Gesellschaft

Qualen oder Wahlen?

Demut ist weder angesagt noch gegeben. Medien, Parteien und Politiker begreifen zu langsam, dass im Projekt Demokratie immer mehr Menschen von der Fahne gehen, die Wähler abhandenkommen, welche ja auch Bürger, Stimmen, Menschen und Alltagswesen. Es gibt, das ist die Erkenntnis, die sich in unserem Land immer noch nicht durchsetzt, außerhalb von Medien und Politik eine völlig andere Welt und darin ein anderes Leben als Politiker und Journalisten es empfinden und schildern. Dennoch analysieren und interpretieren diese in einer abgeschotteten Hauptstadt- und Politikblase gemeinsam sehr gerne das Volk, das sie immer weniger kennen. In den Analysen zur Wahl in der niedersächsischen Provinz wieder nur Gesülze und Oberflächlichkeit bei Befragten und Fragern zwischen Hannover und Berlin. Tausendmal gehörte Phrasen, die mit einem Dank an die Wähler beginnen, die Schuld für schlechte Dinge bei anderen Leuten suchen und dann in etwas überleiten, wo die Masse der Bürger schon lange nicht mehr zu- und hinhört.

Zwischen dem brandenburgischen Cottbus und Berlin feiert man derweil den deutlichen Wahlsieg der Parteien, die sich demokratisch fühlen über die angeblich nicht demokratische Partei AfD bei den Oberbürgermeisterwahlen. So weit, so gut. Ob man mit dieser Tonalität die 30 Prozent AfD Wähler jemals von jener AfD zurückgewinnt, wenn man sie verbal außerhalb der demokratischen Ordnung stellt, es sei dahingestellt. Dass allerdings Medien bei einer Wahlbeteiligung von 55 Prozent in Cottbus ihre Beiträge mit Begriffen wie „hoher“ oder „guter“ Wahlbeteiligung verkleistern, ist ein Beleg für Weltfremdheit, die in diesem Fall Bürgerfremdheit heißen sollte. Wenn 45 Prozent nicht mehr wählen, sollte das Wort „gut“ vielleicht in keine Tastatur fließen, sofern man es mit der Demokratie ernst und rechtschaffen meint. Deshalb müsste es in der Medien- und Politikblase Berlin einen radikalen Paradigmenwechsel geben. Ein back to the roots Richtung Alltag und Hinwendung zum Bürger. Wird es nicht. Zu eingefahren die bequemen Gleise jener, die sie auch gelegt.

Von Cottbus zurück nach Niedersachsen. In Niedersachsen gingen 60,3 Prozent zur Wahl, also gingen 39,7 nicht. Ebenfalls kein „gut“ und „hoch“. Würde man die Nichtwähler unter den Wahlberechtigten einbeziehen, das von den Parteien erzielte Ergebnis dazu ins Verhältnis setzen, wie im obigen Beitragsbild, welches ein User auf Twitter erstellte, könnte man von einem kleinen Demokratieschritt reden. Es den Köpfen der noch an Politik interessierten Menschen am Wahlabend schnell entziehen, wirkt gegenteilig und etwas feige, Motto: „Aus den Augen – aus dem Sinn!“ Stets mit eingeblendet, kämen die Grafiken und Tortenstücke als Abbild unserer Gesellschaft dann allerdings weniger glanzvoll, dennoch wahrhaftiger unters Volk. Ein reales (ehrliches) Bild des Zustandes von Land, Leuten und Demokratie. Ohne diesen Nichtwähler-Balken auf allen Projektionen könnten Menschen die bunten Farben und Grafiken am Ende für Blendwerk derer halten, die in Politik und Medien sowieso im Verdacht stehen, mit Herablassung aufs Volk zu schauen, sobald jenes Volk nicht nach ihrem Munde geht. Dieser elitären Herablassung einer kleinen Elite soll das Wort eines großen Demokraten entgegengestellt werden:

Es ist eine Irrlehre, dass es Fragen gibt, die für normale Menschen zu groß oder zu kompliziert sind. Akzeptiert man einen solchen Gedanken, so hat man einen ersten Schritt in Richtung Technokratie, Expertenherrschaft, Oligarchie getan. Politik ist zugänglich, ist beeinflussbar für jeden. Das ist der zentrale Punkt der Demokratie. (Olof Palme)

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