Gesellschaft

Manipulation der Meinungsschraube

Man darf nicht den Versuch machen, die deutschen Leitmedien alter Prägung bei ihren Lügen zu fassen. Bei ihren Auslassungen und Weglassungen muss man sie packen. Im aktuellen Fall Macron und Scholz in Bezug auf die Absage eines deutsch-französischen Ministerrates durch Frankreich kann man diese Aus- und Weglassungen, durch die sich Meldungen und Nachrichten natürlich verändern, bestens erkennen. An der wackeligen Meinungsschraube wird nicht nur gedreht, sie wird längst Tag für Tag manipuliert. Als Peter Scholl-Latour anlässlich seines 90. Geburtstages im März 2014 Ramon Schack ein Interview gab, hat dieser letzte alte Fahrensmann einer großen Journalistenära viele bemerkenswerte Sätze gesagt. Auch jenen: „Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung.“ Scholl-Latour bezog sich konkret auf die Fehlinformationen und Falschmeldungen in der Ukraine-Berichterstattung (2014!). Was würde er wohl heute sagen? Vor allem staunen, weil man ihn in sozialen Medien, der grünen Parteilandschaft, in konservativen Edelblättern und öffentlich-rechtlichen Anstalten als Putin-Freund denunzieren täte. An anderer Stelle des Interviews sagt Scholl-Latour: „Die Globalisierung hat in der Medienwelt zu einer betrüblichen Provinzialisierung geführt.“ Schauen wir also auf das aktuelle Beispiel von Massenverblödung und Provinzialisierung sowie die Werkzeuge von Aus- und Weglassungen. Da geht seit gestern ein Gespenst durch die Medienlandschaft, welches für Macron gegen Scholz Partei ergreift. In den Storys wird Macron erneut verklärt und als visionär, also gegenteilig zu Scholz dargestellt. Den Medien-Konsumenten wird untergejubelt, wie vorausschauend und europafreundlich Macron und wie dringlich seine Warnung vor deutscher Isolation. So weit, so gut. Schwimmen wir Leser, Zuschauer und Hörer dabei noch in der Medienflut oder ersaufen wir längst in Propaganda? Darüber nachdenken ist legitim.

Wem nützt sie? Wo fängt sie an, wo hört sie auf? (Bild: Tayeb MEZAHDIA auf Pixabay)

Denkende Endverbraucher von Medien riechen den fetten Braten aus faulem Fleisch dann doch, dass Macron erhöht und Scholz herabgesetzt werden soll. Wofür ein Grund auf der Hand liegt. Deutsche Medien schlagen die Kriegstrommel und suhlen sich mit dem grünen Bellizismus im Bett. Der außenpolitisch von Amts wegen als ein Beschwichtiger agierende Scholz, der weiter denken und das „danach“ auf dem Schirm haben muss, ist nicht im rasselnden Mediengleichschritt wie Annalena Baerbock und bekommt dies täglich vom Marschtritt dieser Medien zu spüren. Deswegen sieht Scholz nun wie der tumbe Tor aus und Macron bekommt die deutschen Medienscheinwerfer in ihrer Glanzversion für seine Deutlichkeit, klare Ansagen, festen Kurs und starkes Wollen. Man staunt über diesen Helden. Alles Bullshit, Unwahrheit und Tünche. Man muss nur hinsehen, wozu deutsche Medien offenbar nicht willens oder in der Lage, deshalb so schamlos Aus- und Weglassen. Nämlich den Blick wenden und in Eigenregie über den Gartenzaun zu Nachbar Frankreich schauen. Im Zeitalter von enormen und verfügbaren neuen Kommunikationsmöglichkeiten und sozialen Medien – im Guten wie im Schlechten – frönen deutsche Medien weiterhin ihrem eigenen Irrglauben, es bedarf ihrer trägen Maschinerie von Auslandskorrespondenten, um uns Esel zu informieren. Mit der Haltung gehen sie ihrer Nichtarbeit nach und hauen uns die internationalen Taschen voll, dass die Nähte platzen. Bei ihren Abwägungen in Sachen Macron hier und Scholz dort sind die Auslassungen dramatisch. In Verherrlichung des französischen Präsidenten wird jener heimische Sturm, der gerade über den Macronismus hinwegbraust, einfach ignoriert und den Deutschen nicht vermittelt. Es würde ja das gezeichnete und uns vorgegaukelte Bild verändern. Also lässt man es lieber gleich weg, damit die eigene Erzählung stimmig bleibt, Wahrheit hin oder her.

Französische Nationalversammlung. In Opposition zu Macron. (Foto: David Mark from Pixabay)

Was in die Erzählung und die Beurteilung der angeblichen Fehde Macron und Scholz gehört, in der deutsche Medien den Helden (Macron) und den Schurken (Scholz) bereits für uns festgelegt haben, sind die aktuellen heimischen Verhältnisse des französischen Präsidenten. Macron steht innenpolitisch längst ohne Hosen in der französischen Landschaft. Er bekommt sie, weil ihm die Parlamentsmehrheit fehlt, nur noch an, wenn Marine Le Pen seiner Regierung (Ministerpräsidentin Élisabeth Borne) die Stimmen ihrer Rassemblement National verschafft. Dieses organisiert Le Pen, wenn es um Sozialabbau und Einschränkung von Bürgerrechten geht. In den Feldern liegen Le Pen und Macron schon lange auf dem neoliberalen Laken, haben eine unausgesprochene Koalition. Worüber hierzulande ebenfalls nicht berichtet. Andere Politikfelder sind (noch) Kampfelder. Marine Le Pen geht von Woche zu Woche in der französischen Nationalversammlung die Brüssel-EU und Deutschland immer frontaler an, fordert von Macron eine härtere Gangart in diese Richtungen. In der französischen Bevölkerung weiß sie um den Anklang ihrer Schelte. Macron ist also nicht so frei in seiner Außenpolitik, wie er vorgibt, es zu sein und wie deutsche Medien es behaupten. Wenn Le Pen ihn im Parlament hängen lässt, ist er dort eben in der Minderheit und ihre Zügel werden straffer. Marine Le Pen muss die rechte Lufthoheit gegen Eric Zemmour behalten und hat deshalb den bestialischen Mord an einer 12-Jährigen zum letzten Anlass genommen, gegen die Regierung Borne am kommenden Montag einen Misstrauensantrag einzubringen. Die schreckliche Tat hat ganz Frankreich aufgerührt und wurde offensichtlich von einer illegal im Land befindlichen Algerierin verübt, die sich seit Ende September nicht mehr hätte in Frankreich aufhalten dürfen. Viele Migranten kommen einer vorliegenden Ausweiseverfügung schon lange einfach nicht nach. Der Mordfall hat dieses Thema erneut in den Fokus gebracht und Marine Le Pen setzt den Hebel dort an.

Le Pen wittert Chancen und treibt Macron. (Foto: Französisches Parlaments TV, 18.10.2022)

Es ist nicht anzunehmen, dass die linken Parteien bei einem Misstrauensantrag ihrerseits ausgerechnet dem Macron-Parteienlager helfen. Dennoch wird es kein gemeinsames Abstimmungsverhalten der Linken mit Marine Le Pen geben, insofern könnte es Macrons Regierungslager durchaus erneut schaffen. Aber die Dinge ungelöster Alltagsprobleme kommen immer stärker in Bewegung und rutschen dem Macronismus weg. Es wird also eng für eine Regierung, die zentraler Teil der Konsultationen im Rahmen des Deutsch-Französischen Ministerrats. Insofern ist die hochgepuschte Absage, die in Wirklichkeit eine Verschiebung, ein sehr klar erkennbarer innenpolitischer Akt von Macron und kein europapolitischer Akt oder gar eine Neujustierung der französischen Außen- wie Deutschlandpolitik. Was Macron als Stärke verkauft, ist nur seine Schwäche. Von der linken Seite (NUPES) hat Emmanuel Macron ebenfalls nichts zu erwarten, dort steht man seiner neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in Feindschaft gegenüber. Diese Linke weiß die Straße zu mobilisieren, kann dabei auf Unterstützung von Gewerkschaften und Gelbwesten zurückzugreifen. Am letzten Wochenende immerhin 140.000 Menschen gegen Preistreiberei bei Lebensmitteln und die grassierende Energiepreisexplosion auf den Straßen der Hauptstadt. Den Demonstranten ist klar, wer für diese schlechten Ergebnisse von Politik zuständig: Emmanuel Macron.

Proteste gegen hohe Lebenshaltungskosten sind längst Proteste gegen Präsident Macron. (Bild: Paris am 16.10.2022, Twitter/Tweet von Louis Boyard)

Emmanuel Macron kann also innenpolitisch nur noch auf Treibsand bauen und ist überhaupt nicht der große Staatsmann, den deutsche Medien uns weiterhin verkaufen. Nicht weil ihm das Format, sondern weil ihm der Rückhalt fehlt. Neoliberalismus schadet jedem Volk und macht allein eben noch keinen Staatsmann. Dieses zu berichten, wäre Pflicht der Medien, wenn sie uns ihre krumme Erzählung von Macron gegen Scholz aufnötigen. Frankreichs Präsident ist ein tönerner Riese, der Erfolge auf Nebenkriegsschauplätzen benötigt, um daheim den Rücken etwas freizubekommen. Da kommen ihm eine schwache deutsche Regierung und ein Heer nützlicher Idioten und willfähriger Propagandisten in seiner Sache aufseiten deutscher Medien sehr gelegen. So spielt er den außenpolitisch starken Mann und Europäer, den ihm in der eigenen Heimat niemand mehr abnimmt. Den von deutschen Medien gemalten Präsidenten der Republik kennen die Franzosen nicht, weil es diesen so nicht gibt. Am desolaten Zustand Europas und einem latenten Kotau vor US-Interessen, da sind sich französische Medien ziemlich einig, hat Emmanuel Macron so viel Anteil wie Olaf Scholz.

Olaf Scholz mag kein Willy Brandt oder Helmut Schmidt sein. Doch Emmanuel Macron ist auch kein Charles de Gaulle oder François Mitterrand. Seine Ablenkungs- und Täuschungsmanöver gelingen dem französischen Präsidenten nicht mehr. Nur mit einer Ausnahme. Die deutschen Medien verkaufen ihn weiter als Erfolgsgeschichte. Leider geben sie dabei durch Aus- und Weglassungen ihr Macron-Ideal an uns Verbraucher weiter. Genau dadurch wird aus schlampiger und bewusst verbreiteter unvollständiger Berichterstattung auf die zynisch dummfreche Art umgehend Desinformation oder sogar Propaganda. Doch um Scholz eine reinzuwürgen, geht man eben auch diesen Weg. Man ist ihn ja gewohnt, weil man ihn oft beschritten. Eben das typische Agieren von Konzernmedien, die nichts mit Journalismus zu tun haben, diesen aber behaupten, indem sie ihn beanspruchen und propagieren. Damit kommen wir nochmals auf das Interview von Peter Scholl-Latour aus dem Jahre 2014 zu sprechen. Dort sagte der damalige Jubilar auch: „Die fatale Auszehrung des politischen Personals in Europa hält an.“ Er hätte hinzufügen können: „Die fatale Auszehrung des Journalismus in Deutschland befindet sich auf der Zielgeraden.“ Wer dies nicht glaubt, der möge bitte, wie hier empfohlen, bei allen relevanten Themen stets und verstärkt auf die Aus- und Weglassungen achten, auf alles, was nicht berichtet wird. Dadurch wandelt sich der erzeugte Mediennebel schnell zur absoluten Klarheit.

*Beitragsbild: WendyAlison from Pixabay

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