Gesellschaft

Nichtwähler

Bleiben wir ehrlich. Keine Mehrheit, aber die Werte von Wahlsiegern. Es lohnt auf sie zu blicken. Wir werden diese bei der kommenden Bundestagswahl wieder als stille Gesellen des Wahlabends erleben. Jene, die von allen ignoriert kein Stück von der optischen Grafik-Torte bekommen, die uns ab 18 Uhr in bunten Animationen im Minutentakt aufgetischt. Die Rede soll sein von den Nichtwählern. Immerhin gab es bei der letzten Bundestagswahl davon 14,68 Millionen Menschen. Vergleichszahlen sollen hier angeboten werden. Die CDU, gerupfter Wahlsieger 2017 fuhr 14,03 Millionen Erststimmen ein, die SPD 11,42 Millionen. Nordrhein-Westfalen hat 17,93 Millionen Einwohner, Bayern zählt 13,09 Millionen. Unsere Nichtwähler wären als Einheit eine fette Macht im Deutschen Bundestag und gewichtige Fraktion. Aber nichts dergleichen. Kein Land, keine Partei, nicht mal ein virtuelles Tortenstück. Von Macht nicht zu reden.

Jeder Wahlverlierer schaut grundsätzlich optimistisch, so ein anderer noch mehr verloren und hält sich mit Wortdrehungen der Marke „die Talfahrt und der freie Fall seien gestoppt“ am Rettungsring des Floskeldampfers. Sehr erfinderisch in den letzten Jahren dabei die SPD, die bis heute nicht bemerkt, um ein Wort des Kabarettisten Volker Pispers auszuleihen, dass sie längst auf dem Boden der Grube angekommen, die sie sich mit der Schröder-Agenda selbst gegraben. Wer FDP-Politiker an Wahlabenden hört, egal welche Prozentzahl, dem könnte der Berliner Maler Max Liebermann in den Sinn kommen. Floskeln und Herrschaftssprache sind die Rettungsbojen für alle Politiker, deren Schiffe leck geschlagen. Auch die dem Torpedotreffer am Wahltag entgangen, sind bei der Auswahl ihrer Dankeslieder nicht einfallsreicher, greifen ebenfalls gerne in den Topf politischer Wortklauberei. Der vorgebliche Sieg macht sie nur vollmundiger.

Die Nichtwähler gehören in der Masse eher der schwachen Schicht des Landes an, dem Unterbau der Zwei-Drittel-Gesellschaft. An der Wahlurne will sie keiner wirklich zurück. Die Parteien der Wahlabende, die mit dem Tortenstück gesegnet, ob nun Sieger oder Verlierer, haben es sich mit deren Abwesenheit gut eingerichtet. Nichtwähler mit erwachtem Bewusstsein kommen am Ende noch auf die Idee, dieses Erwachen an die Wahlurne zu tragen. Sie wären damit eine unberechenbare Größe, die jedes Planspiel der politischen Klasse verdirbt. Daher soll dieses Millionenheer lieber bleiben, was und wo es ist. Natürlich wird so etwas nie laut ausposaunt. Der Harvard-Professor und Politikberater Zbigniew Brzeziński, ein stillerer Henry Kissinger und als Nationaler Sicherheitsberater des US Präsidenten Jimmy Carter unterwegs, hatte für diese abgehängten Erdenbürger schon 1995 die Empfehlung des Tittytainment angeraten. Dauerberieselung durch niveaulose, aber fesselnde wie unanstrengende Unterhaltungsmodule aus allen verfügbaren Rohren. Mit Bier zu Schnäppchenpreisen und einem Privat-TV, dessen Reality-Formate dem geistigen Niveau einer Ziegenherde Ehre machen, alles bei Einschaltquoten im Millionenbereich, ist diese Brzeziński-Empfehlung hierzulande längst durchgeschlagen. Somit werden wir auch das dickste Tortenstück am Wahlabend des 26. September 2021 wieder nicht zu Gesicht bekommen. Zumindest so viel ist schon sicher. Dann auf zur nächsten Sonntagsfrage.

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