Leben

Der nicht aufgibt

Egal wie am Sonntag die zweite Runde der Präsidentenwahl ausgeht, es braucht jeder, Le Pen oder Macron eine neue Parlamentsmehrheit, die weder für Le Pen noch für Macron im Augenblick machbar. Ihre jeweiligen Bündnisse werden die notwendigen Stimmen nicht aufbringen. Die Volksunion von Mélenchon könnte näher dran sein, wir haben die Situation der Linken in Frankreich bereits in einem anderen Beitrag beleuchtet. Das Land ist in drei etwa gleich große politische Blöcke aufgeteilt. Der konservative und neoliberale Block von Macron bis Valérie Pécresse. Der nationale, rechte bis rechtspopulistische Block von Le Pen bis Zemmour und die linke Volksunion als drittem Block. Der Zulauf Richtung Volksunion nach der Präsidentenwahl ist anzunehmen. Die Menschen wollen ein Gegengewicht zum Neoliberalismus im Präsidentenamt. Vor allem die Jugend drängt darauf. Da bietet sich das Parlament an. Mélenchons Rechnung könnte aufgehen.

Mélenchon ist ein Mann der Tat, des Kampfes und des Handelns, so hat er schon jetzt dem Neoliberalismus erneut einen Fehdehandschuh hingeworfen und sich nicht in den Kummer der Niederlage aus der ersten Runde geflüchtet. Die erbärmliche Hasenfüßigkeit und Selbstbeschäftigung der deutschen Linken sind ihm völlig fremd, er weiß, wo der wahre Gegner. Die mediale Zerstörungswelle der Eliten, die über einen Jeremy Corbyn in Großbritannien fegte, hält einer wie Mélenchon einfach aus. Standhalten war immer seine Devise. Die Sabotage des linken Projektes durch die Sektierer JadotRoussel, Hidalgo hat er verschmerzt, wird sie aber nie vergessen. Mit der Kampfansage, Premierminister werden zu wollen, stellt er den Franzosen bewusst eine Hoffnung für nach der Präsidentenwahl in den politischen Raum und setzte ein Zeichen gegen die unüberwindbar scheinende neoliberale Alternativlosigkeit. Wie sich dazu die linken Splittergruppen der Sozialisten, Kommunisten und Grünen positionieren, ist noch völlig ungewiss. Im Juni wird jedenfalls in Frankreich in zwei Wahlgängen das Parlament neu gewählt. Im TV-Kanal BFMTV machte Mélenchon nochmals seine Ablehnung in Richtung Marine Le Pen deutlich, ohne seinen Anhängern Macron zu empfehlen und verwies lieber klipp und klar in eine neue Richtung: „Ich bitte die Franzosen, mich zum Premierminister zu wählen. Eine andere Welt ist immer möglich! Wir sind noch nicht fertig!“

Massenphänomen Mélenchon, Mann des Volkes. (Foto: Twitter La France insoumise)

Hier einige Passagen aus dem TV-Interview von Mélenchon mit BFMTV (19.04.2022):

Es gibt eine Botschaft, die es mir ermöglicht, wieder Fuß zu fassen und anderen dabei zu helfen, wieder Fuß zu fassen: Es ist die des Kampfes. Unser letztes Ergebnis und das von 2017 haben eine Bedeutung. Wir verkörpern einen Bruch mit der Weltordnung. Wir sind sozial, ökologisch und demokratisch. Ein Block wurde aus diesem Programm geboren. Ja, andere politische Kräfte können sich uns auf dieser Basis ausnahmslos anschließen. Ich möchte eine Volksfront mit Gewerkschaften, Verbänden und politischen Kräften aufbauen. Die gemeinsame Zukunft macht nur Sinn, wenn sie von einem ganzen Volk getragen wird. Ich frage die Leute nicht, wie und wo sie vorher waren, ob sie rechts oder links waren.

Nehmen Sie an unserem Programm teil. Gemeinsam können wir damit alles verändern. Ich heiße diejenigen willkommen, die sich uns auf der Grundlage dieses Programms anschließen möchten. Jeder, der am Sieg des Programms teilhaben möchte, ist willkommen. Also komme ich zurück, um zu sagen, dass die eigentlichen Themen die Bezahlung, das Krankenhaus und die Gesundheit sind. Diese Debatte mit Herrn Macron hatte ich bereits vorbereitet. Für oder gegen die Erhöhung des Mindestlohns? Für oder gegen den Autonomiezuschlag für Jugendliche? Er hätte antworten müssen. Wenn ich der nächste Regierungschef bin, weil die Franzosen es wollten, dann werden wir sofort das Volksbegehren für Bürgerinitiativen installieren, weil das gesetzlich möglich ist.

Wer nicht will, dass Madame Le Pen das Land übernimmt und nicht möchte, dass Herr Macron an der Macht bleibt, der kann diesen Widerspruch auflösen: mit einer dritten Runde. Indem Sie bei den Parlamentswahlen für die Volksunion stimmen, können Sie unsere Zukunft mitbestimmen. Ich bitte die Franzosen, mich zum Premierminister zu wählen. Dafür gibt es eine 3. Runde. Bei den Parlamentswahlen müssen Sie maximal viele Abgeordnete für die Volksunion wählen. Seien Sie 11, 12, 13 Millionen mit der Volksunion. Im Text der Verfassung ist der Präsident der Chef der Armee und verhandelt und unterzeichnet die Verträge. Aber Artikel 20 der Verfassung besagt, dass es der Premierminister ist, der die Politik der Nation leitet.

Ich möchte nicht der Premierminister von Pierre, Paul oder Jacques sein: Ich möchte der Premierminister sein, den die Franzosen gewählt haben, um ein Programm umzusetzen. Denn der Preisstopp ist dringend notwendig, um der sozialen Situation unseres Landes zu begegnen. Die Wasser- und Pestizidkrise hat begonnen. Haben Sie davon in dieser Kampagne gehört? Nein. In den letzten 8 Tagen sind die wahren Themen verschwunden, ersetzt durch Unsinn.

Frau Le Pen hat eine Vision von Frankreich, die es zu einem anderen Frankreich macht. Dies ist nicht das Frankreich, in dem wir uns befinden. Das ist nicht das republikanische Frankreich. Ich kann das nicht ertragen. Wir stimmen also nicht für Frau Le Pen. Ja, ich habe Kontakt mit Herrn Macron aufgenommen, um zu versuchen, jemanden zurückzuholen, der in einem fremden Land in sehr großer Todesgefahr schwebte. Diese Arbeit ist getan. Nein, ich habe mit niemandem etwas ausgehandelt. Ich verhandle nicht mit Macron oder sonst jemandem.

 

Mélenchon. Interview BFMTV (19.04.22): „Ich bitte die Franzosen, mich zum Premierminister zu wählen.“ (Screenshot)

Ob Mélenchon ein wirkliches Gegengewicht, also eine Gegenmacht zu einem neoliberalen Präsidenten wäre, bleibt abzuwarten. Wenn es einem zuzutrauen, dann ihm. Doch der Staatspräsident der Französischen Republik ist mit enormer Macht ausgestattet, dem englischen Premierminister und dem US-Präsidenten überlegen. Dafür hat Charles de Gaulle gesorgt, der sich und damit das Amt gegen den Parteienhader absichern wollte. Von 1986 bis 1988 hatte Staatspräsident François Mitterrand von den Sozialisten einen Premierminister Jacques Chirac von der konservativen Partei. 1993 bis 1995 musste François Mitterrand wieder mit einem konservativen Premierminister (Édouard Balladur) regieren. Mitterrand, der wohl größte Fuchs der französischen Politik auf Augenhöhe mit de Gaulle, war seinen Ministerpräsidenten haushoch überlegen, bremste die konservative Mehrheit im Parlament, wie er nur konnte, ließ die Ministerpräsidenten wie Schuljungen auflaufen. Chirac und Balladur scheiterten am Präsidenten Mitterrand. 1997 bis 2002 musste der konservative Präsident Jacques Chirac als Staatspräsident mit dem Sozialisten Lionel Jospin als Premierminister regieren. Beide blockierten sich und lähmten das Land durch ihre kleinen und großen Kämpfe.

Mit Macht und Stärke ausgestattetes Amt. Emblem des Präsidenten von Frankreich.

Mélenchon muss natürlich die Franzosen für sein Projekt gewinnen, diese ihm darin folgen. Keiner erreicht mit seinen Reden und Worten so extrem viele Menschen und hat dazu ein stimmiges Programm, welches sich sehr lebensnah am Alltag normaler Bürger orientiert. Dennoch, bis Juni fließt noch viel Wasser durch die Seine. Macron wird, was er im laufenden Präsidentenwahlkampf eher klein hielt und bewusst reduzierte, nach seinem Wahlsieg die Welt- und Europakarte erneut herausholen und den Staatsmann geben. Die Ukrainekrise als Deckel über alles legen, den Versuch machen, die Parlamentswahl damit einzudecken. Ob es ihm gelingt, ist fraglich, doch der Kampf zwischen ihm und Mélenchon wird erneut entbrennen. Mélenchon wird diesen Kampf auf die Marktplätze tragen, Macron ihn in den Sälen der Macht organisieren. Verliert Macron die Parlamentswahl, geht das Duell in seine abschließende Runde. Macron hat das stärkere Amt und die Kräfte des Neoliberalismus hinter sich. Eliten und Großkapital hassen Mélenchon. Da käme auch ein Ministerpräsident Mélenchon schnell ins Hintertreffen. Doch Mélenchon ist als Redner, als Idol der Jugend und mit seinem Intellekt dem Präsidenten Emmanuel Macron wohl überlegen. Ob dies ausreicht, um Frankreich zu verändern? Wir werden dran bleiben und berichten.

*Titelbild: Twitter La France insoumise

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