Gesellschaft

Partei zum Kaffee kochen

Stephan-Andreas Casdorff, honoriger und kluger Herausgeber vom Berliner Tagesspiegel, der einzigen seriösen und ernst zu nehmenden Zeitung der Stadt Berlin, sorgte sich am Montag nach der Sachsen-Anhalt-Wahl um die SPD. Viele seiner Gedanken treffen dabei ins Schwarze. Manchmal schimmert sogar noch leichte Hoffnung. Doch die ist längst dahin. „Wenn es so weitergeht, ist die SPD bald Geschichte“ meint Casdorff. Was soll bitte noch kommen? Da muss nichts mehr weitergehen. Die SPD ist längst Geschichte. Was da unter dem Namen noch verzwergt und verdorrt ist Abklatsch von etwas, was einmal die SPD war. Auch der Satz „Warum die SPD ihr Profil als Partei fürs Soziale verliert“, wurde von der jüngeren Geschichte doch längst überrollt. Die SPD hat seit Jahrzehnten kein Profil für das Soziale, welches noch zu verlieren. Der Kanzler und Cohiba-Raucher Gerhard Schröder hat das soziale Profil der SPD in seiner Regierungszeit bewusst und mit kalter Hand vom Tisch gewischt, dem Sozialstaat und dessen Unterschicht den Fehdehandschuh hingeworfen und das Wort Solidarität dauerhaft in den Schmutz gezogen.

Er wird bleiben. Die Wachsfigur des Gerhard Schröder. (Bild von Meromex auf Pixabay)

Der von Casdorff als ein warnendes Untergangbeispiel angegebene französische Präsident François Hollande, der die Blair- und Schröder-Politik des Kampfes gegen die sozial Schwachen und die Unterschicht der Gesellschaft auch zu seiner Politik machte, nährte an der damals noch stolzen Brust der Parti socialiste (PS) den neoliberalen Investmentbanker Emmanuel Macron, der heute Frankreich regiert und dessen Sozialabbau sich Gelbwesten in den Weg werfen. Die PS ist für diesen Kampf nicht mehr nötig, weil unbedeutende Splittergruppe. Diese Splittergruppe taugt zu nichts mehr, wird aber bei der französischen Präsidentenwahl 2022 eine unsägliche Rolle übernehmen. Sie wird in alter Überheblichkeit eine Kandidatin nominieren, wohl Anne Hidalgo, die Pariser Bürgermeisterin. Diese wird dann bei ca. 6 Prozent landen, die nichts bewirken, außer dem wirklich linken Kandidaten auf dem Wahlzettel, nämlich Jean-Luc Mélenchon, den Einzug in die Stichwahl zu vermasseln und es damit erneut zum Duell Marine Le Pen gegen Macron kommen zu lassen. Für solche Akte der Selbstzerstörung einer linken Einheit ist die europäische Sozialdemokratie immer gut gewesen und mit ihren Resten noch heute nützlicher Idiot ihrer politischen Gegner.

Paris (Bild von Pexels auf Pixabay)

Casdorff meint in seinem Artikel, die SPD muss sich auf ihre Kernklientel besinnen. Wo soll die noch sein? Und wie blöd müsste diese sein, wenn sie auch nur einen Fetzen Klopapier für die SPD übrig hätte. Diese Kernklientel hat geholfen, die SPD 1998 ins Kanzleramt zu bringen, dort saß dann selbiger Gerhard Schröder und hat im verbalen Zusammenspiel mit der Bildzeitung und in der verachtenden Tonart eines Wolfgang Clement und Bodo Hombach genau diese Kernklientel täglich verhöhnt und herabgesetzt, abgestempelt und ausgegrenzt. Kleine Leute wurden sanktioniert, wo man Banken rote Teppiche ausrollte und als Krönung mit den Ein-Euro-Jobs die moderne Sklaverei wieder salonfähig machte. (Ein Hinweis sei gestattet. Die Grünen waren bei allen diesen sozialen Sauereien mit am Schröder-SPD-Tisch und nickten ab.)

„Heute scheinen alle zu warten, wann die Partei implodiert.“ Was Casdorff ans Ende seiner Ausführungen setzt, trifft wohl die Erwartungshaltung politisch interessierter Menschen. Diese erwartete Stunde, sie rückt unaufhaltsam näher. Die Stunde klingt schon an, der Zeiger rückt vor. Alle spüren es. Aber im Hause des Henkers soll man nicht vom Strick reden und in einem Sterbezimmer nicht vom Sensenmann. Bei der SPD kann man dies mittlerweile getrost tun, alles Leben ist wie jede Existenzberechtigung längst aus ihr gewichen. Es kann bei allem Schmerz trotzdem mit Freude enden. Als die große Lügenblase der fliegenden Zeppeline von Cargolifter platzte, wurde aus deren gigantischer Werkhalle in der Gemeinde Halbe ein Spaßbad mit dem klingenden Namen „Tropical Islands“.

(Foto: donations welcome auf Pixabay)

Vielleicht hat unter dieser Fahne wenigstens das Willy-Brandt-Haus noch eine Zukunft und verschwindet nicht von der Bildfläche. Fröhliche Kinder, die auf Wasserrutschen an Willy vorbeiplanschen, sind nicht das schlechteste Abschiedsszenario für eine ehemals bedeutende, wichtige, große und tapfere Arbeiterpartei, die ihren Untergang der eigenen Nomenklatura zu danken hat. Gäbe es Gerechtigkeit auf dieser Welt, müsste Gerhard Schröder im SPD-Spaßbad die Garderobenmarken ausgeben, Müntefering und Steinbrück die Schwimmreifen aufblasen. Aber von Gerechtigkeit gerade in Zusammenhang mit der SPD natürlich keine Spur. Die Herren können weiter unbesorgt ihrem Tagwerk frönen und jede Schuld von sich weisen. So am Abend der Bundestagswahl vom 26. September 2021 der Wahlsieger Armin Laschet vor die Mikrofone tritt, sollte er bei allem Dank an die eigene Klientel und seiner verständlichen Freude die SPD als Wahlhelfer und Wegbereiter nicht vergessen und auch ihnen seinen Dank aussprechen. Er könnte damit Geschichte schreiben und einen historischen Moment setzen: Die letzte Bundestagswahl, bei der die SPD noch erwähnt wird.

Das letzte Wort in der Sache soll an Kurt Tucholsky gehen, dem klugen Vorausseher. Der schrieb in der Weltbühne vom 19.07.1932 als Peter Panter:

Es ist ein Unglück, dass die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder „Partei des kleineren Übels“ oder „Hier können Familien Kaffee kochen“ oder so etwas –: Vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahingegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.

(Bild von jjdnow auf Pixabay)

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