Gesellschaft

Falsche Erzählung

Ob die Grünen den Ballon „Jamaika“ platzen lassen oder ihn besteigen, wird auch das Tempo entscheiden, mit dem eine FDP Regierungsbeteiligung ihren Teil beiträgt, die Luft aus dem Planeten zu lassen. Spannende Fragen dieser Tage. Können Wähler in der aktuellen Debatte noch ihren Willen erkennen? Schwerlich. Kaum ist die Wahl vorbei, beginnt Parteienhader und Parteiengeschacher, wird einem von der politischen Klasse suggeriert, eine Regierungsbildung bis Weihnachten wäre schnell und toll, vielleicht möglich. Schnell? Da reibt man sich die Augen. Wäre das Wahlvolk und dessen Meinungsäußerung vom 26.09.2021 noch gefragt, an dessen Stelle längst wieder Meinungsumfragen getreten, würden die Grünen nicht eine Sekunde über „Jamaika“ und die Rettung der CDU nachdenken. Dass sie es doch tun, sagt viel darüber, was und wie die Grünen Führungskader über ihre Wähler und Mitglieder denken. Momentan sind diese Grünen staunende oder dumme Nebendarsteller in einem Spiel, welches sie als Hauptakteure betreiben wollten. Die Show wird ihnen allerdings permanent und mit Penetranz von der FDP gestohlen, die sich auf die Verbreitung einer falschen Erzählung stützt und dabei Schützenhilfe von vielen Medien bekommt. Die Grünen stehen daneben, schauen eher dämlich aus der Wäsche. Es ist zum Fremdschämen.

Seit dem Wahltag posaunt die FDP von der Gruppe oder dem Bündnis, welches mehr Stimmen hat als jede der einst großen Volksparteien. Damit meint die FDP die Zahl der Stimmen von FDP und Grünen zusammen, die mehr als SPD oder CDU/CDU einzeln auf ihrer Waage haben. Sachlich richtig. Daraus leitet die FDP ab, so tritt sie unverfroren auf, es geht nichts mehr ohne die FDP und deren Willen. Sozusagen die rhetorische Okkupation des grünen Wähleranteils. Der FDP Vorsitzende bläst sich damit auf, seine Büchsenspanner assistieren ebenfalls in aller Öffentlichkeit. Unlängst ward so eine Inszenierung dem Talkshowpublikum der Frau Will geboten. Der FDP Mann Otto Fricke brüstete sich mit dem Szenario und neben ihm saß wie ein braver Kulissenschieber der oftmals sehr klug agierende Grüne Konstantin von Notz und staunte mit. Es sei hier nochmals erinnert, was die grüne Partei offenbar vergessen. Die FDP holte bei der Bundestagswahl 11,5 Prozent, ein Zugewinn von 0,7 Prozent. Die Grünen landen bei 14,8 Prozent mit einem Zugewinn von 5,8 Prozent. Die Grünen holen anderthalb Millionen Stimmen mehr, verfügen im neuen Bundestag über 118 Sitze, denen 92 FDP Mandate gegenüberstehen.

Die FDP legt sich das Wahlergebnis. (Bild: Ulrike Leone auf Pixabay)

Die grüne Wählerschaft wird sich fragen, wozu haben wir den Grünen dieses Ergebnis verschafft? Stand heute: Um Manövriermasse der FDP zu sein, vielleicht sogar nützlicher Idiot einer Wiederbelebung der CDU/CSU. Königsmacher ist Christian Lindner wegen der Grünen, nicht wegen des FDP-Wahlergebnisses. Es fehlt den Grünen offenbar an strategischen Köpfen für diese Erkenntnis. So ist wohl auch zu erklären, warum Michael Kellner in der Funktion „Politischer Bundesgeschäftsführer“, der als Wahlkampfleiter verantwortlich für den desaströsen Wahlkampf der Grünen zeichnete, immer noch in Funktion, Amt und Würden umherturnt. Den Grünen geht einfach kein Licht auf und sie tippeln der Union und der FDP hinterher, weil diese ihnen huldvoll über den Kopf streicheln. Hätten die Grünen „Jamaika“ eine Absage erteilt, wäre die FDP unter Druck. Es käme ins helle Licht, wie sie an der Union klebt und alles andere nur als zwischenzeitliches Übel oder Tarnung betreibt. Das CDU/CSU gemachte Informationsleck aus der Sondierungsrunde von CDU/CSU und FDP hat es dem letzten Trottel offenbart. Die FDP will nur „Jamaika“, sieht alles andere als Unfall an. Der Verschwörerton Richtung Union „ihr müsst die Grünen rüber ziehen“, sagt alles und sollte auch jedem die Illusion nehmen, die FDP sei an einem Aufbruch oder Neuanfang namens Ampel interessiert. Die Grünen sollten in dem Spiel wenigstens die Kraft aufbringen, die falsche FDP Erzählung im Gewand grüner Prozente zu entlarven.

Ampel nur mit Zerstörungspotenzial der FDP. (Foto: WikimediaImages auf Pixabay)

Muss die FDP in eine Ampel gehen, wird sie den Sargnagel geben. Der Machterhalt der Union mit FDP Teilhabe ist Ziel von Lindner/Wissing und nichts anderes. So etwas sollte die SPD gut im Auge behalten, wo Olaf Scholz vielleicht zu blauäugig. Die Grünen merken von alledem wenig und ihre Mitglieder und Wähler, die vor allem die CDU/CSU abwählten, sollten ihren Funktionären nicht über den Weg trauen, sonst wachen sie in einem neoliberalen Albtraum auf. Dieser ist allerdings so oder so kaum noch zu verhindern. Die Politik der FDP wird eine Ampel von Beginn an vergiften, mit dem Ziel einer Machtverschiebung zurück zur CDU. Man denke an den historischen FDP-Verrat der Bauart Genscher/Lambsdorff an Helmut Schmidt. Das Diktum von Herbert Wehner über die Unzuverlässigkeit „der alten Pendlerpartei“ hat über die Jahrzehnte nicht an Gewicht verloren.

Jetzt eine sehr unpopuläre und vielleicht abwegige Meinung, die dennoch eine Überlegung wert. Um die FDP zu verhindern, sollten Scholz und Söder eine Weißwurst essen und über eine neue Große Koalition nachdenken. Es wäre besser für Land und Menschen als neoliberaler FDP Einfluss auf die nächste Bundesregierung. Ein Triumph der FDP soll hier allerdings nicht verschwiegen werden. Sie hat in einem starken Maß Erstwähler und Jugendliche für sich gewonnen. „Die Jugend“ gibt es halt nicht, auch dort sind viele Strömungen zu finden. Für den Teil der jungen Generation, der sich für Umwelt und Klimaschutz engagiert, ist die FDP Regierungsbeteiligung eine totale Katastrophe. Der Teil der Jugend, die eher auf den Planeten pfeift, das neueste iPhone als Maßstab setzt, wie Mutti und Vati mit dem SUV durch die Welt brausen möchte oder wie der FDP Chef Porsche besitzen und fahren als Lebensstil anstrebt, ist diese FDP eben politische Andockstation geworden. So merkwürdig malt sich eben die Welt. Mit den Farben der FDP wird diese jedenfalls dunkler werden.

*Titelbild: Jeyaratnam Caniceus auf Pixabay

 

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