In einem Gespräch zwischen dem immer gut vorbereiteten und seinen Beruf seriös ausübenden Spiegelredakteur Markus Feldenkirchen, seines Zeichens Fan von Borussia Mönchengladbach und einem stets netten SPD-Vorsitzenden und Bayern München Fan Lars Klingbeil, kommt es irgendwann zu einer bunten Frage. Es werden Bilder eingeblendet, Klingbeil möge bitte sagen, was er mit diesen Menschen gemein hat, was sie ihm bedeuten. Erstes Foto August Bebel, die Ikone der Arbeiterbewegung, der „Arbeiterkaiser“, Kämpfer gegen das Sozialistengesetz, Urvater der deutschen Sozialdemokratie. Der Bismarck der Proletarier. Klingbeil schaut und antwortet auf die Frage „Kennen Sie diesen Mann?“ ziemlich zügig:
Nee, weiß ich jetzt nicht. Ich kenne ihn wahrscheinlich. Kann ihn jetzt aber aufgrund dieses Fotos nicht identifizieren.
August Bebels Bild hängt sogar im Willy-Brandt-Haus. Immerhin war er von 1892 bis 1913, was Klingbeil heute ist, nämlich SPD-Vorsitzender. Bebels Porträt zierte auch das Bundeskanzleramt zu Bonn, hing dort im Büro des Kanzlers, solange Helmut Schmidt dort arbeitete. Es wurde umgehend von Helmut Kohl abgehängt und durch ein Bildnis von Konrad Adenauer ersetzt. Die konservative Weltordnung sozusagen wieder ins rechte Bild gerückt. Viele hätten bei der Frage nach August Bebels Porträt passen können, aber bitte nicht ein SPD-Vorsitzender. (Zumal die wenigen überlieferten Bilder/Fotos von Bebel längst fester Bestandteil des kollektiven Geistes der Arbeiterbewegung und der SPD-Geschichte.) Es sind solche unscheinbar wirkenden Petitessen, die den Verfall der SPD stets neu zeichnen. Egal was die Genossen über einen eingebildeten Wahlsieg (26,4 %) im Herbst 2021 so fabulieren, der jener „Siegerin“ SPD übrigens gerade durch das eingegangene Ampelbündnis flott zerbröselt. Dieses macht in der Tagespolitik nur die FDP in großen Teilen und die Grünen in Versatzstücken zum nachträglichen Sieger. Denkt man an die SPD und schaut auf ihr heutiges Agieren und ihr Führungspersonal, muss man eben immer wieder Tucholsky mitdenken und seine berühmte Feststellung im Angesicht des netten Lars Klingbeil nochmals in Erinnerung rufen:
Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas.
Ob der amtierende SPD-Vorsitzende überhaupt weiß, wer Kurt Tucholsky war, ist nicht übermittelt.
(Man kann sich das komplette Interview/Gespräch auf der Spiegel-Website übrigens ansehen. Dafür muss man vorher aber mindestens einen schrecklichen Werbefilm ertragen, der einem im modernen Medienzeitalter eben untergejubelt wird.)