Gesellschaft

Wahlallerlei

Eine Wahl, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Dazu ein Wahlabend und dessen Drumherum, der die Aufnahmefähigkeit von Menschen überforderte, die im Nebenberuf auch Wähler. So bleiben von der Meldungsüberflutung bei jedem Betrachter andere Eindrücke hängen. Aus dem großen Wahleintopf hier einige Zutaten, die bei GERADEZU haften geblieben.

Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung titelt „Die Wahl war ein Fest der Demokratie“. Na ja. Die Wahlbeteiligung lag bei 76,6 Prozent, bei der letzten Bundestagswahl 76,2 Prozent. Ungefähr ein Viertel der Deutschen nimmt also an diesem Fest nicht mehr teil. Als Politiker längst ihre Statements in den Medien lieferten, Prognosen und Hochrechnungen kommentierten, Reporter nach Koalitionen fragten, konnten Menschen, die sehenden Auges durch die deutsche Hauptstadt gingen, erleben, wie Wähler nicht wählen konnten, weil immer noch keine Wahlzettel, welche ausgegangen und nicht schnell genug neu beschafft wurden. Im Stadtteil Prenzlauer Berg verließen frustrierte Leute gegen 20.30 Uhr die Wahllokale als im TV schon die sogenannte Elefantenrunde die Zukunft Deutschlands per verbalem Geschacher ermitteln wollte. Fest der Demokratie? Jetzt stelle man sich solcher Art Wahlchaos in Putins Russland vor und denke an die daraus abgeleitete Empörung hierzulande. Wer war in Berlin eigentlich für diesen Festakt zuständig und verantwortlich? Ist jener noch im Amt?

Größte Verlierer waren, welche am Freitag noch wie Sieger wirkten. Die sich für die Zukunft auflehnende Jugend kämpfte umsonst, ihre Klima- und Umweltziele können sie zu den Akten legen. Ihr Waterloo bereitete ihn jene Partei, die 11,5 Prozent der Stimmen holte. Der Zugewinn der FDP liegt übrigens bei 0,8 Prozent. Diese kleinste Partei in dem künftigen Regierungsbündnis, wird den Takt jeder Regierung vorgeben, weil die potenziellen Partner sich latent erpressen lassen werden, nur um Teil dieser Regierung zu sein und zu bleiben. Laschet und der CDU fällt eine Regierungsbildung mit FDP und Grünen sehr leicht, weil die CDU einzig an Macht interessiert. Der Kitt hält sie zusammen. Sie wird jedes Zugeständnis umgehend eingehen, ihren Partnern alles geben. Scholz müsste wenigstens einige SPD Wahlversprechen und Inhalte der Sozialdemokraten aus den Koalitionsverhandlungen mitbringen, damit seine Partei nicht rebellisch wird. Nicht alle Sozialdemokraten wollen sich von den „roten Linien“ des Christian Lindner vorführen lassen. Daher liegt der Vorteil eindeutig bei Laschet. Die Stimmungs- und Meinungsmacher der Deutschen hat er dabei an seiner Seite, Sie attestieren schon „SPD knapp vor der CDU“, das „knapp“ ist das Stichwort. 1,6 Prozent und 10 Sitze mehr aber „knapp“.

Fenster für Wandel und Wechsel in Scherben. (Foto: Free-Photos auf Pixabay)

Welch ein Schauspiel im TV. Wie wanzten sich Söder, Laschet und Ziemiak an die Grünen ran, die im Wahlkampf noch als „Verbotspartei“ geschmäht, jetzt plötzlich zur Lieblingsbraut wurden. Wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak das CDU-Desaster in einen Sieg und Regierungsauftrag umformulierte, verdient den Münchhausen-Preis dieser Wahl. Der Laschet-Erfinder und Alleswisser, politischer Großkritiker und CDU-Grande Wolfgang Schäuble ward bis dahin weder gesehen noch gehört. Wie vom Erdboden verschwunden. Die Grünen gewannen Prozente, schaffen dennoch nicht die politische Zukunftswende. Der politische Kopf Robert Habeck hätte sicher bessere Ernte eingefahren. Allerdings sollte man ihn auch nicht verklären. Er wird das Projekt CDU/CSU-FDP-Grüne vorantreiben und eine Jamaika-Koalition schmieden wollen, persönlich dabei gut wegkommen. Die Grüne-Basis wird murren, ihm aber folgen. Neoliberale Grüne wie Cem Özdemir oder Katrin Göring-Eckardt werden ihm dabei hilfreich zur Hand gehen. So könnte der ausgehöhlte und abgewählte Politikkörper CDU durch die Grünen wieder zu Macht, Kanzleramt und Ansehen gelangen. Verrückte Welt. Die Grünen dann als Feigenblatt und nützlicher Idiot der Konservativen und Rechten, aber mit guten Posten. Werden zukunftsorientierte Grüne in der Partei diesen Verlauf hindern? Man sieht sie dort aktuell nicht. Der Wahltag war daher ein Festtag für ein neoliberales Gesellschaftsmodell und ein Trauertag für jedwede Sozial-, Klima- und Umweltpolitik. Vom Wahlabend blieb ebenfalls hängen, der deutscher Medien liebstes Berichterstattungskind, sein Name Hans-Georg Maaßen, wurde nicht zum Papst gewählt und dennoch tat sich in Südthüringen kein Höllenloch auf. Allerdings lieferten Wähler in Thüringen und Sachsen unendliche braune Soße in Form von AfD Triumphen ab. Daran nicht unschuldig Die Linke. Sie gab den Osten einst auf. Auch weil linke Abgeordnete es sich im Status Bundestagsabgeordneter wohlig und faul eingerichtet. Nun bekam man die Quittung, ist 4,9 Prozent Splittergruppe ohne Einfluss. Ihr schlechtes Ergebnis machte den persönlichen Laschet-Freund Christian Lindner zum selbstherrlichen und alleinigen Königsmacher.

Christian Lindner. Vom Königsmacher zum König? (Foto: christian-lindner-2333992_640)

Am Abend tonnenweise journalistischer Senf bis zum Kopfschmerz. Den Vogel schoss dabei Anne Will ab. Frau Will holte in ihre Talksendung natürlich eine dieser uns erschlagenden Umfragen hervor. Diese Dinger sind mittlerweile inflationär. Sie gehen nach dem Motto über den Schirm, je blöder, desto aufgeblasener reden wir darüber. Machart: „Welcher Schnürsenkel hätte zu welchem Schuh gepasst, wenn die Sohle kein Loch hätte? Wir schauen dazu auf das Alterssegment der 90- bis 93-jährigen.“ Jedenfalls zog Frau Will unnötig eine Umfrage aus dem Hut und traktierte mit deren Inhalt den SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Es ging um Scholz und die SPD, die ohne Scholz in der Lesart von Frau Will und dieser Umfrage kaum in den Bundestag gekommen wäre. Als Klingbeil nicht das gewünschte und erwartete Geleier ablieferte, fuhrt Will dazwischen „Sie sind schon wieder bei Umfragen.“ Der deutsche TV-Journalismus auf seinem Tiefstand in grausiger Blüte. Nein, daran ist nichts frauenfeindlich. Man stelle sich auf diesem Sendeplatz das Niveau und die journalistische Qualität von Gisela Marx, Carola Stern, Juliane Bartel oder Wibke Bruhns vor. Ein Traum. Es ist aber doch nur Frau Will. Beliebig, oberflächlich und karteikartenhörig, weil davon abhängig. Noch eine Tollerei: Als der SPD Kanzlerkandidat Scholz sein erstes Statement äußerte, schalte die ARD mittendrin weg und ließ die Moderatorin Hassel verkünden, es folge jetzt eine neue Umfrage, um dann jemandem den Raum einzuräumen, dem längst erschlafften Publikum irgendeine belanglose Erhebung unterzujubeln. Irgendwann gaben sich und dem Land die triumphalen Wahlsieger Laschet/Söder die Ehre und dem Abend den Rest.

*Titelbild: Gerd Altmann auf Pixabay 

 

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