Gesellschaft

Die „vernachlässigten Arbeiter“

Im Spiegel dieser Woche liest man über die USA den Satz „Die Wahl Trumps hat gezeigt, wie sehr die Demokraten die Arbeiter vernachlässigt haben.“ (Wobei man geflissentlich auslässt, dass auch die US-Demokraten für Arbeiter nie viel bis nichts übrig hatten. Manchmal ein bisschen mehr als die Republikaner. Eine löbliche Ausnahme war darin Franklin D. Roosevelt mit seinem New Deal. Für kleine Leute sicher der wichtigste und nachhaltigste Präsident der US-Geschichte und außerdem noch Hitlers größter Gegner und Sieger über diesen, was ihn ohnehin auf ewig adelt. Ehre seinem Andenken.) Kommen wir zu den vernachlässigten Arbeitern zurück. Das Gerede über selbige kommt einem arg bekannt vor, gehört seit über zwei Jahrzehnten zum veröffentlichten Ton und ist kein regionales US-Problem. Man las so etwas über die spanischen Sozialisten, die ihre Macht verloren, weil sie die kleinen Leute verarmen ließen. Man las es über Labour in England, die Downing Street No. 10 verloren, weil Tony Blair ein Mann Rupert Murdochs war und die Reichen reicher machte, natürlich ausschließlich auf Kosten der „vernachlässigten Arbeiter“. Murdoch setze dennoch später wieder auf einen Tory als Premierminister. Aus denen konnte er stets noch viel mehr herausholen. Und diese Torys hielten die verhassten und „vernachlässigten Arbeiter“ an noch kürzerer Leine. Da waren sie wieder, die „vernachlässigten Arbeiter“. Man las über sie auch im Zusammenhang mit Frankreichs Sozialisten, die heute als Splittergruppe ihr Dasein fristen, weil ihr letzter Präsident neoliberale Premierminister einsetzte, die Politik für die Oberschicht machten und nicht für Frankreichs Arbeitnehmer. In besonders negativer Erinnerung dabei Manuel Valls. Fast in ganz Europa hat die politische Linke den Rechten die  Drecksarbeit erledigt.

In schrecklicher Erinnerung sicher auch die deutsche Sozialdemokratie in Form der SPD, deren Kanzler Schröder als „Genosse der Bosse“ regierte und seine Reformen auf dem Rücken der kleinen Leute betrieb. Im Nebeneffekt trieb er diese kleinen Leute, die Unterschicht und die Arbeiter für ewig von der SPD weg. Da ihm diese Klientel immer schnuppe war, hat er es bestens verkraftet. Was einmal SPD war, liegt dafür in den letzten Zügen. Dieser Sachverhalt wird jenem Gerhard Schröder ebenfalls schnuppe sein.

Arbeiter in „Metropolis“ (Film von Fritz Lang, 1927)

Weltweit sind die oft zitierten „vernachlässigten Arbeiter“ längst Unterschicht geworden und im Bereich der Armut anzusiedeln, ein bekämpftes Objekt. Gerade in den Parteien, die sich nach außen mit den „vernachlässigten Arbeitern“ schmücken, haben diese Arbeiter in den letzten zwei Jahrzehnten ihre größten Bekämpfer gefunden. Wenn ein vermeintlicher Beschützer einen nicht mehr beschützt, sondern schamlos betrügt, sind Ohnmacht, Enttäuschung und Verlust schmerzlicher als jeder Angriff des politischen Feindes und führt zu verheerenden Schlussfolgerungen. Der „vernachlässigte Arbeiter“ ist dann zu Donald Trump, Marine Le Pen, Boris Johnson und der AfD übergelaufen. Die ihn mit ihrer Politik vertrieben haben, werfen ihm diese Flucht heute vor oder lassen medial vorwerfen. Was in beiden Varianten besonders perfide.

Nicht perfide, sondern grundehrlich und geradeheraus war vor vielen Jahren zu diesem Thema ein freundlicher alter Herr, der die Dinge beim Namen nannte und aus seinem Herzen keine Mördergrube machte. Es war Warren Buffett, erfolgreichster Großinvestor aller Zeiten und passionierter Bridge-Spieler. Aktuell liegt der mittlerweile 90-Jährige auf der Forbes-Liste „The World’s Billionaires“ mit einem Vermögen von ca. 96 Milliarden US-Dollar auf Platz sechs. Er ist auf dieser Liste seit Jahrzehnten Hausgast, lag auch schon weiter vorn im dreistelligen Milliardenbereich. Von ihm soll die Erklärung stammen, woran man erkennt, wann man reich ist.

Buffetts Antwort kurz wie einleuchtend: „Wenn sie beim Zählen ihres Geldes eine Million vergessen und es nicht merken, dann sind sie reich.“ Diesen Warren Buffett fragte also 2006 die New York Times in Person des Wirtschaftsredakteurs Ben Stein nach dem zentralen Grundkonflikt unserer Zeit. Darauf antwortete Buffett laut Interview lachend und gut gelaunt: „Das sollten sie eigentlich selber wissen. Es ist der Krieg. Der Krieg zwischen reich und arm. Meine Klasse, die Klasse der Reichen hat diesen Krieg angefangen und sie wird ihn auch gewinnen.“ Darüber könnten die „vernachlässigten Arbeiter“ vielleicht einmal nachdenken.

Das Wort soll hier an Helmut Schmidt gehen, was sicher etwas umwegig wirkt. Aber so haben Sozialdemokraten der ersten Garde einmal geredet – bedeutende und wahre Sozialdemokraten. (Schmidts Laudatio auf Herbert Wehner aus Anlass der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Hamburg an Wehner am 15. Mai 1986.):

Bei Wehner gab es den bewegenden Satz, dass jenes Ereignis vom 17. Juni uns berechtigt, mit einem Wort von Karl Marx zum Gedanken an die Junikämpfer von Paris des Jahres 1848 zu sagen: „Die Arbeiter sind zwar geschlagen worden, aber sie sind nicht besiegt.“

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