Sport

Die Unverfrorenen

Worum es im Profifußball geht, ist längst offenkundig. Allerdings könnte das Titelbild einen falschen Eindruck vermitteln. Zeigt es doch eher die finanziellen Möglichkeiten derer, die ins Stadion gehen, Streaming-Dienste buchen oder vor den TV-Geräten für ihren Verein leben und ihr letztes Hemd geben, damit Fußballvereine reich bleiben und kurzbehoste Millionäre keine finanziellen Einbrüche erleiden. Würde man ein Titelbild an diesen Fußballmillionären orientieren, wären die Scheine von größerem Wert und gestapelt. Profifußball zum Zwecke des Gelderwerbs ist mittlerweile eine Milliardenindustrie mit knallharten Wirtschaftsinteressen, die den Sport nur noch als Vehikel und die Fans als Alibi benötigt. Natürlich keine neue Erkenntnis. Es ist unnötig dagegen anzuschreiben, weil der Fußball in seiner Brot und Spiele Profiversion akzeptierter Bestandteil der Gesellschaft. So weit, so gut. Doch in Pandemiezeiten ist eben nichts gut und manches nicht weit, sondern sehr nah. Nah ist, was der RKI-Chef Lothar Wieler warnend ins Land sprach: „Es herrscht eine Notlage in unserem Land. Wer das nicht sieht, der macht einen sehr großen Fehler. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern.“

Doch der Profifußball nimmt für sich in Anspruch, auch an diesem Wochenende den Ligabetrieb vor Publikum in vollen Stadien auszutragen. Ohne Rücksicht auf eine grassierende und gerade aus dem Ruder laufende Pandemie erlaubt man sich eine merkwürdige Auslegung von Freiheit, die eher ein unverschämtes Sonderrecht. Gern bringen Fußballfunktionäre dann die Mär von der gesellschaftlichen Relevanz des Fußballs unter die Leute, was in ihren Köpfen und Brieftaschen sowieso nur Profifußball. Krankenschwestern, Notfallmediziner, Ärzte und jeder Mitarbeiter eines Impfzentrums ist relevant für die Gesellschaft. Fußballspieler dienen der Unterhaltung und dem puren Gelderwerb mächtiger Unternehmungen. Gesellschaftlich relevant sind sie nicht. Laufen sie nicht auf, dreht sich die Welt weiter, werden Mediziner an ihrer Jobausübung gehindert, sterben Menschen. Man sollte diesen schamlosen Wichtigtuern des Fußballs endlich einmal die Rote Karte der Gesellschaft zeigen und sie dahin zwingen, sich an Normen zu halten, die für andere Bürger auch gelten. Es gibt ungeschriebene Gesetze, zu denen gehören Vernunft, Rücksichtnahme, Anstand und Solidarität. In der aktuellen Lage gute Eckpfeiler, um gemeinsam durch eine schwere Zeit zu kommen. Nötig dafür Empathie. Was tun aber Liga-, Verbands- und Fußballfunktionäre? Woche um Woche erscheint einer von ihnen, um uns wortreich die Notwendigkeit von Spielen und Ligabetrieb inklusive Fußball vor Zuschauern unterzujubeln. An diesem Wochenende erscheint Thomas Hitzlsperger, ehemals Spieler und dann Fußball-Funktionär beim Bundesligisten VfB Stuttgart: Im Fußballblatt „Kicker“ heißt es „Hitzlsperger warnt“, da denkt man schon an Vernunft. Der gute Mann könnte ja vor Corona warnen und vor dem Nichtimpfen. Weit gefehlt, man soll den „Kicker“ nicht überschätzen. Was Hitzlsperger sagt, ist von anderer „Qualität“ und gipfelt in Folgendem: „Die Impfkampagne würde konterkariert, wenn Geimpfte und Genesene nicht ins Stadion dürfen. Die neuerliche pauschale Reduzierung von Stadionkapazitäten würde unsere wirtschaftliche Situation existenziell verschärfen und wäre auch in Bezug auf die Pandemiebekämpfung der falsche Weg“.

Sonderstellung und Unverfrorenheit des Profifußballs basieren auf dem großen Geld. (Collage: Christian Dorn auf Pixabay)

Hitzlsperger ist offenbar im Nebenberuf Virologe, offenbart sich darin allerdings als Einfaltspinsel, um das Wort Dummkopf zu vermeiden. Anders lässt sich „Impfkampagne konterkariert“ und „in Bezug auf die Pandemiebekämpfung der falsche Weg“ nicht erklären. Dann noch über wirtschaftliche Nöte jammern ist eine zusätzliche Frechheit. Jenes Gewerbe schmeißt seit Jahrzehnten unverblümt und öffentlich mit Geld umher, zahlt überhöhte Traumgehälter für jeden Balltreter, der sich finden lässt. Der Transfermarkt ist ebenfalls ein Roulette des ganz großen Geldes. Aus diesem Universum jammert uns nun einer noch etwas vor. Erbärmlich. Ein Sportlerherz muss aktuell für Kinder- und Jugendfußball und viele engagierte Amateurvereine und deren Ehrenamtliche bluten. Für den Profifußball kann man dagegen nur noch Verachtung empfinden. Erlebt man den deutschen Profifußball in seiner Selbstsucht, wird einem speiübel. Es geht auch anders. Bei unseren niederländischen Nachbarn waltet im Fußball mehr Intelligenz und Gespür für die Situation, es gibt seit einigen Tagen wieder Spiele ohne Zuschauer. Alle ziehen dabei dem Ernst der Lage geschuldet angemessen und klaglos mit. In Deutschland rüstet man von solchen Überlegungen befreit auch in der Hauptstadt zum Fußballspieltag vor Publikum. Das Ortsderby Union Berlin gegen Hertha steht ins Haus. Maske am Platz, kein Suff und 2G sollen das pure Vergnügen bringen. Dazugehörig die obligaten wie gebetsmühlenartigen Appelle beider Klubs an die Fans, sich vorher unbedingt testen zu lassen. Wie Vernunft-Appelle bei Fußballfans fruchten, weiß jeder, der schon in einem Fußballstadion ein Spiel verfolgte. Die rasant steigende Zahl von Neuinfektionen sollte doch ruckartig auch alle Fußballverantwortlichen und Spieler hierzulande aufrütteln. Fehlanzeige. Volles Risiko und koste es das Leben. Zum Zwecke des Gelderwerbs lässt sich vieles biegen und ausblenden. So geht es zu im deutschen Profifußball.

Der Deutschlandfunk benannte das Problem der Sonderstellung des Profifußballs in der Pandemie sehr treffend schon im Februar 2021: „Es zeigt sich also einmal mehr. Die größte Gefahr für den Profifußball geht nicht von den Fans, sondern von den Funktionären aus. Und es zeigt sich, dass es endlich mehr Politikerinnen und Politiker braucht, die sich trauen, deren Forderungen zu widersprechen. Und es braucht eine Öffentlichkeit, die sagt: Diesen Wahnsinn machen wir nicht mehr mit. Das schauen wir uns nicht mehr an.“

*Titelbild: Dirk Schulz auf Pixabay

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