Gesellschaft

Neoliberale Tonalität

Sprache ist gleichermaßen Medium der Verständigung, der Täuschung und Selbsttäuschung. Mittlerweile wird sie von Personen, die öffentlich agieren und mit vielen Worten nichts sagen möchten, inflationär über uns gebracht. Daher kann die Allgemeinheit nicht mehr alles aufnehmen, hört mehr weg als hin. Ob dieser Effekt von Politikern bewusst so angelegt oder ein Element des Zeitgeistes? Es lässt sich nur schwerlich sagen, ohne dabei ins Reich der Spekulation abzudriften. Bei aller Überflutung durch die sprachliche Beliebigkeit der Tagespolitik lohnt sich genaues Hinhören dennoch. Wer zu lange weghört, verspielt freiwillig seine demokratische Teilhabe. Hinter banalen Worthülsen versteckt, finden sich öfter ernüchternde Wahrheiten und bedrohliche Perspektiven. Ricarda Lang, ihres Zeichens neue Co-Vorsitzende der Regierungspartei die Grünen, gab sich nach ihrer Wahl aufgeräumt und frohgemut. Was man besonders einem jungen Menschen von 28 Jahren, welcher gerade in ein hohes Amt geraten ist, durchaus zugestehen sollte. Daher war Frau Lang wohl auch in bester Interviewlaune. Im seriösen Deutschlandfunk lieferte sie dann umgehend eine Aussage, die von einer enorm kaltherzigen Weltsicht hinter der Fassade vermeintlicher Zukunftssicherung zeugt. Die gegenüber dem Deutschlandfunk formulierte Meinung wurde von Frau Lang selbstredend von ihrem Twitteraccount weiterverbreitet:

Hier offenbart sich mit harmloser Sprache ein schreckliches Weltbild. Hinter der Fassade vermeintlicher Weltrettung im Geist von Zukunft und Notwendigkeit klingt in diesen zwei Sätzen die soziale Kälte mit lautem Glockenschlag. Ob es sich hierbei um Naivität, bewusste Täuschung, Weltfremdheit, eine dummfreche Attitüde, fehlende Lebenserfahrung, eine tief sitzende Überzeugung, politisches Kalkül oder blanken Zynismus handelt, sollte nicht vermutet, sondern von Frau Lang erklärt werden. Wer sind eigentlich die Menschen, denen Frau Lang mit leichter Hand Zumutungen verordnen möchte und wer ist mit wir gemeint, die da offensichtlich Zumutungen fabrizieren dürfen? Die Grünen? Die Ampel? Die Politik? Kaiser Wilhelm II., jener eitle Dummkopf mit dem angezettelten Weltkrieg I., sprach von sich übrigens auch gerne als wir. Bei blaublütigen Monarchen durchaus üblicher Ton. Monarchistische Anwandlungen stecken sicher nicht hinter Frau Langs Anmerkungen – Zynismus schon. Die Menschen, die von der grünen Spitzenpolitikerin hier über einen Kamm geschert werden, gibt es als festen Block oder Einheitsmodul noch nicht. Wie Menschen als graue und einheitliche Masse funktionieren, lässt sich in „1984“ von George Orwell sehr gut nachlesen. Die Deutschen in totaler Gleichmacherei hinter ihrem Führer Adolf Nazi sind ebenfalls noch in schrecklicher Erinnerung.

Einen bedeutenden Sachverhalt, den eine zur Wohlstandspartei gewordene Bewegung von der Machart der Grünen stets ausblendet oder nicht erkennen kann, ist die soziale Frage. Es ist ein gravierender Unterschied und eine pure Überlebensfrage, ob reiche Menschen und Besserverdienende drastisch höhere Wasser-, Energie- und Gasrechnungen bekommen oder eben arme Menschen, Geringverdiener und Mindestlohnbezieher. Sehr unterschiedliche Gruppen in sozialen Schichten, die durch ihren Reichtum oder ihre Armut einige Welten voneinander getrennt sind. Eine Nebenkostenerhöhung, die der reichen Oberschicht keine Notiz wert, kann viele Teile der armen Unterschicht völlig aus ihrer Lebensbahn werfen. Wissen die Grünen und deren neue Vorsitzende eigentlich um den tiefen sozialen Graben in unserer Gesellschaft, die Kluft zwischen Arm und Reich? Die Frage kann zumindest im Angesicht der grünen Bundestagsfraktion und deren Personal eher mit Nein beantwortet werden. (Hierbei sollte nicht vergessen werden, was die Grünen in den letzten Jahren gerne und relativ erfolgreich unter den Teppich gekehrt haben. Sie sind genau wie die SPD, eine Partei, die unter Gerhard Schröders Kanzlerschaft die Hand an den Sozialstaat legte, für Agenda 2010, Hartz IV, Niedriglohnsektor und Sozialabbau mitverantwortlich.) Wer einmal zu später Supermarktstunde alte Menschen mit unzureichender Rente nach abgelaufener Ware hat suchen sehen, weil diese des Abends verbilligt aus den Regalen geht, der bekommt eventuell eine kleine Vorstellung davon, was Zumutung bedeutet. Im Biomarkt trifft man solche Suchenden natürlich eher nicht. Wie Frau Lang die 13,4 Millionen Menschen, die in Deutschland offiziell in Armut leben, über Zumutungen, mit der Realität vertraut machen möchte, wird sie uns sicher in einer ihrer nächsten Verlautbarungen erklären. Die 2,8 Millionen Kinder unter 18 Jahren, die hierzulande von der Realität Kinderarmut betroffen, könnten an dieser Antwort ebenfalls interessiert sein.

Armut. Schon immer eine ferne Welt für grüne Politiker. (Collage: Gerd Altmann auf Pixabay)

Menschen in Armut sind den Grünen fremd, nah war man sich beidseitig nie. Grüne Politiker entstammen meistens einer sehr satten und gediegenen Bürgerlichkeit, mit wenig Bezug zum alten Proletariat oder dem neuen Prekariat, was ihrer Politik oftmals anzumerken. Armut und Menschen der Unterschicht kennt man eher aus einem langen Soziologiestudium und theoretischen Debatten, selten von der Straße. Eine Protesthaltung lebte man, weil man sich diese auch materiell leisten konnte. Die Elenden blieben und bleiben stets eher ferne Gestalten. Das Universum zwischen Elektroauto und Biomarkt war und ist wiederum keine wärmende Heimstätte für diese Elenden. Wer friert und hungert, hat kein Gefühl mehr für politisch korrekte Sprache, vegane Würste oder angesagte Strömungen der Zeit, er möchte nur ganz profan überleben und ein Stück Würde zurück. Gendern mag dem Zeitgeist entsprechen, satt machen tut es dennoch nicht. Nah stehen die Grünen, denen Frau Lang jetzt gemeinsam mit Omid Nouripour verantwortlich vorsteht, längst jenen Leuten und Institutionen, denen bis heute grundsätzlich nie etwas zugemutet wird, die auch nicht von den Vorgängerregierungen behelligt wurden. Milliardäre, Industriegiganten, globale Ausbeuter oder Banken und Finanzjongleure haben von diesen Grünen keine Störung ihrer Kreise zu befürchten. Die Kühne, KlattenQuandt, Würth und wie sie alle heißen, können weiterhin auf die Grünen zählen, während sie Milliarden auf Kosten anderer scheffeln. Der Großinvestor und Multimilliardär Warren Buffett sprach einst vom „Kernkonflikt unserer Zeit“, den er als „Krieg der Reichen gegen die Armen“ bezeichnete. In diesem andauernden Krieg, man muss nur um den Globus schauen, können sich die Reichen auf die Grünen an ihrer Seite stets verlassen. Davor sollten grüne Anhänger und Wähler nicht die Augen verschließen. Buffet schob im legendären New York Times Interview bei bester Stimmung noch nach, „die Klasse der Reichen wird diesen Krieg gewinnen“. Man kann ihm leider nicht wirklich widersprechen.

An der grünen Gesellschaftstafel ist für die Armen kein Platz. (Collage: Derek Robinson auf Pixabay)

Das grüne Gesellschaftsmodell ist eine Verlängerung der konservativen Versuchsreihe der Zwei-Drittel-Gesellschaft, wo ein Drittel eben am unteren Rand hängen oder ganz auf der Strecke bleibt. Neoliberalismus pur. Schauen wir nun auf die neue Vorsitzende dieser im Kern neoliberalen Partei. Ricarda Lang sitzt im Deutschen Bundestag, bezieht wie jeder andere Abgeordnete Diäten in Höhe von ca. 10.000 Euro pro Monat und zusätzlich ca. 4.500 Euro pro Monat für „Aufwendungen“. Es sei ihr vergönnt. Niemand sollte selbstgerecht die Nase rümpfen, weil (fast) alle in gleicher Position dieses durchaus üppige Salär ebenfalls annehmen würden. Damit leider noch nicht genug. Frau Lang hob 2020 auch ihren Arm für einen Corona-Bonus im Grünen-Vorstand, den man sich in Höhe von 1.500 Euro sozusagen selbst bescherte. Ob bei dieser Entscheidung die Frage diskutiert wurde, wie viele Supermarktangestellte oder Pflegekräfte und medizinisches Personal sich per Selbstbeschluss einen Bonus verordnen können, ist nicht bekannt. Es ist ebenfalls nicht übermittelt, ob jemand wegen der Selbstbedienungsmentalität schamrot anlief. Zugegebenermaßen ist dieser Vorgang bei den Grünen nur Fliegendreck zu den Maskendeals in Reihen der CDU/CSU, wo 48 Millionen Provisionszahlungen aus Steuergeldern allein an Andrea Tandler flossen, der Tochter eines alten CSU-Granden. Da verschlägt es einfachen Erdenbürgern die Sprache, so solche Nachrichten zu ihnen vordringen. 48 Millionen oder 1.500 Euro. Genau diese Selbstbedienungsmentalität von Politikern zerstört mehr und mehr jede Glaubwürdigkeit der politischen Klasse, desavouiert auch die anständigen Teile dieses Gewerbes. Bedenklich für eine Demokratie.

Grün und Geld. Längst kein Widerspruch. (Foto: Nattanan Kanchanaprat auf Pixabay)

Woher Frau Lang und die Grünen ein Recht ableiten, Zumutungen anzupreisen, die sie allesamt selber nicht durchleben müssen, mag auf den ersten Blick schleierhaft wirken. Bei genauerem Hinsehen eben nicht. Was als modern und notwendig angepriesen, in diesem Fall von der Person Ricarda Lang, die sogar als linke Grüne gilt, ist schlicht und ergreifend neoliberaler Politikgeist in Reinkultur. Frau Langs Satz von den Zumutungen für die Menschen lässt sich in ähnlicher Diktion schon bei Margaret Thatcher finden. Diese war in der Nachkriegsära mit ihrer Amtszeit als Premierministerin des Vereinigten Königreichs von 1979 bis 1990 und der darin vorangetriebenen und manifestierten Politik die wohl schlimmste und zynischste Vertreterin des Neoliberalismus in Europa. Sie führte Krieg gegen Gewerkschaften, Bergarbeiter und arme Leute im eigenen Land, hätschelte die Eliten und Superreichen im Gegenzug mit Steuererleichterungen und Privilegien. Eine Art Urmutter von Tony Blair und Gerhard Schröder. Margaret Thatcher wollte mit ihrer Kopfsteuer den Menschen ebenfalls etwas zumuten und pochte darauf, „die Medizin müsse dem Patienten bitter sein, sonst hilft sie nicht“. Beim Verabreichen der bitteren Pillen dachte sie natürlich nicht an die Reichen, ihr sozialer Krieg galt immer dem Kampf gegen die Armen. Wohlgemerkt nicht der Armut. (Als diese längst von ihren eigenen Leuten davon gejagte „Eiserne Lady“ hochbetagt starb, wischten sich Finanzmagnaten und Banker an der Wall Street und natürlich am Finanzplatz London sogar Tränen aus den Augen. Britische Rentner, Hausfrauen und Gewerkschafter sangen dagegen etwas pietätlos Ding-Dong! The Witch Is Dead, eine legendäre Musiknummer aus „Der Zauberer von Oz“. Da war er wieder zu greifen, der Krieg zwischen den Reichen und den Armen.) Thatcher ist Geschichte, der Neoliberalismus ihrer Prägung hat sie überlebt, ist lebendig und mächtig wie eh und je.

Margaret Thatcher: Neoliberalismus pur. (Foto: Britisches Parlaments TV. Screenshot.)

So man sich vom Nebel einer verschleiernden Weltverbesserungssprache nicht auf die falsche Fährte führen lässt, erkennt man bei den Grünen genau den neoliberalen Politikansatz, welcher sich hinter deren Zumutungen für Menschen vermuten lässt. Es ist ein naives Ammenmärchen und falsche Annahme, dass derjenige, der für Klima, Umwelt und den Planeten eintritt, automatisch sozial und volksnah sein muss. Diesen Eindruck versuchen die Grünen allerdings zu vermitteln. Es gelingt ihnen oftmals aber nicht immer. Mit dem Fahrrad fahren, öffentliche Verkehrsmittel benutzen und Tiere mögen ist redlich, dennoch nicht automatisch ein Beleg für Kompetenz und politisches Engagement in der Armutsbekämpfung oder beim Thema soziale Gerechtigkeit. Bei den Grünen ist, wo soziale Politik gefragt wäre, eher knallharte FDP Politik und deren Marktsprache zu finden. Diese Grünen sind längst die größte Mogelpackung im demokratischen Parteienspektrum der Bundesrepublik. Wenn Frau Lang und ihr Mitvorsitzender sich einen historischen Verdienst erwerben wollen, sollten sie die Grünen ehrlich machen und ihre Partei baldigst mit der FDP zusammenführen. Praktisches Muster, die Gemeinschaft CDU/CSU. Die FDP mit Sonnenblume als Partei der Besserverdiener wäre dann ein ehrliches Wählerangebot für die Anhänger globaler Märkte, des Neoliberalismus, des latenten Sozialabbaus und der Verachtung für die Unterschicht. Gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, den Wählerinnen und Wählern wäre dies ein Akt der Wahrhaftigkeit und eine politische Frontbegradigung innerhalb der Parteienlandschaft. Ricarda Lang bräuchte beim Zusammenschluss mit der FDP nicht einmal ihre Sprache ändern.

*Titelbild: Ricarda Lang (Screenshot Phoenix-Interview)

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