Gesellschaft

Der ignorierte Pontifex

Meinungsvielfalt gilt eine Menge und wird hochgehalten, vorausgesetzt diese passt. Tut sie dies nicht, malt sich die Welt in vielen Köpfen flugs anders aus. In deutschen Medien gibt es keine Zensur. So plump muss niemand mehr sein. Was nicht sein soll, es findet einfach nicht statt. Aus und fertig. Man denke in unseren Gefilden aktuell an die Autorin und Journalistin Krone-Schmalz. Unlängst erwischte es sogar den Papst, dessen Äußerungen und Termine selbst bei Belanglosigkeiten, so diese ins Bild und die erwünschte Richtung passen, hierzulande stets genügend Aufmerksamkeit bekommen. Der Journalist Dominik Straub machte darauf in der hervorragenden österreichischen Tageszeitung Standard mit einem sehr informativen und erhellenden Beitrag aufmerksam. Interessanterweise schreibt der Autor Straub auch für die deutschen Blätter Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel. Doch in jenen Medien eben nichts zu dem im Standard und hier behandelten Thema. Vermuten wir nicht durch die Gegend, sondern sind lieber dem Standard für eine seriöse und objektive Berichterstattung dankbar. Papst Franziskus traf sich im Rahmen einer Audienz am 24. März 2022 in Rom mit der Frauenvereinigung Centro Italiano Femminile. Natürlich nahm er zu aktuellen Ereignissen Stellung und somit auch zum Ukraine-Krieg. Was Franziskus dabei sagte, passte allerdings nicht in das gerade gängige Bild. Besser gesagt, nicht alles war zur Freude der hiesigen Medienblase, die uns gerne mit gehörigem Aufwand und der Attitüde des Herrschaftswissens eintrichtert, was wir gefälligst zu denken haben. Welche mit leichter Hand auch einfach weg- oder auslässt, was für uns nach ihrer Meinung nicht wichtig, wofür wir nicht geeignet. Nun muss der Papst nicht zu Twitter ausweichen oder in die sozialen Medien flüchten, obwohl er dort vorhanden. Der Vatikan verfügt über eigene Medien, somit ist Totschweigen bei ihm etwas schwieriger. Es wurde in deutschen Medien dennoch per kollektivem Ignorieren offenkundig praktiziert.

Totschweigen als Mittel. Nicht alles aus dem Vatikan ist genehm. (Foto: digital341 auf Pixabay)

Für Wladimir Putin hat das Oberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken nicht viel übrig und ist darin sehr deutlich, wie dem Standard zu entnehmen: „Ströme von Blut und Tränen fließen in der Ukraine. Es handelt sich nicht um eine Militäroperation, sondern um einen Krieg, der Tod, Zerstörung und Elend mit sich bringt.“ Deutlicher kann man es nicht sagen. Allein für sich genommen, hätte es die Titelseiten gefüllt. Hätte. Es kam nämlich noch mehr. Sozusagen das Unerhörte und der Anlass für das einsetzende Totschweigen. Wieder dankbar dem Standard entlehnt: „Ich habe mich geschämt, als ich vom Entschluss einiger Regierungen las, als Antwort auf den Krieg zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in den Kauf von Waffen zu stecken. Dieses sei verrückt. Noch mehr Waffen und Sanktionen seien nicht die Lösung.“ So etwas will niemand, der entscheidet, was wir gefälligst zu sehen und zu hören haben auf dem derzeit angesagten Informationstablett vorfinden. Damit kegelte sich der Papst aus der deutschen Nachrichtenlage. Säße er mit diesen Ansichten in einer deutschen Talkshow, begegnete er dem an solchen Orten wohnenden ewigen Kandidaten für irgendwelche CDU-Posten, den selbst ernannten Welterklärer Norbert Röttgen. Dieser würde dem Papst umgehend den Stempel Putin-Freund verpassen und den so gezeichneten Pontifex Richtung Rom von dannen ziehen lassen. Da kennt der Weltstaatsmann Röttgen nichts und schon gar kein Erbarmen.

Wo wir schon beim Erbarmen angekommen. Solche deutlichen Worte, wie sie dieser Papst Richtung irrationaler Politik vernehmlich sendete, fand nur ein einziger seiner Vorgänger. Den packte in Kenntnis eines anderen Grauens Erkenntnis und Erbarmen gleichermaßen. Im Angesicht der Schlächterei und des Massenmordens an den Fronten des I. Weltkriegs mahnte Papst Benedikt XV. am 1. August 1917 mit einem öffentlichen Friedensappell und richtete dabei eine Frage an die Staatenlenker der Kriegsmächte: „Soll denn die zivilisierte Welt nur noch ein Leichenfeld sein? Er bekam keine Antwort. Der Appell also vergebens. Der aktuelle Papst Franziskus rührte mit seiner Kritik an der Aufstockung der Rüstungsausgaben der NATO-Staaten um zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts an etwas, woran schon Benedikt XV. scheiterte, den Handlungsprämissen von Politikern und deren Sicht auf die Welt. Politik und Politiker schmücken sich gerne mit einem so prominenten Würdenträger, wenn es Wahlkampf- oder Sonntagsreden dient und in ihr Weltbild passt. Eine Papstaudienz wird stets freudig angenommen. So es der politischen Klasse gegen den Strich läuft, hat es sich mit der Freude am jeweiligen Pontifex schnell erledigt. Man weiß um die Ohnmacht des Mannes, der nur Worte hat. Josef Stalin brachte es zynisch auf eine einfache Formel, als ein Papst sein Sowjetsystem kritisierte: „Wie viele Legionen hat der Papst?“

Benedikt XV. 1917 ein vergeblicher Friedensappell. (Screenshot: RAI)

Nicht nur von Papst Franziskus wird voller Skepsis auf das umfassende Aufrüstungsprogramm der NATO-Staaten geblickt. In Italien ist man längst weiter als in Deutschland, es gibt mittlerweile ein kritisches Hinterfragen der Sinnhaftigkeit von Aufrüstung. Ernsthafte Bemühungen, den Gesamtkomplex Ukraine-Krieg offen zu diskutieren und zu analysieren, auch die Wege zu beleuchten, die in diese Katastrophe führten, sind im Gange. Dabei soll nicht mit vorgefertigten Meinungsbildern aus dem Propagandabaukasten spektakelt werden, sondern sich eine offene und breit gefächerte Debatte entfachen. So zumindest der Wunsch und Wille vieler Diskutanten. Michele Serra, ein in Italien berühmter Kolumnist und Schriftsteller, geht inzwischen sogar sehr scharf jene Medien an, für die er Artikel schreibt. Sein Wort hat in Italien Gewicht und findet Leser und Zuhörer. Serra macht sehr deutlich, wie schlimm er den Kriegsberichterstattungston hochnäsiger Leitmedien findet. Was unsereinen sofort an heimische Medien erinnert und sehr bekannt vorkommt. Serra verwahrt sich gegen eine seiner Meinung nach voranschreitende Gleichschaltung und Intoleranz in Bezug auf kritische Stimmen und sprach von „gehässigen Tönen gegenüber denjenigen, die bezüglich der Osterweiterung der NATO Zweifel anmelden, und gegenüber denjenigen, die nicht glauben, dass das Pentagon von Natur aus das ‚Hauptquartier des Guten‘ ist“. In Deutschland wäre er mit solchen Sätzen erledigt und ausgegrenzt, würde das Papst-Schicksal teilen, welches da heißt „Totschweigen“. In Italien hat Serra eine das Land durchziehende Diskussion angestoßen, die uns zu wünschen wäre, aber eher nicht zu erwarten ist.

Michele Serra. Vehementer Verfechter für Meinungsvielfalt. (Screenshot: RAI)

Eine offene Diskussion ist in Italien entstanden, die sich stark und positiv von der in unseren Medien angerollten Propaganda- und Aufrüstungswelle unterscheidet. Dabei spielt sicher das vehemente Wort des Papstes, aber auch ein Blick auf die derzeitigen Rüstungsausgaben eine Rolle. Dazu noch eine auffrischende Erinnerung in Sachen jährlicher Militärausgaben. Putins Russland gibt ca. 66 Mrd. US-Dollar für die Rüstung und die Streitkräfte aus. China ca. 245 Mrd. US-Dollar. Die beiden Erzfeinde des Westens kommen also gemeinsam auf ca. 311 Millionen Militärausgaben. Allein die USA liegen bei ca. 766 Mrd. US-Dollar, Großbritannien ca. 58 Mrd. US-Dollar, Frankreich ca. 51 Mrd. US-Dollar, Deutschland ca. 51,6 Mrd. US-Dollar. In Italien belaufen sich die Rüstungs- und Militärausgaben bei ca. 28 Milliarden US-Dollar. In Anbetracht dieser Zahlen und ihrer Einordnung darf man sich wenigstens einmal die Frage stellen, was bitte Aufrüstung an den Verhältnissen ändern und wohin diese führen soll? Interessant der Blick nach Israel, dessen Streitkräfte seit 1948 das tägliche Überleben des Landes herausragend sichern. Die anerkannt beste und effektivste Armee der Welt. Mit ihren hervorragend ausgebildeten Soldaten und fähigen Offizieren sowie einem enormen Rückhalt in der eigenen Bevölkerung ist sie so wehrhaft und verteidigungsbereit wie niemand sonst auf der Welt. Für diese Erfolgsgeschichte wendet Israel Militärausgaben in Höhe von 21,1 Mrd. US-Dollar auf.

Den so gern eingeholten und genießend entgegengenommen Segen des Papstes bekommt die politische Elite Europas für ihre angekündigte Aufrüstungswelle nun offenbar nicht. Deswegen ignoriert sie ihn. Damit fällt die deutsche Politik in sofortigen Gleichschritt mit der Nicht-Meldungslage über die Worte des Papstes in den öffentlichen Medien wie den Konzernmedien. Ganz verzichten auf einen Segen müssen die politischen Eliten und Entscheidungsträger natürlich nicht. Diese Art Segen schallt ihnen nicht aus Rom, aber freudig wie triumphierend und dankbar aus den Zentralen der Rüstungsindustrie und den Mündern von deren Lobbyisten entgegen. Selbstverständlich klingt solch ein Segen mehr nach Pecunia non olet und weniger nach Urbi et orbi. Es stört diese Gesegneten allerdings nicht wirklich. Man nimmt, was kommt. Der Papst hält derweil offenbar weiter an dem fest, was er sagte, dass „der Kauf von immer mehr Waffen keinen Frieden und mehr Sicherheit garantieren könne, sondern die Seelen, die Herzen und die Menschheit beschmutzt.“

Papst Franziskus: Mann des Wortes. (Annett_Klingner auf Pixabay)

*Titelbild: Papst Franziskus (Screenshot: Vatikan TV) 

 

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