Gesellschaft

Gendern und Wahlkampf

Ob ehrbare Schreibmaschinenhersteller schon an die Genderei dachten? Die Tastatur als Schlachtfeld. Tucholsky benutzte das Wort als Florett, selten als Säbel. Churchill rief es gar zu den Fahnen und Waffen. Lang ist es her. Wer sich noch erinnert, ist sowieso außen vor weil „alter weißer Mann“. In Deutschland werden gerne Nebenkriegsschauplätze eröffnet, damit der dortige Gefechtslärm die wirklichen Probleme überdeckt. Derer gibt es viele, die unbedingt auf die Agenda gehören. Die Gendersprache ist nicht jedermanns Sache, der Schreiber dieser Zeilen gesteht es für sich freimütig ein. Soll jeder nach seiner Façon selig werden, so es der Wahrheitsfindung dient, um einen Berliner Sponti aus bunter Zeit zu zitieren. Mit Monika Maron, Reiner Kunze oder Harald Martenstein lässt es sich gut in einem Boot sitzen. Bei der plappernden Blaublüterin von Thurn und Taxis oder dem Amateurpapst Peter Hahne wird einem dagegen übel. Sich mit Friedrich Merz auf einer Seite der Barrikade wiederzufinden, verursacht ebenfalls kein Glücksgefühl. Der Kanzlerkandidat der Bild-Zeitung ist ein personifizierter, anachronistischer Zug unserer Zeit. Die Reaktion winkt mit ihm aus alten Gräben. Merz eingeschränktes Ironiepotential via Twitter der Welt mitgeteilt, lässt tief blicken. „Grüne und Grüninnen? Frauofrau statt Mannomann? Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Mutterland? Hähnch*Innen-Filet? Spielplätze für Kinder und Kinderinnen? Wer gibt diesen #Gender-Leuten eigentlich das Recht, einseitig unsere Sprache zu verändern?“ So sprudelten seine oder seines Social Media Teams (So etwas, hat man heute.) Einfälle in die Öffentlichkeitsblase. Ein bisschen lustig, aber wirklich nur ein bisschen. Humor der Marke Fips Asmussen, keine Satire im Stil Tucholskys. Merz Rochaden Richtung „cooler Typ“ fallen bekanntermaßen oftmals ins Wasser.

Als dieser in eigener Sache stets ambitionierte CDU-Mann sich vor zwei Jahrzehnten in Erinnerung an das eigene Jugenddasein zum wilden Kerl mit Mähne stilisierte, schmunzelten Mitschüler öffentlich. Ein Bekannter aus frühen Tagen tat es sogar auf den Seiten der Wochenzeitung Zeit „Unser Kumpel hatte schon immer die Frisur, die er heutzutage trägt. Dafür hätte der alte Merz schon gesorgt, dass die Haare nicht zu lang wurden! Überhaupt hatte der ihn ganz gut im Griff, wie man immer noch sehen kann, denn Friedrich vertritt offensichtlich nach wie vor die Original-Weltanschauung des Herrn Oberamtsgerichtsrats.“ Die Ansichten des Oberamtsgerichtsrats scheinen in der Tat noch sehr lebendig, jedenfalls Friedrich Merz weiter zu befeuern. In Zeiten einer Welt voller ernster und lebensbedrohender Entwicklungen mit den einhergehenden Zukunftsängsten einer wachsenden Bevölkerungsschicht aus dem Genderstern einen Wahlkampfplaneten zu machen, zeugt von der eindimensionalen Wahrnehmung eines Populisten mit Blackrock-Vergangenheit und nicht von der Fähigkeit, Zukunftsgestaltung abzuliefern. Der künftige Superminister mag vieles sein, frischer Wind oder gar Erneuerung ist dieser Politiker nicht.

Die Sache mit dem Gendern könnte man einfach halten, wie der Journalist Ralf Heimann es in einem Tweet anregte: „Vorschlag zur Güte: Die einen gendern, die anderen nicht.“ Mehr muss man dazu nicht sagen. In Behörden- und Amtsstuben könnte dies sicher zu einigem Durcheinander in öffentlichen Verlautbarungen führen. Allerdings lassen sich amtliche Dokumente sowieso nur von wenigen Menschen verstehen, ob nun mit oder ohne Genderstern. Mit dem Frühstücksei sind wir doch längst allesamt flexibler. Der eine mag’s gekocht, der andere gerührt, viele setzen aufs klassische Spiegelei. Wer anderen Frühstücksgewohnheiten frönt oder es gar gesünder mag, kommt auch lebend durch den Tag. Lockerheit und Abrüstung in Sachen Sprache täte uns allen gut. Der Wahlkampf sollte jedenfalls endlich zu den wichtigen Themen abdrehen und sich nicht an Sternchen nebst Doppelpunkten festbeißen.

Zum Thema Gendern eine Stimme, die Gehör finden sollte und keinem alten weißen Mann gehört. Die ehemalige Sängerin Edda Moser*, eine Legende unter den Sopranistinnen ihrer Zeit, sprach es deutlich aus: „Die Gender-Sprache ist Schwachsinn, eine absolute Schande.“ Letztendlich ist die Genderei eine Elite- und Oberschichtdiskussion in einer Wohlstandsregion. Wer täglich von Alltagssorgen bedrückt, eine Zahl, die stetig steigt, wer Angst um Miete/Wohnung, wer den Leuten rund um die Uhr Pakete ins Haus schuftet, dies in unterbezahlten Jobs tun muss, wer den Wohlstandsmüll der satten Bürger Tag um Tag entsorgt oder diejenigen, die im ewigen Kreislauf der Hartz 4 Welt gefangen, sie sind allesamt von der Genderei entfernt wie die Erde vom Mond. Wer im Alter von seiner Rente nicht leben kann, dessen Ende in Unwürde bevorsteht, auch jenen ist die Gendersprache kein Rettungsanker. Leider hat die Eliten und Themensetzer noch nie interessiert, was die Plebejer so umtreibt. Eliten haben ihre eigenen Spiele, leben in ihrer Welt und geben den Takt vor. Nun wollen sie auch Sprache und Ton vorgeben. Vielleicht sollte dieser Mummenschanz etwas tiefer gehangen werden. Eiferer auf beiden Seiten müssen abrüsten und den Blick auf drängende Probleme richten, den aufkommenden Wahlkampf mit Themen füllen, die den Menschen gerecht werden und diese zur Wahl animieren und nicht von der Urne vertreiben.

Anmerkung

*Edda Mosers Stimme saust durchs Universum. Wer kann so etwas noch von sich behaupten. Als man der Raumsonde Voyager menschliche Gaben mit auf die Reise gab, weil diese eines Tages vielleicht auf fremdes Leben stößt, wollte man Glanzstücke der Menschheit vorführen. Dazu gehört neben Bachs Goldbergvariationen auch Mozarts schwerste Arie, die der Königin der Nacht mit ihrer „Hölle Rachen“ aus der Zauberflöte. Die Wahl fiel unter Dutzenden Einspielungen auf die famose Version von Edda Moser, die Mozart damit auch alle Ehre machte. (Was Außerirdische bei den Themen Rache und Hölle empfinden, wird sich zeigen.)

 

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