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Wortsalat

Schauen wir etwas zurück. Es ist der 7. Februar 2022, das Weiße Haus in Washington. Dort gibt Joe Biden, seines Zeichens US-Präsident, eine Pressekonferenz. Neben ihm Olaf Scholz, seines Zeichens der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Joe Biden sieht fröhlich und zufrieden aus, liest in solcher Art Stimmung sein Blatt runter. Die freie Rede und ein geordneter Lauf der Gedanken sind seine Sache nicht und bergen bei ihm stete Gefahren. Worte waren für Joe Biden schon immer ähnliches Glatteis, wie ihm mittlerweile beim rauf wie runter die Gangway am Präsidentenflugzeug Air Force One ein problematischer Ort wird. Neben vielem anderen ist Joe Biden eben auch ein sehr alter Herr. Wie es der Schriftsteller Philip Roth zum Ausdruck brachte: „Das Alter ist ein Gemetzel“. Vom Schriftsteller wieder zum Politiker, der Joe Biden nun mal ist. Neben Scholz stehend verkündete (verlas) Biden: „Es wird kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“ Darauf reagierte sofort eine mitdenkende Reporterin: „Wie wollen Sie das genau machen? Da das Projekt und die Kontrolle über das Projekt in der Hand Deutschlands liegt?“ Joe Bidens Antwort prompt: „Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sein werden, es zu tun.“ Wer sich für den Führer der selbsternannten freien Welt hält, der darf so reden und tut es auch. Da sich viele in Deutschland immer nach Führung durch einen Anführer sehnen, fällt solch Verhalten hierzulande auf fruchtbaren Boden. Andererseits wollen wir uns gedanklich nicht damit aufhalten, was wohl im deutschen Medien- und Blätterwald alles abgegangen wäre, wenn ein gewisser Donald Trump dieser Art mit Angela Merkel umgegangen wäre. Umgesprungen wollen wir so wenig sagen wie den sich anbietenden Vergleich Lehnsherr und Vasall aufs Trapez bringen. Lieber springen wir nun in die letzten Tage und landen daher mit Joe Biden in Warschau.

Joe Biden redend und lesend in Polen. (Screenshot: Phoenix-Deutschland)

In Polens Hauptstadt legte Joe Biden am 26. März 2022 in einer öffentlichen Rede mit Teleprompter richtig los. Anfangs zitiert er den ehemaligen polnischen Papst Johannes Paul II. mit dessen Satz „Fürchtet euch nicht“. Dem darauf abhebenden Publikum präsentiert er sich als „Führer der freien Welt“ (Rheinische Post) und hält für einige Betrachter „eine starke Rede“ (Handelsblatt). Nun ja. Einiges aus der „starken Rede“ machte jedenfalls die Runde. Wenn schon bei so vielen Katholiken unterwegs, dann eben gleich richtig. So ähnlich muss es dem US-Präsidenten in seiner Euphorie wohl durch den Kopf gesegelt sein. Also bezeichnete er die Vertragsinhalte der NATO als „heilige Verpflichtung“. Weil er und seine Redenschreiber es offensichtlich mit Päpsten haben, könnte ihm Papst Urban II. eingefallen sein, der am 27. November 1095 in Clermont-Ferrand zum Kreuzzug aufrief, dabei auch von „heiligen Verpflichtungen“ und als Papst natürlich folgerichtig vom „Heiligen Krieg“ sprach. Letzteres vermied Joe Biden und sachliche Betrachter und rationale Zuhörer waren durchaus erleichtert. Hatte doch schon ein US-Präsident, der tumbe wie gefährliche George W. Bush, welcher nach zivilisatorischen Maßstäben als Lügner und Kriegsverbrecher betrachtet werden darf, das Wort Kreuzzug im Munde geführt. Jenen allerdings, die bereits aufatmeten, weil Joe Biden in diesem gefährlichen Feld gerade noch die Kurve bekam und weitere Kreuzzugmetaphern nicht über seine Lippen brachte, drehte selbiger etwas später doch noch eine Nase und verkündete Richtung Wladimir Putin: „Um Gottes willen: Dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“ Warum Joe Biden den Allmächtigen anrief, bleibt noch im Unklaren. US-Präsidenten neigen jedoch dazu, Gott für ihr Tun in Haftung zu nehmen, was verständlich. Viele US-Bürger glauben ernsthaft, dieser wohnt gemeinsam mit Jesus in ihrem Land. Außerdem ist Joe Biden Katholik, von daher so ein Anruf irgendwie okay. Der zweite Teil seiner Putin-Ausführung sorgte jedoch für einen Interpretationstsunami, begleitet von einem anhaltenden Erklärungsgewitter. Dieses könnte selbst tote Päpste aus ihrem Grab geschreckt haben.

Vorbild für unsere Tage? Papst Urban II. macht auf Kreuzzug. (Bild: Historischer Stich.)

Die gefährlichen Worte in Richtung Putin „Dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“ waren in der Welt. Da drängte sich sofort der Begriff „Regime Change in Russland“ in die Köpfe der mitdenkenden Zuhörer. Wie auch die daraus möglichen Konsequenzen. Spielte Joe Biden erneut sein persönlicher Krieg mit Worten und Temperament nebst seinem Alter einen Streich? Oder offenbarte der amtierende US-Präsident en passant und unbeabsichtigt, was das eigentliche Ziel der US-Politik? Seither glühen jedenfalls Mikrofone und rauschen Blätter, vor allem in deutschen Medien. Selbst jene, die geistig so gerne im Kübelwagen Richtung Russland unterwegs, um alte Fronten zu begradigen, bekommen nun offensichtlich kalte Füße. In den Redaktionsstuben (Längst viel edler Newsdesk oder Newsroom genannt.) dieser Welt setzte ein tausendfacher Chor von Interpretationen und Deutungen ein. In Deutschland noch zusätzlich das journalistisch so beliebte Kommentieren von jedem, der sich dazu berufen fühlt. Es soll uns hier nicht weiter interessieren, weil vielfältig und auf allen Kanälen im Überfluss vorhanden. Man muss es nicht erneut wiederkäuen, zumal es noch tagelang die Gemüter bewegen wird.

Wesentlicher scheint ein anderer Aspekt. Kalte Füße bekam nämlich wegen Joe Biden und dessen Plapperei sogar das politische Washington. Kalte Kriege und Stellvertreterkriege sind eine Sache. Der drohende Konflikt zwischen Nuklearmächten, welcher dadurch immer die sofortige Zündschnur eines realen Weltkrieges mit sich führt, ist ein anderes Ding. Mit solchen Überlegungen im Köcher hetzte nach einigen Schreckmomenten die halbe Biden-Administration, allen voran US-Außenminister Antony Blinken, in eine öffentliche Erklärungs- und Deutungswelle, die ihresgleichen sucht. (Unweigerlich fallen einem sofort die chinesischen Kaiser ein. Deren Deuter griffen sich des Morgens den herrschaftlichen Nachttopf und lasen dann im kleinen wie großen Geschäft der Majestäten die nahe und ferne Zukunft, manchmal das Schicksal der Welt. Auch eine Methode.) Es wurde jedenfalls geschwurbelt und gedreht, was Joe Biden wollte und was nicht, wie es wirklich gedacht und warum er sagte, was nicht so gemeint und weshalb dieses klang, wie es nicht klingen sollte und so weiter und so fort. Wirrwarr und Wortsalat waren die Folge. Wer sich plötzlich an den irrlichternden Donald Trump und den fatalen George W. Bush erinnert fühlte, der lag nicht ganz falsch. Biden mag bessere Manieren und Umgangsformen haben, über mehr Bildung verfügen und persönlich sympathischer wirken. Und sonst? Was soll man vom Pakt USA/NATO/EU unter diesem Anführer, so sein Selbstverständnis und williger Wunsch vieler in Deutschland, eigentlich halten? Anführer – wovon auch immer – deren Äußerungen ständig Deuter und Erklärer benötigen, damit keine Katastrophen eintreten, vermitteln einiges. Vertrauen sicher nicht. Sollte das antike Wort von Titus Petronius „Wie der Herr, so’s Gescherr“ noch Gültigkeit haben, dann darf einem beim Gedanken wohin der Bündnispakt dem Vorturner Joe Biden hinterher marschiert schon ein bisschen bange werden. 

Chinesische Methode. Deutung aus dem Nachttopf. (Bild: Willfried Wende auf Pixabay)

Was den Außenminister der USA sicher zusätzlich mit Ärger umtrieb, war der gewonnene Punkt für Putin. Der russische Präsident hatte mit seinem Ukraine-Krieg das fragile Bündnis aus einem zerstrittenen Europa und den wankenden USA ungewollt neu belebt. Zusätzlich verschaffte er dem im eigenen Land mit geringem Ansehen („Sleepy Joe“ längst geflügeltes Wort in den USA.) politisch dahinsiechenden US-Präsidenten Wind unter dessen lahme Flügel. In Washington galt Putin hinter vorgehaltener Hand schon als bester Mann der NATO, ein freudig begrüßter Zusammenschweißer alter Bündnisse. Und nun Biden und dessen verbaler Korken. Seine Einlassung wird Putin stärken. Sollte dieser überhaupt auf wackeligem Thron gesessen haben, Politiker und Generäle über eine Absetzung im stillen Kämmerlein zumindest gegrübelt haben, ist diese Option jetzt vom Tisch. Blinken wird sich darüber im Klaren sein und Biden es zumindest ahnen, so es ihm jemand erklärt. Er persönlich hat die russischen Reihen fester geschlossen, als es der angeschlagene Putin aktuell selber gekonnt hätte. Denkt man sich Putins wie Bidens Handlungen oder Eigentore zu Ende, kommt man nicht wirklich zu einem Ergebnis, eventuell aber zu einem Bild, wo sich Chinas Führer grinsend die Hände reiben und ihr Glück nicht fassen können. Natürlich kommt einem in Sachen Putin und Biden unweigerlich Charles-Maurice de Talleyrand in den Sinn. Frankreichs genialer und verschlagener Staatsmann, pflegte bei Torheiten, so diese sich auf dem Feld der Politik ereigneten, stets zu sagen: „Es war schlimmer als ein Verbrechen, es war eine Dummheit.“ Ein besseres Schlusswort lässt sich momentan nicht finden.

*Titelbild: NBC-News (Screenshot)

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