Gesellschaft

Von eckigen Bällen und runden Werten

Borussia Dortmund, liebevoll auch BVB genannt, ein börsennotierter Fußballveranstalter unter Herrschaft eines Großtöners namens A. Watzke kündigte einem gewissen G. Schröder (Bundeskanzler a. D.) die Ehrenmitgliedschaft wegen dessen Russland-Jobs und einer Freundschaft zu W. Putin. Von beiden will dieser Altkanzler partout nicht lassen. So weit, so gut oder nicht gut. In der Erklärung war von den Werten die Rede, die der Fußballverein BVB da für sich deklamierte und durch selbigen Schröder verletzt sah. Ob es um moralische Eigenschaften oder den schnöden Mammon ging, so etwas kann man im Fußball dieser Tage nur schwer auseinanderzuhalten. Anstand oder Börse? Wer weiß das im Profifußball noch zu sagen. Von Werten spricht auch der Deutsche Fußballbund, der Schröder ebenfalls die Ehrenmitgliedschaft entziehen will. Beide, jener BVB und dieser DFB, hatten und haben keinerlei Berührungsängste, sich mit arabischen Öl-Diktaturen aus Anlass von Trainingslagern oder Turnieren gemein zu machen. Dabei scheinen die Werte dann im Einklang. Womit auch immer. Wenn im Winter 2022 Katar zur Fußball-WM lädt, lässt sich diese Wertegemeinschaft des DFB auf offener Bühne bewundern. Solche Werte, nicht auf der Weltbühne, aber immerhin in den Weiten der niedersächsischen Provinz, hat natürlich auch Hannover 96, sozusagen Schröders Heimatverein. Der Zweitligist will dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Altkanzler nun ebenfalls seine Ehrenmitgliedschaft entziehen. In Dortmund, Frankfurt und Hannover natürlich alles unter Seitenbegleitung des Organs der Niedertracht, die mit solchen Vorgängen ihrer Nahrung für das gesunde Volksempfinden die richtige Würze geben. Ob an den Hannover 96 Besitzer und Alleinherrscher Martin Kind schon die Frage ergangen, was er mit seinen Hörgeräteläden in Russland macht, ist nicht bekannt. Diese wird er doch bestimmt umgehend schließen, da auch er ein Mann der Werte, sobald Schröder herausgeworfen. Von den Spielchen der Kurzbehosten, wo nur noch der ungehemmte Gelderwerb rund läuft, zu den wichtigen Dingen des Lebens.

Der Fußball zwischen Kursen und „Werten“. (BVB Aktie)

Gerhard Schröder muss sich, so er noch Medien, Zeitungen und Social Media Räume registriert, ein wenig wie Liebknecht und Luxemburg vorkommen. Die aktuellen Schlagzeilen, Tweets und Meinungsäußerungen über und gegen den alten Fußballer Schröder, der in jungen Jahren „Acker“ genannt wurde, kommen jedenfalls mit dem Furor der Marke Noske und Hugenberg daher. Wenn wir doch nur alle so konsequent an den Pranger stellen würden, die mit Lumpen Freundschaft halten und dabei dicke Geschäfte machen. Aber auch da blicken das mediale und das gesunde Volksempfinden auf einem Auge trüber als auf dem anderen. Pech für Schröder. Hinter ihm die Trommeln der Eiferer, der Moralisten, auch vieler Anständiger und einiger Unanständiger. Es gibt eben eine Menge Hühner zu rupfen, wenn es um die Person Gerhard Schröder geht. Der konnte immer austeilen, nun muss er mächtig einstecken. An einem fürstlich bezahlten Job in Russland und an Putin als Kumpel festhalten ist eine Nummer zu dicke. Schlimmer kann man damit dieser Tage auf der Beliebtheitsskala nicht nach unten durchgereicht werden. Jetzt ist er in der Sympathie-Tabelle akut in Abstiegsgefahr. Wohl gemeinsam mit einem emeritierten Papst. Sicher kein wirklicher Trost. Diejenigen, die also den alten Altkanzler indessen im Visier haben, der Fußball ist ihnen schon dienstbar zur Hand gegangen, sind noch nicht zufrieden. Sie wollen mehr. Raus aus der SPD, raus aus dem Spielfeld derer mit Werten und Moral, der es ja aktuell angeblich ca. 80 Millionen gibt. Außer eben Schröder und vielleicht noch Wagenknecht, die Gattin eines Ex-Genossen von Gerhard Schröder. Ironie der Geschichte. Am besten raus aus dem guten Deutschland. Doch immer schön der Reihe nach. Daher zuerst die alte Tante SPD.

Passend zu der Angelegenheit Meldungen im Stundentakt, was die Deutschen gerade über Schröder denken, was die SPD Mitglieder wollen, was jetzt, künftig und überhaupt so gedacht wird und gedacht werden soll und dergleichen mehr. Meinungsumfragen sind ja immer Meinungsmache und liefern, was bestellt. Die große Mehrheit der SPD Mitglieder will laut solcher Art Meinungsumfragen den Genossen Schröder aus der Partei werfen. Als Gerhard Schröder das Land dem Neoliberalismus auslieferte, den Sozialstaat mit der Abrissbirne anging, Hartz IV und die Agenda 2010 in die Spur setzte, Deutschland in den Jugoslawienkrieg befahl, da wollte ihn niemand aus der SPD ausschließen. Aus Partei, Land und dem Kreis der besseren Deutschen sollte er auch nicht verjagt werden. Bis auf einige Gewerkschafter und Protestierer vom linken Rand, deren Rumoren hierzulande allerdings noch nie etwas zählte. Die großen Konzernmedien und deren Angestellte flöteten ihm dagegen fast schon verliebt zu. Zum Reformer wurde er medial gesalbt. Sozialabbau, Kalter Krieg gegen die Unterschicht, Neoliberalismus und echter Krieg bringen einem in bestimmten Kreisen immer Punkte und Applaus in Davos. Lang ist es her. Jetzt also die SPD im Anti-Schröder-Modus, den sie vorher nie gefunden. Diese SPD lässt sich recht gut mit dem BVB vergleichen, es fehlen ihr nur noch Werte an der Börse und die kurzen Hosen. Zumindest für diese steht ihr Generalsekretär.

Genossen bald ohne Gerhard Schröder in der rauen Welt?

Jener Genosse, der sich in irgendeinem Ortsverein der Sozialdemokratie aufmachte, ein Ausschlussverfahren gegen Gerhard S. aus Hannover in Gang zu setzen, lobt sich dafür auf Twitter selbst und nennt sich dort übrigens „Demokratischer Sozialist“. Wie ein demokratischer Sozialist in die SPD geraten, darüber klärt der ansonsten sehr Mitteilsame seine Follower nicht auf. Was würde wohl Tucholsky zu alldem sagen und schreiben? Jedenfalls hat dieser, also der Genosse, nicht Tucholsky, gerade seine 15 Minuten Ruhm und Schröder am Ende vielleicht kein Parteibuch mehr. Das Organ der Niedertracht schreibt mittlerweile huldvoll von der „stolzen SPD“. Früher schrieben sie beim Rücktritt von Willy Brandt noch „Brandt gelöscht“ und auf dem Weg dahin Schlimmeres. Wie sich die Zeiten ändern. Unter den Pharisäern im Feld der Schröder-Jäger sind übrigens vor allem jene besonders auffällig, die ihm 2003 verübelt haben und täglich daraus Schlagzeilen bastelten, dass er Deutschland nicht in den Irak-Krieg marschieren ließ. Nur ist deren Gedächtnis wie Verantwortungsgefühl eben in eigener Sache nicht so ausgeprägt wie ihre Geltungssucht. Deswegen schreiben sie Zeitungsseiten voll, krampfen sich um Mikrofone, reden in Talkshows die Zeit runter und befeuern latent das gesunde Volksempfinden mit Meinungen, die immer als unumstößliche und reine Wahrheiten verkauft werden. Medien sind jedenfalls im Modus Abrechnung, auch Angela Merkel kommt langsam in deren Visier. Es gilt eben alte Rechnungen zu begleichen. Man muss dazu nur in die Social Media Räume blicken, wo sich neue Medienarbeiter, die das dortige Metier beherrschen, weil es altersmäßig zu ihnen passt, mit den abgestandenen Altkadern der deutschen Medienlandschaft in einer sehr vereinheitlichten Parolensprache überbieten und sich für angesagt halten, weil sie der Mehrheit zu Munde flöten. So einfach regelt sich die Welt in manchen Köpfen. In diese eifernden Köpfe nur zwei Fragen auf den Weg. Verkauft die deutsche (westliche) Autoindustrie ab sofort keine Geländewagen, Nobelkarossen und SUVs mehr an reiche Russen und schließt daher wertebasiert ihre Salons in Russland? Und wann lesen wir Konsumenten in deutschen Medien die seriöse und solide recherchierte Liste aller Unternehmen, die aktuell und künftig Milliardengeschäfte mit Putins Russland machen?

Hauptsache groß und teuer. Accessoire reicher Russen rund um den Globus. (Foto von Pixabay)

In einer Welt, wo die „Massenverblödung“ (O-Ton: Peter Scholl-Latour) voranschreitet und durch den Neoliberalismus befördert wird, lesen sich Meldungen und Artikel längst wie PR-Broschüren aus Konzernzentralen. Die Branche Medien nicht auf der Höhe der Zeit, aber auf dem Kutschbock der Meinungs- und Stimmungsmache. Nicht ganz neu. In den letzten Jahrzehnten hielten deutsche Medien ein ungeschriebenes Gesetz hoch. Hermann L. Gremliza, von Rudolf Augsteins „Spiegel“ kommend, seit 1974 Herausgeber der linken Monatszeitschrift „Konkret“ wurde niemals zitiert. („Vielleicht der beste Journalist des Landes“ schrieb die „Jüdische Allgemeine“ aus Anlass von dessen Tod 2019.). Für die bewusste Ignoranz der Konzernmedien gab es einige Gründe. Dieser famose Kerl war natürlich zu schlau für viele seiner Leser, denen er die Leviten las, wenn sie wieder Deutschtümelei oder linkes Sektierertum an den Tag legten. Er hatte auch keine Probleme, seiner eher linken Klientel den Spiegel vorzuhalten und ihnen ihre Spießergesinnung um die Ohren zu hauen. Kündigten dann scharenweise Abonnenten, legte Gremliza deutlich nach, damit ihn auch jeder versteht und verlor dadurch noch mehr Käufer. So etwas nannte man einst einen Unbestechlichen.

Journalist Hermann L. Gremliza (1940 – 2019). (Screenshot TV-Interview)

Gremliza war allerdings auch auffällig schlauer und im Metier sehr viel besser als jene, die sich hüteten, diesen Mann zu zitieren. (Augstein hätte ihn gerne zu seinem Nachfolger beim Spiegel gemacht, er wusste was Gremliza konnte. Natürlich mussten sich zwei solche Kaliber und Egomanen irgendwann überwerfen.) Seine handwerkliche Überlegenheit nahmen sie ihm durch Ignoranz übel. Er ignorierte sie auch, aber nicht ihre Arbeit. Die nahm er in seiner Rubrik „Gremlizas Express“ unter die Lupe und verteilte dann Beurteilungen, in denen las man vom „Reklamejargon“, „Gemisch aus unbeholfenem Gestammel“ „Technokratendeutsch“ und „Gesinnungslumperei“. Jene, die dieses alles pflegten, es bis heute täglich wie eifrig anbieten, waren darüber not amused. Im Hauptgeschäft kommentierte Gremliza grundsätzlichen die aktuellen Verbrechen dieser Welt und machte vor den Wirtschaftseliten so wenig halt wie vor den Niederträchtigkeiten deutscher und internationaler Politik. So einen kann man natürlich nicht zitieren. Wo kämen wir da hin! Ob Hermann L. Gremliza es je in eine Pressemappe von Gerhard Schröder schaffte, ist an dieser Stelle nicht bekannt.

Hermann L. Gremliza:

Dass alles gut sei, solange man die Nachricht sorgfältig vom Kommentar trenne, lautet ein Glaubenssatz des Journalismus. Als  sei nicht die Nachricht selber, durch Auswahl  aus Hunderten anderer, durch Betonung dieses Aspekts  und Vernachlässigung jenes, so zuverlässig von Meinung befallen wie das Batteriehuhn von Salmonellen.

 

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