Gesellschaft

Zeiten sind das

Unser Bundespräsident meint es in seinen Reden offensichtlich gut und ehrlich. Anderes soll ihm nicht unterstellt werden. „Wir müssen uns auch nach der Pandemie noch in die Augen schauen können. Und wir wollen auch nach der Pandemie noch miteinander leben.“ So sagte er die Tage in seiner Weihnachtsansprache 2021. In letzter Zeit ist verstärkt die Rede vom sozialen Miteinander, beileibe nicht nur beim Bundespräsidenten. Das viel beschworene Miteinander wird fast schon romantisiert. Dabei gab es dieses Miteinander schon vor der Pandemie nicht. Man denke nur an den tiefen Graben zwischen Arm und Reich, um nur den zentralen Kernkonflikt zu nennen. Außerdem, so man ehrlich zu sich selbst, kennt doch jeder von uns Menschen, mit denen man nichts zu tun haben wollte und will. Gründe dafür gab und gibt es immer. Manchmal sogar zuhauf. Ob nun politisch, weltanschaulich, religiös, kulturell oder weil die Chemie eben nicht stimmt. Für gegenseitige Abneigungen lässt sich immer etwas finden. Der Mensch ist halt ein kompliziertes Gebilde, zumal wenn er in der Masse daherkommt. Da wird es dann sogar oftmals brandgefährlich.

Angriffsziel von Querdenkern und Impfgegnern: Wissenschaft und Forschung (Foto: fernando zhiminaicela auf Pixabay)

Die Pandemie grassiert seit ca. zwei Jahren weltweit. In dieser Zeit findet unser aller Leben in einer heruntergefahrenen oder/und veränderten Art statt. Zum Virus gesellte sich seit Beginn eine gesellschaftliche Gruppe, ob nun Querdenker oder Impfgegner genannt, frönt dabei bis heute ihrem Egoismus und mancherlei Wahnvorstellung und vielerlei Verschwörungsmythen in aller Öffentlichkeit. Alles passiert mitten unter uns. Die Gesellschaft ist dieser verhaltensauffälligen Minderheit in einer Art Geiselhaft ausgeliefert. Diese auf Krawall gebürstete und laute, aber doch kleine Minderheit verhindert einen nötigen Anstieg der Impfquote und damit die Eindämmung der Pandemie. Jene Gruppe pfeift auf uns alle. Mitmenschen, Miteinander, Solidarität und Gesellschaft sind ihnen völlig schnuppe. Will man also ein Miteinander mit denen, die Wissenschaft, Medizin und Fakten ignorieren und verleugnen, die den Rest von gesundem Menschenverstand, falls überhaupt vorhanden, Tag um Tag schreiend und pöbelnd ausblenden? Muss man sich mit Querdenkern und Radikalen, mit Verschwörungstheoretikern, mit Menschen, welche fahrlässig Leben und Gesundheit von Kranken, Alten und Kindern gefährden und auf ein solidarisches Miteinander spucken, wirklich gemein machen? Ach was. Kein normaler Mensch wird sich in diesem Miteinander jemals wohlfühlen oder gar einrichten wollen. Anderes anzunehmen ist doch illusorisch. Idioten oder Fanatiker, die keinerlei Scham haben, sich mit Naziopfern, Widerstandskämpfern und KZ-Häftlingen zu vergleichen und etwas von Corona-Diktatur schwafeln, begeben sich doch höchstselbst ins gesellschaftliche Abseits. Dort treten sie dann sogar handfeste Diffamierungen, Rufmordkampagnen und Drohungen gegen Wissenschaftler, Mediziner und Krankenhauspersonal los. Solch obskure und radikale Zeitgenossen können weder jetzt noch in Zukunft Partner für ein Miteinander sein. In einem Land wird man mit ihnen leben müssen, an einem Tisch mit ihnen eher nicht sitzen wollen.

Gegen den Irrsinn. Eckpfeiler beim Weg aus der Pandemie: IMPFEN (Foto: Wilfried Pohnke auf Pixabay)

Warum sollte man in dieser angespannten und gefährlichen Lage für Gesundheit und Leben aller, den Predigern oder Mitläufern allgemeiner Verblödung und Verhetzung Verständnis entgegenbringen? Weil jene auch die Titelseiten vom Organ der Niedertracht als Partner haben, sogar Plätze in Talkshows belegen, ihnen die AfD, ein abgestandener FDPler oder eine verkrachte Linke populistisch zu Munde gehen? Es wird gerne vom „alle mitnehmen“ geredet. Wo soll diese Reise bitte hingehen, dieses mitnehmen enden? Im völligen Irrsinn der allgemeinen Anerkennung „die Welt ist eine Scheibe“? Soll sich der Verstand gegenüber dem Unverstand aus Gründen des Miteinanders zurücknehmen? Eine Frage muss gestellt werden: Wollen wir mit jenen, die sich mittlerweile zum brüllenden Mob auf der Straße zusammenrotten, weiter so verständnisvoll umgehen, wie die Weimarer Republik mit dem braunen Mob umging? Die Antwort kann nur NEIN lauten. Entschlossenheit und deutliche Worte sind gefragt. Dummheit, Fanatismus, Wissenschaftsfeindlichkeit und Idiotie müssen benannt und angeprangert, nicht mit Verständnis bedacht oder weichgespült werden. Wo der Weimarer Versuch vom ewigen Verständnis zum Ziele der vorgeblichen Einheit des Vaterlandes 1933 endete, ist hinlänglich und grausig bekannt. Lassen wir es weiter an Entschlossenheit der solidarischen Mehrheit vermissen, können wir Kants Aufklärung aus Rücksicht auf Schwurbler und deren Verschwörungstheorien gleich in die Tonne treten, die Reise in finstere Mittelalterzeiten umgehend antreten. Stoppen wir den Wahnsinn also lieber gemeinsam und rechtzeitig, bevor er uns alle in den Abgrund zerrt und Bert Brecht Realität werden lässt: „Hinter der Trommel her trotten die Kälber. Das Fell für die Trommel liefern sie selber.“

Verniedlichung öffnet das Tor zur Hölle der Barbarei. (Hans Hütt; Journalist, Autor)

 

*Titelbild: Collage Pixabay

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