Sport

Fußball: Republik vs. Öl

Natürlich hört sich der Titel nach einem gleichen Kampf an. Aber die Republik längst schwach, die Öldiktaturen immer stärker. In Frankreich, dem Land der Revolution und des amtierenden Fußballweltmeisters, rührt und formiert sich die Abneigung gegen eine Fußball-WM in der Öl-Diktatur mehr und mehr. Die Signale nicht mehr wegzureden und unüberhörbar. Der Geist der Republik, in vielen Winkeln Frankreichs lebt er noch und manchmal begehrt er auf. Mehrere Bürgermeister von Großstädten aller politischen Couleur haben seit der Ankündigung von Martine Aubry kein Blatt vor den Mund genommen, um die Weltmeisterschaft in Katar ebenfalls als „Unsinn“ abzutun und scharfe Kritik zu äußern. Arroganz und Ignoranz der katarischen Despoten, deren Motto offenbar „uns gehört sowieso die Welt“ und die Korruptheit und Borniertheit eines Gianni Infantino, dessen Motto offenbar „mir gehört die Fußballwelt“ haben das republikanisch gesinnte Herz einiger Franzosen ziemlich in Rage gebracht. Zu den in Frankreich genannten Gründen der Städte für diesen Boykott gehören die Behandlung von Gastarbeitern und die Zahl der Todesfälle beim Bau der acht WM-Stadien. Während die offizielle Zahl der Todesopfer nur drei beträgt, berichtete die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in einem Bericht, dass 50 Arbeiter bei Arbeitsunfällen in Katar im Jahr 2020 starben und 500 schwer verletzt wurden, eine Zahl, die ihrer Meinung nach aufgrund von bekannten Mängeln durchaus noch höher sein könnte. Die erste ernst zu nehmende Protestaktion gegen Katar und die FIFA und deren WM begann jedenfalls mit einer Mitteilung der Bürgermeisterin von Lille, der Sozialistin Martin Aubry am 1. Oktober 2022:

Einstimmig hat der Stadtrat von Lille heute Abend eine Erklärung verabschiedet, in der er die Austragung der Fußballweltmeisterschaft in Katar missbilligt, da sie in Bezug auf Menschenrechte, Umwelt und Sport unsinnig ist. Wir werden kein einziges Spiel auf Großbildschirmen übertragen.

Martine Aubry. Bürgermeisterin von Lille. (Foto: Stadtverwaltung Lille)

Seither wanken in Frankreich alle Vorstellungen und Planungen von Public Viewing, man könnte auch sagen, ihr Kurs fällt ins Bodenlose. Es meldet sich Protest, vielleicht auch Anstand. Warum erst jetzt? Die Frage muss man sich in Lille und anderswo schon gefallen lassen. Zu einem früheren Zeitpunkt wäre jedes Signal stärker und deutlicher gewesen. Das Land des Weltmeisters, geschlossen gegen die WM. Politik, Fußball, Gesellschaft, Medien schon vor Jahren in Front gegen die ge- oder verkaufte Katar-WM. Das wäre ein starkes Zeichen gewesen, hätte vielleicht auch andere Nationen animiert, den Anstand zu mobilisieren. Vielleicht. Fußball und Anstand wirken als Kombination zugegebenermaßen vielleicht doch etwas hoch gegriffen. Es reagiert auch nicht der Fußball mit dem französischen Fußballverband, seinen Vereinen oder Nationalspielern. Aber es reagiert wenigstens, wenn auch arg spät, Frankreichs Hort des republikanischen Bürgertums in Form seiner Städte, die immer das Aufbegehren gegen eine falsche Obrigkeit beheimateten und bis heute in sich tragen. Daher passiert nun wenigstens etwas und gerät mehr und mehr in Bewegung. Im Land der ewigen „Mitmacher“ (Deutschland) passiert nichts. Insofern ist das Engagement in Frankreich immerhin ein kleiner Tropfen.

Ich hätte wirklich den Eindruck, wenn Bordeaux diese „Fanzonen“ schaffen würde, wären wir ein Komplize dieses Sportereignisses, das alle humanitären, ökologischen und sportlichen Verirrungen repräsentiert. Es wäre auch inkohärent in Bezug auf die von der französischen Bevölkerung geforderten Bemühungen in Angelegenheiten der „Energiesparsamkeit“. Sie können Ihre Mitbürger nicht zur Sparsamkeit aufrufen und sich selbst an einer Energieverirrung dieser Art mitschuldig machen. (Pierre Hurmic, Bürgermeister von Bordeaux)

Eine gewichtige Kritik, wie sie die beteiligten Städte teilen, formulierte die Verwaltung der Stadt Nancy nicht nur Richtung Veranstalter Katar sondern auch an die FIFA:

Die Nutzung klimatisierter Stadien während dieser Weltmeisterschaft hat nichts mit den Herausforderungen des ökologischen Wandels zu tun. Außerdem müsse bei der Entscheidung und Vergabe bezüglich der nächsten Weltmeisterschaftsturniere ernsthaft geprüft werden, wie die Achtung der Menschenrechte als fester Bestandteil dieser Vergabe integriert wird.

Nach Lille kündigten jedenfalls Bordeaux und Marseille und nun auch Paris an, die Weltmeisterschaft in Katar zu boykottieren und im Zusammenhang mit der WM keinerlei öffentliche Veranstaltungen abzuhalten oder verfügbar zu machen. Es wird keine WM-Spiele auf Großbildleinwänden geben, es werden auch keine „Fanzonen“ zur Verfolgung des Turniers eingerichtet. Der Boykott könnte, so salbadern wieder Fußballexperten, potenzielle Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Stadt Paris und dem Verein PSG haben, dessen Eigentümer aus Katar kommen. Dies scheint den Abgeordneten der Stadt Paris keine Furcht zu machen. Inzwischen sind auch Nancy, Reims, Rodez und Straßburg beim Boykott mit dabei. Pierre Hurmic, der Bürgermeister von Bordeaux, ist überzeugt, „dass andere Bürgermeister und Städte in den kommenden Tagen identische Entscheidungen treffen werden.“ Viele begeisterte Fußballfans tragen einen Boykott in öffentlichen Äußerungen mit.

Rathaus von Marseille. (Website der Stadt Marseille.)

Der Bürgermeister von Marseille, Benoît Payan, spricht für eine Mehrheit im Stadtrat und fand in Richtung Katar-WM ebenfalls deutliche Worte:

Dieser kommende Wettbewerb, der erstmals im Winter ausgetragen wird, verwandelt sich allmählich in eine menschliche und ökologische Katastrophe, die mit den Werten unvereinbar ist, die wir durch den Sport und insbesondere den Fußball getragen sehen wollen. Marseille, das den Werten des Teilens und der Solidarität im Sport stark verbunden ist und sich für den Aufbau einer grüneren Stadt einsetzt, kann nicht zur Förderung dieser Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar beitragen.

Französische Medien vermuten, dieser Boykott der Städte könnte in den nächsten Wochen durchaus eine Bewegung werden, die dazu bestimmt ist, an Fahrt zu gewinnen. Wohin diese führt, vermag noch niemand zu sagen. Der Profifußball macht derweil, was er in der ganzen Welt am liebsten macht, er schweigt. Dabei wird ein bekannter Eindruck verstärkt, wobei die Fußballverbände von Dänemark und Norwegen bitte ausgenommen sind, weil mit vernehmlichen Protesten unterwegs, dass hinter der Fassade Fußball außer Geld nichts von Interesse. Wie gehabt.

*Titelbild: Fanproteste in Frankreich gegen WM in Katar.  (Foto: © Philippe Renault / MAXPPP / France Info)

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