Gesellschaft

Regieren in Zeiten einer Pandemie – Berlin und Paris

Ist bei den Impfgegnern, die ich in maßloser wie dümmlicher Selbstüberschätzung und Verkennung von Sprache und Lage als Querdenker stilisieren, noch ein rationales Maß erkennbar? So man deren krude und oftmals umnachtete Beiträge und Foren im Social Media Raum in Augenschein nimmt, kommt einem eine demagogische Sprache und Hetze entgegen, die in ihrer Tonalität durchaus an Joseph Goebbels erinnert. Der Schauspieler Christoph Waltz, seines Zeichens zweifacher Oscarpreisträger, ließ in Richtung des Wahnsinns der Querdenker und Impfgegner schon im Februar 2021 alle Nachsicht und Etikette fallen, bezeichnete diese als „deppert“ und „asoziale Vollidioten“. Man muss Waltz in seiner harschen Deutlichkeit und Meinung längst zustimmen. Zwischen den von ihm treffend beschriebenen Leuten und jenen, die aktuell noch solidarisches Verhalten und Empathie ihr Eigen nennen, soll es keine Gräben geben? Warum sollen außerdem notorisch unterbezahlte Menschen, die z. B. im Supermarkt oder der Gastronomie arbeiten, den Impfpass und die Maskenpflicht kontrollieren? Wo sie doch täglich erleben können, dass Corona-Leugner unter dem Dach eines Demonstrationsalibis weitgehend ungehindert die Straßen ohne Maske und in großen Gruppen bevölkern dürfen? Im September letzten Jahres wurde ein junger Mann an einer Tankstelle wegen seiner Hinweisungen in Sachen Maskenpflicht von einem Corona-Leugner kaltblütig ermordet. Warum sollte also bitte zwischen den Corona-Leugnern und einer demokratischen Zivilgesellschaft kein Graben existierten? Verlassen wir mit dieser Fragestellung nun heimisches Ungemach und blicken über den Gartenzaun nach Frankreich. Dort vieles nicht besser, doch einiges anders.

Maßstab für Durchsetzungskraft: Charles de Gaulle. (Collage: Michael Hourigan auf Pixabay)

Vorweg gilt es zum besseren Verständnis an die Geburtsstunde der Fünfte Republik zu erinnern. Frankreich gab sich im Oktober 1958 eine grundlegend neue Verfassung. Darin wurde ein äußerst starkes Präsidentenamt geschaffen, zugeschnitten von Charles de Gaulle für Charles de Gaulle. Dieser hatte sich davor über 10 Jahre aus der Politik in sein Dorf zurückgezogen. Parteienhader und um sich selbst drehende Politiker, diese hausgemachte Schwäche Frankreichs und der Demokratie waren ihm ein Graus. Ständige Kompromisse auf Kosten von konkreten und notwendigen Taten hielt er als Mittel der Politik für untauglich. Die größte Leistung Frankreichs nach dem 2. Weltkrieg, Algerien in die Unabhängigkeit gehen zu lassen, konnte von de Gaulle erst erreicht werden, weil das auf ihn zugeschnittene Präsidentenamt jene Befugnis und Macht verfügbar hielt. Es versetzte ihn in die Lage, Entscheidungen zu treffen und deren Umsetzung anordnen zu können. Wozu Dutzende Parteien und Hunderte Politiker nicht in der Lage waren, schaffte ein handlungswilliger und entscheidungsfähiger Präsident. Es kamen nach de Gaulle mit Ausnahme von François Mitterrand eher schwächere Geister in das Amt, die Machtfülle des Präsidenten blieb. Aktuell sitzt ein ehemaliger Investmentbanker mit neoliberaler Weltanschauung auf dem Präsidentenstuhl im Pariser Élysée-Palast. Emmanuel Macron ist wahrlich weder de Gaulle noch Mitterrand. Doch er ist Präsident Frankreichs, der sich im April einer Wahl stellen muss. Wohl auch deshalb nimmt er plötzlich die klare Sprache und Symbolik von de Gaulle an, lässt damit präsidiale Entschlossenheit durchs Land brausen. Deswegen ist man in deutschen Landen besonders in den Schlagzeilen etwas irritiert und verstört über diesen Freund. Man schreckt vor seiner Deutlichkeit und harten Haltung zurück.

Klare Ansagen sind in unserem Politikuniversum längst ein ausgestorbenes Relikt. Derweil nämlich die politische Klasse in Deutschland über Impfpflicht redet, sie aber einfach in einem fast ohnmächtig wirkenden Zustand nicht einführt und umsetzt, hat Macron den Impfgegnern und Impfverweigerern den Fehdehandschuh hingeworfen. Also eine Umkehrung. Hierzulande haben die Impfgegner und Impfverweigerer der Gesellschaft und ihrem Mitbürgen diesen Fehdehandschuh hingeworfen und kommen damit bestens durch und immer weiter. Man muss, wie zu Anfang hingewiesen, nur auf ihre ekelerregende, vor Idiotie strotzende Propaganda in den sogenannten sozialen Netzwerken schauen oder deren Demo-Parolen auf sich wirken lassen. Was tut deutsche Politik dagegen? Beschwichtigung allenthalben, gepaart mit falschem Verständnis und dem gefährlichen Selbstbetrug, es gäbe keine Spaltung im Land. Beim Corona-Management deutscher Politik muss man mittlerweile oft an den durchaus gewissenhaften Maurer aus Otto Reutters Couplet denken, der viel und laut über die Dinge redet, die unbedingt anzupacken, sie aber niemals angeht, immer wieder nichts tuend aufs Neue singt: „Aber jewiß, lieber Mann. Da fang‘ wa gleich morgen an!“

Deutschland sucht täglich den kleinsten Kompromiss. (Collage: kalhh auf Pixabay)

Der Bundeskanzler wollte, dass wenigstens ab spätestens März eine allgemeine Impfpflicht gilt. Indessen könnte sie irgendwie im Mai oder Juni in Kraft treten. Wohl noch eingeschränkt ab einer bestimmten Altersgruppe. Ein Grund auch der enge Terminkalender der Parlamentarier, die im Februar nur eine Sitzungswoche haben. Schließlich ist Karneval. Rheinländer wollen jenen nicht verpassen. Mit karnevalistischen Pappnasen saufen ist natürlich wichtiger als eine Pandemie. Man wähnt sich auf einem Narrenschiff. Es brennt der Dachstuhl in Form einer Pandemie lichterloh und die Löschfahrzeuge kommen nicht etwa gleich, sondern in einer Woche oder einem Monat oder nie. Als Kanzler Scholz beim letzten Corona-Gipfel vor die Medien trat, war das abschließende Wort noch nicht gesprochen, da meldete sich erneut und vorschnell ein Ministerpräsident falsch zu Wort. Diesmal jener aus Magdeburg, der verkündete, für Sachsen-Anhalt werde er die beschlossenen Maßnahmen in der Gastronomie nicht umsetzen. So geht Politik in Deutschland. Wer die letzten zwei Jahre auf das Berufsbild „Ministerpräsident“ in diesem Land blickte, dem könnte bei näherer Betrachtung der Angstschweiß ausbrechen. Was von diesen 16 Amtsträgern in Sachen Pandemie verbal durch die politische Landschaft geblasen wurde, schafft kein gutes Gefühl oder Vertrauen, so man an Krisen von noch größerem Ausmaß denkt, die global nun wirklich jederzeit ausbrechen und uns streifen oder erwischen könnten. Die Pandemiepolitik ist nach wie vor nebenher noch eine tägliche Bankrotterklärung für unsere deutsche Kleinstaaterei unter dem wohlklingenden Titel Föderalismus. Ob Merkel oder Scholz, Kanzler unter diesem Lähmungsdach sind zu bedauern.

16 Ministerpräsidenten gehen auch in der Pandemie ihre Wege. (Foto: Thomas Ulrich auf Pixabay)

Eine Politik, in der jeder so lange seinen Senf dazu gibt, bis die Wurst ungenießbar, will sich ein Land wie Frankreich dann doch nicht antun, ist damit gut beraten. Schlafwagenpolitik kann sich ein französischer Präsident, zumal wenn Wahlen anstehen, sowieso nur bedingt leisten. Macron muss nicht nur wegen einer anstehenden Wahl etwas tun. Die Pandemie-Lage erfordert dringende Aktivität. Frankreichs Präsident hat offensichtlich von Impfverweigerern und Impfgegnern die Schnauze voll, daher klare Adressen an diese gesendet. An die Ungeimpften: „Man werde sie nicht ins Gefängnis stecken und nicht zwangsweise impfen lassen. Aber so weit wie möglich den Zugang zum Sozialleben verweigern und diese bis zum Schluss piesacken. Vom 15. Januar an können sie nicht mehr ins Restaurant gehen, kein Gläschen mehr genießen, keinen Kaffee trinken, nicht ins Theater und ins Kino gehen.“ An die Impfgegner: „Sie untergraben die Grundlagen der Nation. Wenn meine Freiheit die der anderen bedroht, dann werde ich unverantwortlich. Ein Unverantwortlicher ist kein Bürger mehr.“ So geht deutliche Ansage und Sprache.

Frankreich setzt auf einen starken Präsidenten. (Collage: Stux auf Pixabay)

In einem Land, in dem Riesen des Wortes wie Mirabeau, George Danton und Robespierre eine Revolution mit der Sprache befeuerten, verwundert es wenig, wenn auch Wörter in die Schlacht geführt werden. Es gehört eher zum Alltag. Hierzulande will man mit den von Macron angesprochenen Gruppen anders verfahren, diskutieren, sie mitnehmen, sie einbeziehen und sie überzeugen. Dieser deutsche Weg ist längst naiv, überholt und nicht zielführend. Er erinnert fatal an einen Wahnsinnigen im brennenden Haus, der Wasser für Teufelszeug hält und die Feuerwehr für eine Geheimorganisation, welche seine Gedanken anzapfen will. Im Angesicht lodernden Feuers mindern sich Optionen zu dessen Rettung. Man kann jenen umkommen lassen oder aber eine auf die Rübe geben, ihn aus dem Haus schleppen. Sich diskutierend zu ihm in die Flammen setzen und Überzeugungsarbeit in Form von Vernunft leisten, ist kein Weg aus dem brennenden Verderben. Im Angesicht derer, die partout nicht wollen und störrisch bleiben, ihre Dummheit als Lanze und Schild vor sich hertragen, hilft auch ein Rückblick auf Dietrich Bonhoeffer, der sich über Dummheit keinerlei Illusionen machte und dieses auch für uns hinterließ: „Dummheit ist gefährlicher als Bosheit“. Vielleicht ging diese Erkenntnis auch Emmanuel Macron durch den Kopf. Wer und was auch immer. Frankreichs Präsident wird sicher tun, was er angekündigt. Den Impfgegnern und Impfverweigerern will er „auf den Wecker gehen.“ Gut so und ein Beispiel, welches hoffentlich in Europa Schule macht.

*Titelbild: Gerd Altmann auf Pixabay

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