Porträts

Der Unbotschafter

Die Menschen der Ukraine wurden mit Krieg überzogen und benötigen neben Solidarität und militärischem Gerät zum Entrinnen aus diesem Teufelskreis unbedingt auch Diplomatie. Diese Diplomatie verdienen sie und bekommen sie selbst von eigenen Leuten nicht immer in dem Maß, welches nötig. An die ganz persönliche Adresse des Botschafters der Ukraine in Deutschland muss man in dem Zusammenhang sagen. Wer andere im Stundentakt mit Anmaßung und hoher Warte moralisch bewertet, der muss sich daran messen lassen, auf wessen Gräber er Blumen legte und dort ehrendes Gedenken hielt. Botschafter Andrij Melnyk hat da einiges zu bieten. 2015 twitterte er ehrfurchtsvoll wie freudig von einem Friedhofsbesuch. Auf jenes von ihm damals besuchte Grab und das frühere Wirken des darin liegenden Toten sei hier geschaut. Im Jahr 1959 wurde der ukrainische Nationalist Stepan Bandera in München vom sowjetischen Geheimdienst KGB ermordet. Seine letzte Ruhe fand er wie zu Lebzeiten in der bayerischen Landeshauptstadt. Dieser Bandera wird in Israel, Polen und Russland als Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher geführt, der schwedisch-amerikanische Wissenschaftler und Historiker Per Anders Rudling sieht in ihm einen „überzeugten Faschisten“. Mit Beginn des II. Weltkrieges witterte Bandera eine große Chance. Seine „OUN“ (Organisation Ukrainischer Nationalisten) half der Wehrmacht mit Informationen für deren Plan Barbarossa, dem Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion. Seine Vision einer unabhängigen Ukraine gegen die Polen und die Sowjetunion durchzusetzen, tat Bandera sich mit Nazideutschland zusammen, gründete die ukrainische Legion und stellte diese unter das Kommando der Wehrmacht. Im Jahr 1943 war die Organisation Ukrainischer Nationalisten am Massaker gegen die polnische Bevölkerung in Wolhynien beteiligt. (Wo kraucht ein solcher Typ nach dem Krieg unbehelligt unter? Natürlich in der Bundesrepublik.) Dieser Faschist ist bei Neonazis sowie in rechten und nationalistischen Teilen der Ukraine ein Nationalheld. Offensichtlich auch im Kopf von Botschafter Melnyk.

Fackelzug von Nationalisten für Bandera durch Kiew. (Screenshot Euronews, 1.01.2020)

Der Fall Bandera als Beispiel für das moralinsaure wie heuchlerische Gerede eines vorgeblichen Diplomaten, der wenig von Diplomatie versteht und sich aufführt, als sei er der Taktgeber deutscher Politik, die gefälligst zu tun und zu lassen hat, was er über Medien und Zeitungen vorgibt. Dabei steht ihm natürlich brandheiß und aktuell das Organ der Niedertracht zur Seite und liefert aus dem Souffleurkasten propagandistische Aufmunitionierung für eine Vielzahl von Unsäglichkeiten. Botschafter Andrij Melnyk liebt sicher sein Land, doch leider auch das öffentliche Spektakel und alles, was die Medienwelt darin so bietet. Der Besuch am Grab des Faschisten Bandera zog am 6.05.2015 noch eine parlamentarische Anfrage im Bundestag an die Bundesregierung nach sich. Michael Roth, der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, distanzierte sich vom Verhalten des ukrainischen Botschafters. (Dieser Michael Roth ist inzwischen Vorsitzender des wichtigen Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. In dieser Funktion wurde er laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel von Andrij Melnyk unlängst als „Arschloch“ bezeichnet, weil dieser nicht auf der inhaltlichen Welle von Melnyk tanzte. Erneut legte der Undiplomat in Herrn Melnyk Zeugnis über sich selbst ab.) Andrij Melnyk ficht grundsätzlich wenig bis nichts an. Dabei tingelt er zwischen Botschaft, Twitter, dem Organ der Niedertracht und diversen Talkshows hin und her. In Talkshows giftete er gern und oft andere Studiogäste an, so diese nicht seiner Anschauung und sich Politiker nennen. Regelmäßig und selbstgefällig watscht er diese vor laufenden Kameras ab. „Was wir in der Ukraine wollen, habe ich ihnen schon über die Zeitungen gesagt“ und fertig ist er. Da schauten Jürgen Trittin wie Kevin Kühnert etwas verdattert aus ihrer Wäsche. Diese unsägliche „nun macht gefälligst, was ich will“ Tonlage kommt natürlich im konservativen Teil des deutschen Medienwaldes vorzüglich an und bescherte dem nach Öffentlichkeit heischenden Melnyk, was er begehrt, eine latente Aufmerksamkeit.

Als der deutsche Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach Anfang 2022 wegen eher salopper und dabei nicht völlig falscher Äußerungen („Russland und Putin wollen Augenhöhe und Respekt“), die ihn hierzulande umgehend zu einem „Putin-Freund“ machten, durch das Organ der Niedertracht zurückgetreten wurde, meldete sich natürlich Herr Melnyk zu Wort: „Die Ukrainer fühlten sich bei dieser herablassenden Attitüde unbewusst auch an die Schrecken der Nazi-Besatzung erinnert, als die Ukrainer als Untermenschen behandelt wurden.“ Dann stellte er gleich noch „deutsche Arroganz und Größenwahn bei hochrangigen Köpfen der Bundeswehr“ fest. Auf wessen Titelseiten er dies tat, braucht hier nicht noch erwähnt werden. Es faselte da einer von den „Schrecken der Nazi-Besetzung“, der Blumen ehrend auf das Grab eines Faschisten legte. Was immer Doppelmoral auf Ukrainisch heißen mag. Nichts davon konnte allerdings den Bundestag abhalten, auf der Sondersitzung vom 27. Februar 2022 zum Ukrainekrieg den Botschafter Melnyk mit Standing Ovations zu begrüßen und für diesen noch eine Umarmung von Ex-Bundespräsidenten und Ex-Pfarrer Joachim Gauck im Köcher zu haben. Wollen wir hoffen, der Applaus galt dem Volk und den Menschen der Ukraine, weniger dem Undiplomaten Melnyk. Dieser Botschafter Melnyk ist längst in einem selbst definierten Kampfmodus. Wenn schon nicht an heimischer Front, dann wenigstens aus edler Botschafterresidenz in Berlin. Darauf basierend zieht er seine Kreise. Was er macht und sagt, korrespondiert – rein zufällig – vortrefflich mit Deutschlands reaktionärem Medienkonzern und dessen Organ der Niedertracht.

Joachim Gauck mit Andrij Melnyk im Deutschen Bundestag. (Screenshot Deutsche Welle, 27.02.2022)

Wem diplomatische Qualitäten abgehen, der kann dennoch andere Stärken ins Feld führen. Solche Qualitäten liegen bei Herrn Melnyk offensichtlich auf dem Kriegsschauplatz Twitter, den er gerne und weidlich nutzt, womit er wahrlich nicht allein in den politischen Gefilden unserer Welt. Als die ARD Tagesschau das äußerst umstrittene ukrainische „Asow Regiment“ beleuchtete, ein paramilitärisches Freiwilligenbataillon mit rechtsextremem Hintergrund – nebst Neonazis unter ihren Anführern – war der Herr Botschafter wieder zur Stelle. „Leute, liebe @tagesschau, lassen Sie doch endlich das „Asow Regiment“ in Ruhe. Bitte. Wie lange wollen Sie dieses russische Fake-Narrativ – jetzt mitten im russischen Vernichtungskrieg gegen Zivilisten, gegen Frauen und Kinder in Mariupol – bedienen?“ twitterte er etwa am 19. März 2022. Anlass war ein Tweet der Tagesschau, die über die rechtsextreme Unterstützung der Truppe innerhalb Deutschlands berichtete. (Es sei erwähnt, immerhin schrieb Melnyk tatsächlich das Wort „Bitte“! Für ihn eher untypisch.)

Für ein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier veranstaltetes Solidaritätskonzert sagte Melnyk seine Teilnahme öffentlich per Tweet ab, natürlich passend orchestriert vom Organ der Niedertracht. Das Konzert, bei dem neben den Berliner Philharmonikern auch der weltberühmte russische Pianist Jewgeni Kissin auftrat, wurde von Melnyk boykottiert. Er verwahrte sich gegen die Teilnahme von Russen an diesem Konzert und wollte mehr ukrainische Solisten. Da das Bundespräsidialamt nicht über den fordernden Stock sprang, den Melnyk öffentlich hinhielt, erledigte er den Rest dann per Twitter. Eines blendete er dabei einfach aus. Kissin, absoluter Meister seines Fachs und weltweit geschätzt von Publikum und Kollegen (Martha Argerich), lebt seit 1991 nicht mehr in Russland, ist sozial äußerst engagiert und war auch schon für UNICEF aktiv. Bereits im Februar 2022 hat Kissin einen offenen Brief von Künstlern unterzeichnet, in dem der russische Überfall auf die Ukraine als „durch nichts zu rechtfertigen“ verurteilt wird. Solche Feinheiten interessieren einen Undiplomaten natürlich nicht die Bohne. Ganz aktuell nimmt sich Melnyk den deutschen Finanzminister zur Brust und plaudert dabei erneut öffentlich, was jemand in einem vertraulichen Gespräch angeblich zu ihm gesagt. Der Hort angeblicher Bürgerlichkeit, die FAZ, jubelt Herrn Melnyk derweil hinterher: „Andrij Melnyk ist vielen Politikern verhasst. Denn er sagt ihnen die Wahrheit ungeschminkt ins Gesicht.“ Was hierzulande mittlerweile alles als Wahrheit durchgeht, so die ausgerufene Formel dem eigenen Weltbild entspricht, ist so erstaunlich nicht, bei näherer Betrachtung eher folgerichtig.

Es gibt in der Ukraine sicher bessere Diplomaten als Andrij Melnyk. (Collage: ChiaJo auf Pixabay)

Was Diplomatie anbelangt, wie diese funktioniert, um etwas zu bewirken, könnte Andrij Melnyk bei echten Diplomaten nachlesen. Also Twitter aus und dafür ab und an in einige Bücher schauen. Benjamin Franklin, Dag Hammarskjöld, Carl Jacob Burckhardt, George F. Kennan, Egon Bahr, Raoul Wallenberg und Schimon Peres, um nur einige zu nennen, haben vieles hinterlassen. Darin ließe sich eine Menge an diplomatischem Rüstzeug und Nachhilfe für Herrn Melnyk finden. Menschen und Volk der Ukraine verdienen in diesen Kriegszeiten einen Diplomaten für ihr Land, keinen Propagandisten mit egomanischen Zügen. Dessen Zusammenspiel von Unhöflichkeit und Indiskretion mag vielleicht der Schlagzeilenproduktion eines rechten Boulevardblattes dienstbar sein. Für erfolgreiche Diplomatie steht solcher Art Politikverständnis nicht. Ein Diplomat, der die seinem Land stark zuwachsende Sympathie durch ständiges Gepolter konterkariert und gefährdet, könnte schlicht und ergreifend sein Metier verfehlt haben. Dieses Metier dennoch ein Stück weit zu beherrschen, könnte sich selbst ein verbohrter Zeitgenosse von der Art des Botschafters Melnyk lernend aufmachen. Allein, es fehlt einem dafür der Glaube und ihm wohl der Wille. Viel zu pudelwohl fühlt sich der geschilderte Herr in seinem Krawallmodus. Vielleicht findet der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, eine klügere Lösung für den Botschafterposten in Berlin. Es wäre für die Diplomatie und sein Land gleichermaßen ein Gewinn und richtiger Schritt. Ein politischer Akt der Vernunft. So etwas wird auch Diplomatie genannt.

Der Weg zum Frieden braucht Diplomatie und Diplomaten. (Collage: Pixabay.)

*Titelbild: Andrij Melnyk (Screenshot aus ARD-Talkshow)

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