Gesellschaft

Stilvoll in den Ruhestand

Muss in diesem politischen Modell der Zersplitterung, vielfach begrenzter Zuständigkeiten und von eingeengten Gestaltungsspielräumen, welches einst die Alliierten aus berechtigter Vorsicht dem deutschen Staatswesen auferlegten, nicht jeder Regierungschef an Grenzen stoßen? Egal wie lange er im Amt? Also ein Unvollendeter oder eine Unvollendete bleiben. (Man denke bitte nur an die Ministerpräsidentenkonferenzen rund um die Corona-Krisen, die Merkel allein sicher besser angegangen wäre als in dieser aufgekratzten Mischung aus Wichtigtuerei und Unkenntnis.) Den politischen Wechsel nebst stilvollem Abgang hat Angela Merkel jedenfalls famos hinbekommen, damit ihre Vorgänger in den Schatten gestellt. Man denke nur an die Egomanen Kohl und Schröder. Auch die kleinen Dinge, z. B. ein Irrlicht wie Friedrich Merz fern der Politik gehalten zu haben, werden Frau Merkel dereinst als Verdienst bleiben. Man wird sie dafür zu schätzen wissen, so jener bald über uns kommt.

Atomausstieg, die Flüchtlingsmonate 2015/2016 und die Naturwissenschaftlerin Merkel in Corona-Zeiten werden selbstverständlich nachhängen und in Erinnerung bleiben. Die Finanzkrise auch. Allerdings war diese ausschließlich eine Krise der Gier des Kapitalismus, skrupelloser Banken und verkommener Immobilienkonzerne, die der Bürger nur zu bezahlen hatte. Als Umweltministerin und Kanzlerin nahm sie an 26 Gipfeln zum Thema Klima teil. Wie weit ist sie und das Klima damit gekommen? Was kann ein deutscher Kanzler oder eine Kanzlerin eigentlich international bewirken? Man wirft Angela Merkel vor, wenig verändert und angeschoben, eher Stagnation befördert, übertriebene Ruhe bewahrt zu haben. Die Deutschen, deren Öffentlichkeit und Medien, lügen sich mit solchen Behauptungen etwas in die eigene Tasche, schieben den Schwarzen Peter an die Politik. Verändern sollen sich grundsätzlich immer nur die andern. Man selbst möchte gefälligst seinen Lebensstandard und seine Lebensweise beibehalten, koste es, was es wolle, auch um den Preis der Zerstörung von Lebensgrundlagen kommender Generationen. Auf die pfeift man, sobald man auf der satten Oberfläche der Wohlstandsgesellschaft schwimmen darf. Merkel ist der Mentalität des deutschen Michel nur entgegenkommen und hat das gern schlummernde Wesen unter seiner Zipfelmütze nicht groß in dessen Ruhe gestört, was jener ihr freudig mit Wahlsiegen dankte. Darf man Merkel daraus einen Vorwurf machen oder fällt dieser nicht sofort auf des Michels Haupt? Den Leuten sind ihre nächsten drei Wochen immer wichtiger als die nächsten dreißig Jahre und fertig ist die Laube. In keinem Land wird die Moral so oft gepredigt und dem Fressen dennoch jedweder Vorrang eingeräumt wie hierzulande. Daran trägt Frau Merkel nun wirklich keine Schuld.

Ex-Kanzlerin mit Würde in die Rente. (Bild: Gerd Altmann auf Pixabay)

Man darf der nun Ex-Kanzlerin natürlich nicht nur Blumen binden. Es blieb einiges auf der Strecke. Beispiele mögen dies verdeutlichen. Die bewusst angelegte asymmetrische Demobilisierung hat dem Land und was sich hier Demokratie nennt, nicht wirklich geholfen. Auf dem Nährboden wuchs nebenher dann putzmunter der rechte Mob heran. Was dem Adenauer-Haus und der CDU guttut, muss nicht gut fürs Land sein. Die schändliche Kinderarmut, ein Offenbarungseid für dieses Deutschland, ist weiter gewachsen und allgegenwärtig. Was leider auch für selbst ernannte Leitmedien kein Thema, die lieber über das Fahrrad eines Landwirtschaftsministers schreiben. Sozial schwächere Teile in unserem Land sind weiterhin auf der Rutschbahn nach unten, die Gerhard Schröder und die SPD für sie gebaut. Da setzte Merkel nahtlos fort. Unheilvolle und zu große Vermögen und Milliardäre blieben völlig unbehelligt von der Politik und können die Gesellschaft weiter ungestört mit ihrer Agenda überziehen. (Das Gespann Scholz/Lindner, assistiert von Habeck, wird an diesem Zustand nichts ändern wollen.) Im Rahmen der Möglichkeiten und des von ihr Gewollten oder auch des von ihr Ungewollten hat sich Angela Merkel trotz alledem einigen Respekt erarbeitet und in manch einer Entscheidungsphase für ihren dabei an den Tag gelegten Stil Anerkennung erworben. Einen Choral muss man ihr deshalb nicht singen. Es war schließlich ihr gewollter Job. Nun soll Olaf Scholz zeigen, dass er es nicht nur anders, sondern auch besser kann. Das Schlusswort von Angela Merkel ist unprätentiös und wohltuend, bei ihr auch glaubwürdig: „Den täglichen Senf werde ich sicher nicht zu den Dingen dazu geben.“

*Titelbild: janjf93 auf Pixabay

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