FDP und Milliardäre wohl eher nicht für 9 Euro durch die Bahngegend gondeln oder gar so in ihre fernen Domizile abreisen, könnte es hier schon den Hinweis geben, wen Lindner mit dieser sprachlichen Herabsetzung meinte. Seinesgleichen (oben) wohl eher nicht. Bei Christian Lindner blitzte der Zorn in Sachen gratis offenbar mächtig auf. Er analysierte in geistiger Hochform, das 9-Euro-Ticket wäre wohl sowieso nur eine Sache der Antifa. Es wurde vor der FDP-Parteizentrale demonstriert, das waren viele linke Gruppen, Antifa zum Beispiel und andere, und die setzen sich dafür ein, dass das 9-Euro-Ticket verlängert wird.“ Da staunte der deutsche Michel nicht schlecht unter seinem Zipfelmützchen. Bei 30 Millionen Nutzern des 9-Euro-Tickets könnte man ja zu dem Schluss kommen, es gäbe 30 Millionen Antifaschisten in diesem Land, da müssten bei den Apologeten des Neoliberalismus laut die Alarmglocken schellen. So viel Antifaschisten wären ja der Untergang des Abendlandes, wie die Eliten es sich gebastelt und nicht gut für den aktuell vorgegebenen Marschtritt, der von überall dröhnt und prächtig ihre Gier bedient.

Mit jenen da unten, die die Kreise derer da oben nur stören, haben Lindner und seine FDP niemals etwas am Hut gehabt. Und genau jene da unten hatten doch die Frechheit, ausgiebig etwas Preiswertes in Anspruch zu nehmen. Steuerentlastungen und Lobbydienste für Milliardäre und Konzerne, dafür ist die alte Pendler- und Klientelpartei FDP zu haben, für die da oben immer und stets bereit. Wenn der Plebs da unten aber seine kleinen Kuchenkrümel aufleckt, versteht das deutsche Aushängeschild des neoliberalen Gesellschaftsumbaus keinen Spaß, deren Parteivorturner Lindner schon gar nicht. Der turnt allerdings nicht nur vor, sondern denkt auch nach. Das allerdings zum Leidwesen vieler Zeitgenossen, zumal derer, die das 9-Euro-Ticket nutzten und als Ersparnis brauchten. Das Motto der FDP, die regelmäßig bei der Bekämpfung der Armut an die Bekämpfung der Armen denkt, könnte auch lauten, lieber ein vollgetankter Porsche als eine billige Bahnfahrt.

Christian Lindner (Screenshot ARD-Tagesschau)

Der die Antifa entlarvende Lindner konnte übrigens aus Koalitionsverhandlungen mit einem Autoboss kommunizieren, der zufällig noch die Kutsche vom Band lässt, die Linder so gerne fährt. Dabei wurde jener Autobauer chattend wie bittend abgefragt, was noch ins Koalitionspapier soll und ob die Autoindustrie zufrieden sei. Später, Lindner ist längst der mächtigste Minister in Deutschland, sind natürlich er wie die Autoindustrie selbstredend keine Freunde von sozial erschwinglichen Billigtickets für den Nahverkehr, also vollzieht der Vorsitzende der Klientelpartei des Neoliberalismus deswegen den Todesstoß gegen das 9-Euro-Ticket. Wo käme man schließlich hin, wenn der Pöbel billig zur Arbeit fährt und später noch an schöne Orte reist? Dort noch die da oben mit seiner Neugier und Reiselust beim Verprassen von Reichtum beobachtet und während der habgierigen Ruhe stört. Unser Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD sehen Lindner und den neoliberalen Eliten beim Ordnen des Landes zu wie durch ein Loch im Zaun des feinen Golfklubs, auf dessen Grün sie keinen Zutritt. Derweil die politischen Grünen auf der Suche nach schwere Waffen von sozialem Gedöns, welches sie nie interessiert hat, nicht gestört werden wollen.

Neoliberaler? Grüner? Künftiger Kanzler? Kriegsminister? Das Rätsel Habeck. (Screenshot: ARD)

Bei der Gasumlage liegen Lindner und Habeck natürlich traulich im gemeinsamen Bett des Neoliberalismus, um dessen Gesellschaftsmodell weiter voranzutreiben. Den Millionen Menschen, die schon jetzt nicht wissen, wie sie kommende Nebenkosten stemmen sollen, gehört dabei die Aufmerksamkeit von Lindner und Habeck wahrlich nicht. Manche dieser Menschen stellen schon die wütende Frage, ob wir Bürger nun dem Energiekonzern Uniper die Milliarden-Abschreibung auf Nordstream 2 bezahlen, weil unsere Regierung diese auf Geheiß der USA nicht öffnet. Andere lästern sogar frech und unbotmäßig in eine dunkle Richtung und grübeln darüber nach, ob etwas faul sein könnte, weil doch der ehemalige FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister a. D. Philipp Rösler, Aufsichtsrat bei der Fortum Corporation ist, wovon Uniper eine Unternehmenstochter. Was die Leute aber auch alles so reden und denken. Eben böse Zungen und den Segnungen des Neoliberalismus gegenüber sehr undankbare Bürger. Bevor die sich heißreden und noch in Rage geraten, wird man sie im Winter frieren lassen, dann kommen die schnell und fröstelnd auf andere Gedanken.

Die FDP reibt sich derweil ob ihrer vielen Erfolge die Hände und amüsiert sich, wie leicht ihre Verdrehungen und Umkehrungen zur Blendung einer breiten Öffentlichkeit immer wieder funktionieren. Robert Habeck reibt mit. So gehört eine Übergewinnsteuer laut FDP-Propaganda nicht in die Marktwirtschaft, aber eine Gasumlage für Krisenverlierer ist vollkommen in Ordnung. Es passt gut ins Bild der Verachtung gegen normale Verbraucher, auch kleine Leute genannt. Diese zahlen allein die Zeche für den entfachten Sanktions- und Wirtschaftskrieg gegen Russland, indem man sie über die Gasumlage zur Kasse bittet. Womit dann Gas von US-Konzernen gekauft wird, die Extrempreise verlangen, um fette Profite zu erzielen. Der Neoliberalismus in Reinkultur und wieder eine Schlacht, welche die Reichen mit der Hilfe von Politikern gegen die Armen gewinnen.

Wessen Lied ich singe, dessen Gas ich teuer kaufe. Welches Gas der Deutsche nutzt, wird längst mehr in Washington als in Berlin bestimmt.

Mitten in diesem Wahnsinn, der stark von seinen Ministern und den dominierenden Kleinparteien FDP und Grüne ausgeht, wobei die Frage nach der SPD etwas detektivisches hat, weil niemand weiß, ob es diese noch gibt, steht der Bundeskanzler. Olaf Scholz wirkt zwischen Getrieben und Agonie längst nicht mehr als ein gestaltender Akteur. Scholz bleibt dennoch, darauf muss man achten, der letzte wacklige Garant, so merkwürdig dies auch klingen mag, der dieses Land nicht dem Willen der Konzernmedien ausliefert, die aus einem fernen endlich einen nahen Krieg herbeipropagieren möchten. Krieg wäre ihr glänzendes Geschäft. Weil er sich noch zaghaft wehrt, wird Scholz von einer Art Einheitsmedienfront runter- und niedergeschrieben, stolpert oftmals selbst verschuldet in mediale Kampagnen und Fallen. Dabei schlecht beraten. Wenn nämlich Baerbock, Merz oder Habeck das Kanzleramt bevölkern, wäre eine Forcierung des Krieges, wie es sich jene Blätter der Niedertracht wünschen, auf der Tagesordnung. Insofern sollte jeder, der jetzt schon den Stab über Scholz gebrochen hat, noch mal nachdenken. Dieser zeigt sich allerdings von einer Naivität, dass einem die Haare zu Berge stehen. Als hätte der Bundeskanzler die Profitgier und Menschenverachtung von Konzernen und deren Lenkern noch niemals wahrgenommen, appelliert er tatsächlich an den Anstand neoliberaler Wirtschaftseliten via Twitter und „erwartet“ deren Beitrag für Zusammenhalt und Gerechtigkeit. Als würde man vor der Hinrichtung im Angesicht eines Henkers und dessen Beil diesen bitten, einen nicht zu schneiden:

Wer von den Menschen in diesem Land noch hinhört, vernimmt zwischen Gasumlage, Porscheinteressen und 9-Euro-Ticket noch das Säbelrasseln der Marie-Agnes Strack-Zimmermann und sollte deshalb die Ohren spitzen wie den Verstand mobilisieren. Diese hobbymilitärische Mischung aus verbaler Kampfdrohne und künftiger Generalfeldmarschallin appelliert nämlich martialisch an unsere Opferbereitschaft im gegenwärtigen und kommenden Kampf, mit dem sie die (noch) Fernauseinandersetzung gegen Putin gewinnen will. „Das wird von uns allen auch persönlich Opfer erfordern, schwach sollten wir trotz alledem nicht werden“, sagt die oberste Bellizistin jener FDP, die gerade die oben (Gasumlage) gesponsert und die unten (9-Euro-Ticket) getreten hat. Wie die FDP dabei ihre eigene Unverfrorenheit auch noch ins Schaufenster stellt, verdient fast Bewunderung. Die Opfer, die jene Agnes anmahnt, hat natürlich der Plebs zu erbringen. Strack-Zimmermann benutzt ihr „uns“ so wie Habeck sein „wir“. Dennoch schrecken immer noch sehr viele Menschen vor dem Wort Klassenkampf zurück, der in Realität längst im Gange. Ein Klassenkampf von oben im tobenden Krieg der Reichen gegen die Armen, auf den ausgerechnet einer von der Seite der Sieger, der Multimilliardär Warren Buffett, schon 2006 die Menschen öffentlich aufmerksam machte.

*Titelbild: Graffiti an einer deutschen Fabrikruine (Twitter)

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