Leben

Hartnäckige Liebe

Die Briten haben eine Königin, selbstredend ihren und irgendwie unser aller Shakespeare, J.K. Rowling und J.R.R. Tolkien, natürlich Maggie Smith, Judi Dench und Kenneth Branagh, verloren irgendwann ein Empire, standen in zwei Weltkriegen auf der guten Seite, tun sich schwer mit dem Elfmeterschießen und sind darüber hinaus manchmal skurril und oftmals exzentrisch. Daher gibt es eine bestimmte Art von Geschichten eben nur auf ihrer Insel. Über das Verkehrsnetz von London lassen sich selten gute Geschichten erzählen. Hier ist allerdings eine. Dr. Margaret McCollum besucht seit vielen Jahren die Embankment Tube Station der Londoner U-Bahn. Dort fährt sie nicht etwa, was wegen des Ortes irgendwie naheliegend wäre, in die eine oder andere Richtung, sondern setzt sich auf eine Bank und lauscht glücklich der Bahnsteigansage. Die Stimme aus den Lautsprechern ist eine wohlklingende Aufzeichnung und kommt Margaret McCollum nur allzu bekannt vor. Das freundlich sonore „achten Sie auf die Lücke“ der Ansage gehört zu Londons Untergrundbahn wie das Berliner „zurückbleiben“ oder „Achtung bei Ausfahrt/Einfahrt des Zuges“. Was da auf einem London U-Bahnhof Zug um Zug erklingt, wurde einst in den 1950er-Jahren von Oswald Laurence eingesprochen, einem jungen Schauspielstudenten.

Jenen Oswald Laurence lernte Margaret McCollum spät im Leben 1992 kennen. Die beiden heirateten und wohnten in Nord-London. 2007 verstarb Oswald. Seither ging seine Witwe Margaret, so sie es einrichten konnte, Tag um Tag zur Embankment Tube Station, um dort für einige Momente der Stimme ihres Mannes zu lauschen und die Erinnerung an ihn wach zu halten. Im November 2012 dann der große Schreck. Ihr „Oswald war plötzlich nicht mehr da“ und wurde durch eine weibliche Stimme ersetzt. Doch Margaret McCollum bat in einem persönlichen Gespräch die Mitarbeiter von Transport for London (TfL), die Bandstimme ihres verstorbenen Mannes nicht für immer vom Bahnsteig verschwinden zu lassen. Die Leute von TfL waren von der Romantik dieser Geschichte angerührt und fanden einen für alle Seiten guten Kompromiss. So wird Oswalds Stimme nun für bestimmte Züge und Zeiten wieder regelmäßig über den Bahnsteig hallen. Überglücklich danach Margaret: „Es ist wunderbar, seine Stimme genau dort wieder zu hören.“ Im Jahr 2014 wurde die Geschichte dieser Hingabe sogar in einem siebenminütigen Kurzfilm des Autors und Regisseurs Luke Flanagan festgehalten und erlangte seither immer mal wieder neue Berühmtheit, sobald über die Londoner U-Bahn und die sich darum rankenden Sonderheiten berichtet wird. Was für die einen nur verrückt klingt, ist für die anderen eine Hommage an die Liebe.

„Wenn man liebt, sucht man die Schuld bei sich, nicht beim anderen.“ (Richard Burton)

*Titelbild: Dr. Margaret McCollum (Screenshot aus Kurzfilm „Mind The Gap“)

 

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