Gesellschaft

Warnungen und Hilferufe

Vielleicht etwas zu groß gegriffen. Dennoch, FDP und Grüne spiegeln momentan das politische Kraftfeld der Bundesrepublik unserer Tage. Besonders auffällig der Zulauf von Jugendlichen bei beiden Parteien. Die Jugend in ihren Lebensmodellen und Wahlentscheidungen dabei so gespalten wie ihre Eltern- und Großelterngeneration, so zerrissen wie das Land. Die einen mit Priorität auf Lifestyle, Wohlstand und dem Lebenstraum Porsche machen eher ihr eigenes Ding, können sich damit gut bei Christian Lindner wiederfinden. Die anderen mit mehr Interesse am Gemeinwohl, der Umwelt und den Zuständen in der Welt gehen vermehrt auf die Straße, finden damit eher bei Robert Habeck oder Annalena Baerbock einen Hafen. Hier soll allerdings nicht gewertet werden über Lebensmodelle und Zukunftsträume junger Menschen. Davon die Finger weg. Eine Generation, welche mehr Vergangenheit hinter als Zukunft vor sich hat, der Schreiber dieser Zeilen muss sich dazuzählen, sollte mit Ratschlägen oder erhobenen Zeigefingern gegenüber Lebensentwürfen junger Menschen äußerst zurückhaltend agieren. Was auch wir aus dem Planeten gemacht haben, beraubt uns jedweden Anspruchs auf Belehrung oder gar Mitsprache über die Zukunft. Insofern sollten wir einfach das Maul halten und der Jugend ihren Lauf lassen. Die Frage ist eher dahingehend interessant, ob es Grünen wie der FDP in einer gemeinsamen Regierung gelingt, die Strömungen und Gruppen innerhalb der jungen Generation zusammenzubringen. Oder wird man diese Zukunftsgeneration weiter auseinanderdriften lassen, weil man keine glaubhaften Perspektiven schaffen kann und wie gehabt nur die jeweilige Klientelpolitik im Angebot hat? Für die Beantwortung der Frage muss künftiges Regierungshandeln der potenziellen Ampelpartner zurate gezogen werden. Was auch die SPD einbezieht, die beim Gerangel zwischen Grünen und FDPlern momentan etwas lethargisch wirkt. Bei aktueller Draufsicht auf die politische Gemengelage im Land, darin die gesamte künftige Opposition in ihrem erbärmlichen Zustand einbezogen, darf man durchaus Zweifel hegen.

Deutschlands Uhr wird neoliberal ticken. (Collage: un-perfekt auf Pixabay)

Die Grünen haben schon verloren, bevor das Ampelspiel beginnt. Die separaten Vorgespräche mit der FDP fanden einige Grüne fast revolutionär und platzten vor eigener Größe fast aus den Nähten. Doch schnell und mit dem Effekt der Ernüchterung merkten die Grünen mit ihren 14,8 % Wähleranteil, dass die 11,5 % Partei FDP und deren Vorsitzender Lindner plötzlich auftraten als hätten sie eine alleinige Verfügungsmasse von 26,3 % und stünden sogar kurz vor der absoluten Mehrheit. Die sogenannten Sondierungsgespräche bestätigten diesen Coup der FDP staunenswert. Man muss, egal ob man diese Partei mag und wählt oder nicht, den Hut ziehen, auch wenn einem dabei die Hand zittert vor dem, was auf dieses Land zukommt. Selten hat so wenig so viel erreicht. Deutschland behält eine neoliberale Politikausrichtung, Reiche werden weiterhin mit Samthandschuhen angepackt und die falsche Politik nach dem alten Mantra verkauft, die Reichen müssen unbedingt reicher werden, damit es uns allen gut geht. Währenddessen die Zeche einzig von den kleinen Leuten zu entrichten ist. Bei Mieten, den Preisen bei Bus und Bahn, natürlich an Tankstellen, bei Lebenshaltungskosten und im ganz normalen Überlebensalltag einfacher Menschen ist dieses gerade ganz aktuell und hart zu spüren. Über den Neoliberalismus in unserer Welt macht sich einer übrigens keinerlei Illusionen. Als Armenpfarrer in Argentinien unter dem Namen Jorge Mario Bergoglio hat er dessen Auswirkungen auf Menschen und ein ganzes Land hautnah erlebt. Der Mann ist kein linker Sektierer oder gar Kommunist, nein, nein. Er geht heute seiner Arbeit unter dem Namen Franziskus als Papst nach und hat in dieser Funktion dem Neoliberalismus in seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ ein deutliches Zeugnis ausgestellt: „Diese Wirtschaft tötet“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zurück zum Machtspiel zwischen FDP und Grünen, was für die Grünen mehr und mehr Ohnmachtsspiel. Hochgejubelte Umwelt- und Klimathemen, alle Ampelpartner haben den Klimagroove drauf, wurden bei genauer Hinsicht in die Schublade des Ungefähren getan. Motto: Wir machen in Sachen Klima wenig, deshalb reden wir besonders viel und oft darüber. Ob die SPD beim Politschach zwischen FDP und Grünen gerade Raucherpause machte oder unter dem Tisch Krümel suchte? Nichts Genaues weiß man nicht. Die Grünen wurden jedenfalls über selbigen Tisch gezogen. Die FDP hat schon vor der Regierungsbildung sämtliche Ziele ihrer Klientel erreicht. Nun geht es auf die wahre Beute, um Posten und persönliche Macht. Dabei wird das Erpressungspotenzial der FDP erneut zünden. Ohne die alte Pendlerpartei keine Ampel. Fertig ist die Laube. In der Folge ergibt sich daraus, der neoliberale Christian Lindner bekommt das Finanzministerium. Das Politikmodell Davos besiegt endgültig die Reste des Sozialstaates, wieder siegen die Paläste über die Hütten. Einer der größten anzunehmenden Unfälle der aktuellen deutschen Politik wird nicht von linken Fantasten als Bedrohung empfunden, es sind weltbekannte Autoritäten der Ökonomie und Wirtschaftswissenschaft, die deutlich ihre mahnende Stimme erheben.

Die Grünen: Bereits in der Eröffnung Schachmatt. (Foto: Jan Vašek auf Pixabay)

Der US-Amerikaner Joseph Stiglitz, von 1997 bis 2000 Chefökonom der Weltbank und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, sowie der Brite Adam Tooze, ein bedeutender Wirtschaftshistoriker und Autor von „Welt im Lockdown. Die globale Krise und ihre Folgen“ warnten deutlich und sogar gemeinsam in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ vor Christian Lindner als Finanzminister und vor dessen „vorsintflutlicher haushaltspolitischer Agenda“. Stiglitz und Tooze führen in ihrer Lindner-Analyse weiter aus: „Das Problem besteht nicht nur darin, dass Lindners Wirtschaftspolitik – sei es bei der Schuldenbremse oder den Haushaltsregeln für Europa – eine Anhäufung konservativer Klischees ist. Viel wichtiger ist, dass es sich um Klischees einer vergangenen Ära handelt, nämlich um die der Neunzigerjahre.“ In Sachen Lindner wurde Adam Tooze schon Mitte Oktober im Guardian sehr deutlich: „Seinen Wunsch zu erfüllen, wäre ein gefährliches Risiko. Ein Konservativer im deutschen Finanzministerium ist ein Systemrisiko für Europa.“ Tooze wie Stiglitz machen beide keinerlei Hehl aus ihrer Meinung, Robert Habeck für den besseren Finanzminister zu halten. Was aus diesen Expertenmündern klingt, ist eine Ohrfeige für Lindner und ein Ritterschlag für Habeck. Dennoch nur ein Triumph ohne Pokal für den Grünen.

Robert Habeck hat mit sechs Amtsjahren als Landesminister und stellv. Ministerpräsident von Schleswig-Holstein im Unterschied zum FDP-Vorsitzenden Erfahrung in Sachen Regierungsbetrieb und ist zusätzlich näher am normalen Leben. Nach Tooze und Stiglitz Analyse die bessere Wahl, weil Habeck ein Gespür für die Finanz- und Wirtschaftsnotwendigkeiten unserer Zeit und der Zukunft Europas besitzt. Doch alles Muster ohne Wert. Lindner mag nur ein schamloser Blender mit überfallartigem Charme und ein skrupelloser Verkäufer seiner selbst sein, der finanzpolitisch so rückwärtsgewandt wie der notorische Scheiterer Friedrich Merz denkt und vor allem die Bühne braucht. Doch genau für dieses Spiel seiner Selbstvermarktung hat ihm die grüne Partei das Theater bestens bereitet. Diese Torheit der Grünen, auch ein politisches und persönliches Versagen von Habeck und Baerbock, konnten Tooze wie Stiglitz nicht voll erfassen. Sicherlich sind der Brite und der Amerikaner außergewöhnlich kluge Ökonomen. Doch auch sie sind mit einer verständlichen Begrenzung ausgestattet, weil ein rein wissenschaftlicher Tunnelblick vieles an nüchterner und oft zynischer Politikarithmetik ausblendet. Ihre unmissverständlichen Warnungen stehen jedenfalls weltweit im Raum. Vernimmt Olaf Scholz diese Signale oder setzt er auf die Richtlinienkompetenz des Kanzlers und seine besseren Fähigkeiten als Finanzpolitiker? Darin ist er Habeck und Lindner deutlich überlegen. Die trügerische Hoffnung, das Finanzministerium aus dem Kanzleramt im Griff zu behalten, könnte für Scholz in einem Katzenjammer enden. Scholz wird sicher unterschätzt, kann einiges in die politische Waagschale werfen. Doch ein Helmut Schmidt ist er eben nicht. Selbst der scheiterte am Ende durch den Verrat, den die FDP an der sozial-liberalen Koalition übte. An diese Option wird Lindner sich erinnern und sie im Tornister tragen, stets hervorholen, wenn ihm etwas nicht passt. Wer etwas über konstruierte Macht aus dem Mix Papiertiger plus Ballon mit heißer Luft lernen möchte, sollte dieser Tage die FDP beobachten.

FDP: Mit alter Luft über neuen politischen Wassern. (Foto: Bessi auf Pixabay)

Und die Grünen? Die lecken ihre selbstverursachten Wunden mit Hilferufen. Ihre Parteivorsitzenden Annalena Baerbock (Kanzlerkandidatin a. D.) und Robert Habeck richteten einen schriftlichen Hilferuf an NGOs, unter anderem an Campact, Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe, an den BUND, den Deutschen Naturschutzring und den World Wildlife Fund. Es wird um Unterstützung bei den Ampelverhandlungen vor allem in den Bereichen Umwelt- und Klima ersucht. „Es wäre dafür sehr hilfreich, wenn Ihr darauf hinwirken könntet, dass SPD und FDP hier ambitionierte Vorschläge einbringen. Wenn wir das weiter alleine tun müssen, erschwert das die Verhandlungen enorm.“ Eine ziemliche Bankrotterklärung in mehrfacher Hinsicht. Mit der neoliberalen Finanzagenda der FDP haben sich die Grünen offenbar abgefunden und arrangiert. Eben doch FDP mit Sonnenblume. Nun wollen sie wenigstens in ihrem Kernthema noch am Ball bleiben, halten sich selber dafür aber für zu schwach. Wer etwas über politische Schwäche und Verhandlungsunfähigkeit lernen möchte, sollte dieser Tage die Grünen beobachten. Was sich über diese kolossalen Dummheiten wohl ein political animal in Rente wie Joschka Fischer denken wird? Er hätte Lindner schon vor dem politischen Frühstück verspeist. Nun speist er längst edel und fein, während seine Nachfolger nicht einmal das Besteck finden.

Die Grünen sollten beim alten Fuchs Talleyrand nachlesen: „Um in der Welt erfolgreich zu sein, ist es viel wichtiger, die Durchdringung zu besitzen, um zu erkennen, wer ein Narr ist, als zu entdecken, wer ein kluger Mann ist.“ Die neue Macht der FDP dagegen bringt eine Sentenz von John Maynard Keynes, aus den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Erinnerung: „Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.“

*Titelbild: OpenClipart-Vectors auf Pixabay

 

 

 

 

 

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