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Frankreich und der Krieg

Wir schauen auf GERADEZU in den letzten Tagen vermehrt nach Frankreich, ganz bewusst öfter zu unseren wichtigsten Nachbarn. Einige Dinge sollen dabei in den Blick gerückt werden, die hierzulande eher stiefmütterlich unter den Tisch fallen, weil sie nicht in die aktuell angestimmte Tonlage passen. Immer wird in Deutschland die Welt kommentiert und bekrittelt, aber nie wirklich in diese hineingeschaut. In Deutschland setzen mittlerweile Medien ihre Beiträge mit dem beliebten Vorspruch „Was Sie über die Wahl in Frankreich wissen müssen“ ab. Dann wird über Frankreich und die Wahl mit allerhand Auslassungen „berichtet“. Dieses „wissen müssen“ ähnelt stark dem unsäglichen „Was die Deutschen denken“. Heute nähern wir uns dem Stellenwert des Ukraine-Themas im französischen Wahlkampf. In der ersten Runde posteten Macron-Anhänger Bilder von Le Pen mit Putin und im Gegenzug dann Le Pen Anhänger Bilder von Macron mit Putin. Beides immer mit jeweiliger Russland-Putin-Freund Unterstellung, was allerdings nicht zog oder gar Stellenwert erhielt. Mélenchon wurde diese abwertende Bilderehre nicht zuteil, es gab kein Foto von ihm und Putin, weil beide sich wohl nie getroffen. So mussten Fotomontagen herhalten, auf denen Mélenchon sich dann allgemein als Diktatorenfreund wiederfand. Doch alles verpuffte an der andersgearteten Interessenlage der Franzosen. Diese wollten partout nicht ihre Wahl einzig unter das Dach des Ukrainekonflikts stellen und sich sämtliche sie bewegende und betreffende Themen von der Tafel wischen lassen. Medien und einige Politiker starteten einen Versuch zur thematischen Fokussierung auf den Krieg, der kam bei den Leuten nicht an, zumal bei denen auf dem Land, welche ganz andere Sorgen als eine städtische Elite und das weltläufige Paris.

Macron wie Le Pen. Mit Putin reden. Für viele Franzosen kein Problem. (Screenshot: ZDF heute-Show)

Außenpolitisch waren und sind sich die politische Landschaft und das Wahlvolk in Frankreich ziemlich oft einig. (Die Unabhängigkeit Algeriens und der daraus resultierende Riss durch die damalige französische Gesellschaft eine große Ausnahme. Es war auch eher ein innenpolitischer und weniger ein außenpolitischer Kampf.) Bei Auseinandersetzungen im Themenfeld Außenpolitik geht es eher um Akzentverschiebungen und punktuelle Veränderungen. Manchmal auch Theaterdonner, um Unterschiede aufzubauschen, sich künstlich unterscheidbar zu machen. Die große Linie hat sich allerdings seit de Gaulle wenig verschoben, man weiß die Interessen Frankreichs zu wahren. Daran weder Macron rüttelt, noch Le Pen oder Mélenchon rütteln wollen oder wollten. Man bleibt bewusst Nuklearmacht, hat eine funktionierende Armee, die flott und schnell jeden Auslandseinsatz leisten kann. Man will Einfluss in der Welt behalten, man ist schließlich ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat der UN und sich seit de Gaulle in der Skepsis gegenüber den USA einig, hat auch keine große Erwartungshaltung beim Blick Richtung Moskau. Mit Washington, Moskau und Peking auf Augenhöhe zu reden ist mittlerweile längst Selbstbetrug der Franzosen, weil nicht ihre Liga. Dieser Glaube gehört allerdings zum Selbstverständnis der Grande Nation. In diesem Selbstverständnis, vielleicht Selbstbetrug, sind sich Macron, Le Pen und Mélenchon näher, als sie es zugeben würden. Der sehr nach Washington schielende Macron wollte und will die neoliberale US-Politik über Frankreich legen, eben ein ehemaliger Investmentbanker, doch er hat da ernst zu nehmende Gegner, die Gelbwesten vornweg. Außenpolitisch setzt er andere Wegmarken als Washington. Täte Macron dies nicht, wäre er bei den Franzosen völlig durch. In Sachen französischen Selbstbewusstseins gilt immer noch der konservative Dominique de Villepin als politischer Maßstab aus jüngerer Vergangenheit. Der ehemalige Außenminister Frankreichs stellte vor der UN mit einer fulminanten und längst legendären Rede den US-Außenminister Powell und dessen Lügen in Sachen Vorbereitung des Irakkriegs bloß, entlarvte auf offener Bühne den persönlichen Krieg des George W. Bush. In dieser Tradition sieht sich fast jeder Politiker Frankreichs, von den Linken bis zu den Rechten.

Macron fand auch aus den genannten Gründen daher deutliche Worte, als US-Präsident Biden seinen russischen Amtsbruder Putin als einen „Schlächter“ bezeichnete, „der nicht an der Macht bleiben darf“. Der französische Präsident Macron mahnte umgehend zur Besonnenheit und ging sofort auf Distanz zu Biden: „Eine Eskalation der Worte wie der Handlungen im Ukraine-Krieg sei zu verhindern. Die Lage darf nicht eskalieren. Wir sollten sachlich bleiben und alles tun, damit die aktuelle Lage nicht außer Kontrolle gerät. Ich würde diese Begriffe deshalb nicht benutzen, weil ich weiterhin mit Präsident Putin spreche. Weil das, was wir in Frankreich und Europa zusammen wollen, ist es, den Krieg zu beenden, den Russland in der Ukraine begonnen hat – ohne weiter Krieg zu führen und ohne eine Eskalation. Wir teilen dieselben Werte wie die USA, aber die, die am nächsten zu Russland leben, sind die Europäer.“ Damit lag Macron im Gleichklang mit der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, der Medien und der politischen Klasse im Land. Mit den undurchsichtigen Herrschern im Kreml selbst in angespannten Zeiten zu reden, gehörte immer zum Handwerk französischer Politik, ob nun von de Gaulle, Pompidou, Mitterrand oder Chirac betrieben.

Vor dem TV-Duell der Kandidaten stehen alle Umfragen längst auf einen Wahlsieg für Macron.

Wir müssen darüber nicht lange rumrätseln. In Deutschland hätte Macron für solche Worte ein Fegefeuer der Medien erfahren und eine Kampagnenwelle gegen sich. Olaf Scholz wird bei uns, von Journalisten angefacht, mit jenem Fegefeuer bedacht, weil er im Meer von Ekstase und Aufgeregtheit die Sachlichkeit und Analyse vorzieht, die Eskalation Richtung eines europäischen Krieges vermeiden will. Atomraketen am Abendhimmel Europas sind für Scholz durchaus vorstellbar, mit allen grausigen Konsequenzen. Deshalb vermeidet die Herangehensweise von Scholz jede Eskalation. Noch widersteht der Bundeskanzler dem Getöse der journalistischen Meute in der Tonart „schwere Waffen“, „Ukraine-Besuch“, „Kotau vor Melnyk“, „wir ziehen gegen Russland“, „mehr Aufrüstung“, „Deutschland braucht Atomwaffen“, „zu den Waffen“, „Entschuldigung der SPD für die Ostpolitik“ usw. Niemand belagert Macron mit der deutschen Kindereifrage, wann er denn nun endlich in die Ukraine reist. Weder politische Gegner noch Medien. In Paris und bei den Franzosen wäre Scholz mit seiner aktuellen Haltung ein angesehener Staatsmann in fast allen politischen Lagern. Aber Berlin ist nicht Paris. In Frankreichs Hauptstadt arbeitet auch kein profilierungssüchtiger Außenminister, der es sich jeden Tag selbst beweisen muss. Jean-Yves Le Drian, beherrscht den rauen Ton wie das feine Gespräch, agiert im Einklang mit seinem Präsidenten als Diplomat, nicht als Schlagzeilenheld. In Paris ist auch kein ausländischer Botschafter irrlichternd unterwegs, der in Talkshows den Quartalsirren gibt und die politische Klasse Frankreichs beleidigt, abwertet und mit der Hilfe von soufflierenden Medien die Politik des Gastgeberlandes vor sich hertreibt. Oleg Shamshur, der ukrainische Botschafter in Paris, ist ein hochgebildeter und diskreter Diplomat bester Schule und vertritt die Interessen seines Landes mit Festigkeit, Würde und Stil.

Präsident Macron glaubte einen Moment, er könnte als der große Problemlöser mit dem Ukrainekonflikt Wahlkampf machen, sich als Friedensbringer und glühender Europäer stilisieren. Davon rückte er inzwischen ab. Mélenchon wie Le Pen zogen ihn aus unterschiedlichen Beweggründen immer wieder dorthin, wo die Franzosen ihren amtierenden Präsidenten sehen wollten, auf das Gebiet der innenpolitischen Themen. Die Ablenkung von seiner neoliberalen Agenda gelang Macron daher nicht. Die Franzosen wollen nicht über den Krieg in der Ukraine abstimmen, sie wollen etwas in Sachen Preissteigerung, Lohnverfall, Arbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheit bei Bildungschancen und den latenten Sozialabbau nebst einem bröckelnden Gesundheitswesen hören. Auf dem Land benötigt es mittlerweile vier Monate Wartezeit für einen Zahnarzttermin. Solche Alltagsnöte, nur elitäre Geister würden diese profan nennen, werden immer mehr zum Wahlkampfthema. Le Pen hat dies früh erkannt, Macron im Wahlkampfendspurt offenbar rechtzeitig begriffen. Im TV-Duell der beiden Finalisten rechnet man dennoch mit Macrons weltpolitischer und europäischer Agenda, die er anstimmen wird, um nicht zu lange bei der schlechten Lage des Landes durch vielerlei neoliberale Verwerfungen verweilen zu müssen. Le Pen wird es naturgemäß umgekehrt versuchen. Am Sonntag dann Zahltag für beide. Mit gutem Ausgang nur für einen.

Neue Kampfansage. Jean-Luc Mélenchon. Der Gegner des Neoliberalismus will Ministerpräsident werden. (Foto: Twitter La France insoumise)

Derweil in Frankreich dem Fernsehduell zwischen Amtsinhaber und Herausforderin eher laues Interesse entgegengebracht wird. Unter den Menschen ist eher der Frust über das Duell zweier Neoliberaler, dem weiter so oder eben Le Pen, zu vernehmen. Bei der jüngeren Generation schon blanke Wut, wie der Protest an der Universität Sorbonne nach dem ersten Wahlgang eindrucksvoll zeigte. Frust und Wut hat sich Jean-Luc Mélenchon ebenfalls zu eigen gemacht, in neue Kraft gewandelt und am gestrigen Tag bereits alle Franzosen auf den von ihm sogenannten „3. Wahlgang“ aufmerksam gemacht. (GERADEZU berichtet in einem gesonderten Beitrag – „Der nicht aufgibt“ – über dessen Ausführungen.) Mit dem Wort vom dritten Wahlgang meint Mélenchon die Parlamentswahlen im Juni. Dort will er sich von den Franzosen bewusst als sozialen Gegenpol und Gegenpart zu Macron oder vielleicht auch zu Le Pen, zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Neue Kampfansage von Mélenchon gegen seinen Hauptfeind, den Neoliberalismus. Deshalb ist der Blick auf diese Parlamentswahl schon jetzt spannender als die Wahl am Sonntag. Diese scheint für Macron gelaufen und ihm eine zweite Amtszeit zu bescheren. Spannung erzeugt so also eher das danach.

*Titelbild: Twitter The Telegraph

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