Gesellschaft

Ignorante Meister der Verwirrung

Zwei Figuren, die in ihrem Fach nicht unbedingt Überflieger sind, erregen dennoch die deutsche Medienlandschaft und die darin tätigen Angestellten. Diese beschäftigen sich bekanntermaßen leidenschaftlich gern mit sich oder Themen, die sie für wichtig einstufen oder solchen, die von Besitzern oder Dienstherren gewünscht werden. Medien, was oft vergessen wird, gehören immer irgendwem. Drängende Gesellschaftsthemen oder Angelegenheiten, die nicht in den Kram unserer Medieneliten passen, brennen denen daher eher weniger unter den Nägeln ihrer Redaktionsarbeit oder müssen dem privaten Mitteilungsbedürfnis (Twitter) weichen. Der eine Erreger dieser mit sich zufriedenen Medienlandschaft ist Richard David Precht, der immer als Philosoph tituliert wird, worüber man, sollten Maßstäbe wie Bloch, Marcuse, Adorno und Jaspers noch etwas gelten, nur schmunzelnd den Kopf schütteln kann. Der andere Erreger ist Harald Welzer, ein Mix aus Soziologe und Psychologe, der, weil oft in Talkshows in diesem Land hör- und sichtbar, genau deshalb umgehend als Intellektueller geführt wird. Wenn die Sonne des Geistes tief steht, werfen auch Zwerge ihre Schatten. Precht und Welzer haben jedenfalls ein Buch geschrieben, welches von Kritikern zerrissen, weil sie, wenn auch ziemlich holzschnittartig, vielleicht sogar zu flott und zu oberflächlich, dennoch einfache wie offensichtliche Wahrheiten eingestreut haben, die sich nicht wegdiskutieren lassen. Die Kritiker, dies sei hier ausdrücklich vermerkt, sind vor allem Journalisten, die sich von Berufswegen aufgerufen fühlen, alles und jeden zu kritisieren, nur niemals sich selbst. Ihre Sonne steht noch tiefer, aber sie bleiben die Meister der Verwirrung. Aktuell bellen sie, wie es im Tierreich getroffene Hunde hören lassen, besonders laut. Das Thema von Precht und Welzer nämlich: „Wie Massenmedien, die Demokratie gefährden.“

Stein des Anstoßes.

Die jetzt vor Empörung in satter Selbstzufriedenheit zum Gegenschlag ausholen, allesamt Journalisten und beflissene Medienarbeiter, fühlen sich natürlich erwischt. Daran lässt sich auch der Furor gegen ein Buch erklären, das nichts Neues an den Tag befördert, sondern nur Dinge anspricht, die für einen denkenden und politisch wie gesellschaftlich interessierten Menschen offenkundig sind. Den Typus suchen die Medien natürlich nicht. Ihre Klientel sind die Masse der Lämmer, die man weiter hinter der Trommel halten will.

Hinter der Trommel her trotten die Kälber, das Fell für die Trommel, liefern sie selber. (Brecht)

Die Autoren Precht/Welser stellen fest, „was Massenmedien berichten, weicht oft von den Ansichten und Eindrücken großer Teile der Bevölkerung ab“. Diesen Sachverhalt und die angedeutete These der Demokratiezersetzung vehement zu bestreiten, ist nun die deutsche Medienlandschaft gegen die beiden Herren aufgestanden. Von Politikredakteuren über Feuilletonisten bis zu selbst ernannten Edelfedern, alle stehen auf der Barrikade und singen das Hohelied des Journalismus, ohne zu bemerken, dass, was sie tun, kaum noch mit Journalismus zu tun hat. Dabei liefern sie die besten Beweise für die gegen sie erhobenen Einwände. In wie ein Ei dem anderen Ei gleichenden Talkshows sitzt ständig ein überschaubarer Personenkreis, darunter sogenannte Hauptstadtjournalisten, die selten News mitteilen, sondern lieber die Welt erklären. An uns adressiert, was wir bitte zu denken haben und dass alles, was wir selber denken und wahrnehmen, sofern es nicht von ihrem für uns bereiteten Medien-Teller kommt, natürlich falsch ist. Weil sie ja die reine Wahrheit mitgebracht. Arbeitsmethode immer nach dem Motto Behauptung ist gleich Beweis. Selbstverständlich haben Journalisten, die sich mit Precht/Welzer beschäftigen, Umfragen zur Hand, die belegen, dass die Mehrheit der Deutschen nicht der Meinung von Precht/Welzer sei. Und fertig ist die Laube. Wo nötig, wird auch noch das Instrument Faktencheck nachgeschoben. „Was die Deutschen denken“ ist immer ein hilfreiches Totschlagargument in allen Lagen. Oft fällt den Bürgern dabei auf, was Medien mit Umfragen vermitteln, ist ihnen im Alltag völlig anders oder überhaupt nicht begegnet. Ob politisch nun links, rechts oder liberal verortet, im Norden, Süden, Westen, Osten beheimatet, alt oder jung, oft lebt man in einem Umfeld, das völlig anders redet, als die in Medien so gern zitierte und ans Publikum gebrachte angebliche Mehrheitsmeinung. Da sind wir flugs wieder beim schon zitierten Satz von Precht und Welzer angekommen:

Was Massenmedien berichten, weicht oft von den Ansichten und Eindrücken großer Teile der Bevölkerung ab – gerade, wenn es um brisante Geschehnisse geht.

Man beschäftige sich als Beispiel bitte nur einmal mit der Paris- und London-Berichterstattung, wenn dort Wahlen anstehen und dortige linke Kräfte den deutschen Lesern und Zuschauern nahe gebracht werden. Man lernt dabei viel über unseren Journalismus. Vernebelung am Fließband. Mit dem Gradmesser für Journalisten „Schreiben, was ist“ von Rudolf Augstein hat das nichts mehr zu tun. Irgendwie glauben deutsche Medienarbeiter offensichtlich immer noch, was im Ausland passiert ist Geheimwissen, was nur sie haben und wir dummen Daheimgebliebenen lecken ihr falsch gemaltes Bild begierig von den Wänden. Die Medienlandschaft unseres Landes vermittelt immer stärker den Eindruck von Einheitsmedien. Angebliche Unterscheidbarkeit und behauptete Meinungsvielfalt sind bei näherem Blick kaum noch feststellbar. Die Menschen wenden sich also aus guten Gründen immer öfter ab. Der Zulauf, welchen soziale Medien erfahren, ist vor diesem Hintergrund erklärbar und verständlich.

Flucht in diverse soziale Medien, um ungefilterte Informationen zu suchen, in der Hoffnung, diese zu finden. (Collage: Pixabay)

In einer vom enthemmten Neoliberalismus geprägten Zeit und der damit auch bewusst betriebenen Zerrüttung der globalen Verhältnisse lesen und hören sich Medien hierzulande an, als würden sie PR-Abteilungen von diversen Politikrichtungen oder Konzerninteressen sein. Plumpe Propaganda und Werbung, die sie betreiben und die in der Tonlage gebriefter Pressesprecher daherkommen, werden den Endverbrauchern als Journalismus verkauft. Ein Edler des Journalismus, Hermann L. Gremliza, hat bis zu seinem Tod im Jahre 2019 den Verfall des Berufsstandes Journalist und der Medien in seiner legendären Konkret-Kolumne „Gremlizas Express“ engagiert und sachkundig wie oftmals schonungslos aufgezeigt, als an Precht/Welzer noch nicht zu denken. Sein Diktum hart wie unmissverständlich. Das „Gemisch aus unbeholfenem Gestammel, Reklamejargon, Technokratendeutsch und Gesinnungslumperei, das die meisten deutschen Medienarbeiter traditionell pflegen“, war für ihn nur noch Basis für Spott und Verachtung. Weil sie Gremliza intellektuell und in Sachen beruflicher Qualität nicht das Wasser reichen konnten, gingen Journalisten, völlig anders als im Fall Precht/Welzer, nicht in Talkshows, um ihn zu stellen und zu richten. Sie wussten um seine Überlegenheit und schwiegen ihn tot. Wie sie Themen, die ihnen oder ihren Brotherren nicht passen, eben stets totschweigen, auslassen oder für unwichtig verkaufen, wo nötig auch verdrehen.

Das bessere Buch zum Thema.

Precht und Welzer schreiben über die Medien: „Sie sind die Vollzugsorgane ihrer eigenen Meinungsmache: mit immer stärkerem Hang zum Einseitigen, Simplifizierenden, Moralisierenden, Empörenden und Diffamierenden. Und sie bilden die ganz eigenen Echokammern einer Szene ab, die stets darauf blickt, was der jeweils andere gerade sagt oder schreibt, ängstlich darauf bedacht, bloß davon nicht abzuweichen.“ Richtig wie falsch. Es ist nicht nur eigene Meinungsmache, sondern die Art Meinungsmache, die nach derer Pfeife tanzt, die für solche Meinungsmache ihre angestellten Journalisten bezahlen, die diesen Journalisten den Broterwerb ermöglichen. Die mit der Pfeife sind jene mächtigen Besitzer einer überschaubaren Zahl von Medienimperien. Precht und Welzer könnten am Beispiel der Medienkonzerne gut und einfach den Zusammenhang von wirtschaftlichen und politischen Absichten und der Produktion von Schlagzeilen oder eben dem Auslassen von Meldungen erkennen und ihren Lesern erklären. Sie müssten nur hinsehen und sich dann trauen. Doch sie sind eben selber Teil der Medienblase. Was man ihrem Schreiben anmerkt. Wo Precht/Welzer die Eitelkeit und Überheblichkeit bei Medienvertretern entlarven, deren täglich anschwellende Selbstherrlichkeit aufzeigen, liegen sie nicht daneben. Journalisten sind Teil der Berliner Politikblase, die in jener Blase Meinungs- und Politikmacher spielen. Natürlich ist es gefährlich, dass immer mehr einflussreiche Journalisten, die nur Einfluss haben, weil ihre Konzerne und Medienhäuser Einfluss besitzen, sich selber als Teil der Macht empfinden. Sie kommentieren nicht nur oder loben und tadeln, sondern wollen mitgestalten und tun dieses längst. Doch für wen wollen sie Politik lenken und mitgestalten, wer stellt sie ein und an, bezahlt sie und wofür? Es allein aufs Individuum und dessen Egomanie herunterzubrechen, greift nämlich zu kurz. Die wirtschaftlichen Zwänge und Besitzverhältnisse, aus denen sich alles andere ableiten und erklären lässt, sollten im Fokus der Autoren Precht/Welzer stehen. Dann finden sie auch spielend einfach heraus, warum Journalismus bei uns zur Propaganda geworden. Hat der Philosoph Precht irgendwann Hegel und Marx gelesen, in Marcuses „Der eindimensionale Mensch“ geschaut? Sollte er tun.

Sehr weltfremd wirkt nämlich folgende Erkenntnis von Precht/Welzer: „Wir müssen verstehen, wie unsere Demokratie nicht durch Willkür und Macht »von oben«, sondern aus der Sphäre der Öffentlichkeit selbst unterspült wird – erst dann kann die »vierte Gewalt« ihrer Rolle wieder gerecht werden.“ Zu kurz gesprungen. Oberflächlich und fast dumm. Natürlich bestimmt die Macht »von oben«, wie die Dinge zu laufen haben. Oben muss man allerdings definieren und einordnen können. Medien sind Teil des Krieges der Reichen gegen die Armen und sie stehen dabei nicht auf der löchrigen Barrikade der Armen. Natürlich ist kein mächtiger Propagandaminister irgendwo am Werk, sondern die bereits erwähnten Besitzer und Herrscher über gigantische Medienkonzerne, ob die nun Bezos, Murdoch, Springer oder sonst wie heißen. Diese gehören der Elite an, sind allesamt in den Milliardärs-Universen von „Geld = Macht“ unterwegs und haben knallharte Interessen. Nicht anders als einst Hugenberg oder Hearst. Ihren Einfluss und ihre Mitherrschaft in nationalen wie internationalen Fragen der Politik werden sie nicht untergraben lassen, vor allem nicht ihre oftmals längst globalen wirtschaftlichen Interessen. Genau diesen Interessen dienend, schreiben und reden ihre Mitarbeiter und Angestellten.

Ein aktuell veröffentlichter Chat zwischen Axel Springer CEO Mathias Döpfner und Elon Musk über die Idee eine Einverleibung von Twitter entlarvt die Geisteshaltung der reichen Medienzaren und niemand sollte sich irgendwelche Illusionen machen (Zitiert nach Business Insider, 29.09.2022):

„Warum kaufst du nicht Twitter?“ fragt Döpfner. „Wir betreiben es für dich. Und richten eine echte Plattform für freie Meinungsäußerung ein. Wäre ein echter Beitrag zur Demokratie.“ Musk antwortete wenige Minuten später laut Textprotokoll mit den Worten: „Interessante Idee“. Döpfner schrieb zurück: Ich meine es ernst. Es ist machbar. Wird Spaß machen.“

„Beitrag zur Demokratie“ und „freie Meinungsäußerung“ vom Betreiber der Bild-Zeitung wäre tatsächlich ein „Spaß“. 238 Millionen Twitter-Nutzer als Manövriermasse für Springer und Musk. Das wäre ein Fall für George Orwell. Derweil Precht/Welzer sich auf Kleinkrieg mit Zeilenschmieden einlassen und uns glauben machen, Journalisten regeln äußerst mächtig die Dinge des öffentlichen Lebens, spielen die wahren Mächtigen ihr Monopoly. Dort ist auch ein kleineres Medienimperium aktiv. Nicht so reich, mächtig und riesig wie Musk oder der Springer-Konzern, doch im lokalen deutschen Medienmarkt eine Größe. Das Buch von Precht und Welzer erscheint nämlich im S. Fischer Verlag. Dieser ist im Besitz der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Als Georg v. Holtzbrinck höchstpersönlich den Verlag 1962 übernahm, feuerte er zuallererst den hochgeachteten Lektor Klaus Wagenbach, weil der politisch ein Linker. Als Klaus Wagenbach („Das Herz sitzt links.“) längst der bewunderte und geschätzte Gründer des Wagenbachverlages, außerdem Macher großartiger Bücher war, erinnerte er sich an Georg v. Holtzbrinck wie folgt:

Verkauft wurde der Verlag an den – da bleibe ich höflich, wenn ich das sage – sehr konservativen Herrn Georg von Holtzbrinck. Von dem wurde ich in den Frankfurter Hof zitiert, niedergebrüllt und gefeuert.

Für Verbraucher schwer erkennbar. Wo findet sich zwischen Lüge und Wahrheit die Propaganda und die unverstellte Nachricht. (Bild: Gerd Altmann auf Pixabay)

Während Medien und Journalisten gerade auf Precht/Welzer einhauen, liefern sie selber ein peinliches Bild der Beweisführung und Bestätigung all ihrer Unzulänglichkeiten, die ihnen schon Gremliza über Jahrzehnte ins Stammbuch geschrieben hat. Auf offener Bühne begraben sie ihre letzte Glaubwürdigkeit mit eigener Hand. Der offizielle deutsche Journalismus hat nun seinen End- und Tiefpunkt erreicht, wird natürlich darüber hinaus weitermachen, bis er irgendwann eingestellt oder verdorrt. Warum auch nicht? Man wird es weiter als Zirkus, Unterhaltung, Narretei oder Selbstbefriedigung betreiben, von Nachrichten- oder Informationswert kann keine Rede mehr sein, von Suche nach Wahrheit sowieso nicht. Von Propaganda durchaus. Das Publikum wird für dumm und dämlich gehalten. Die Tage nach den Ereignissen um die Pipelines Nordstream 1 und 2 haben einige entlarvende Kostbarkeiten zu bieten, sozusagen die Selbstaufgabe eines Berufsstandes. Großmächten ist in Krieg und Frieden jede Sauerei zuzutrauen, das lehren uns auch die Jahrzehnte, die nach dem 2. Weltkrieg inzwischen vergangen sind. Die USA und Russland (Sowjetunion) machten wenig Federlesen, sobald ihre Interessen gefährdet. Den Fans der einen wie der anderen Seite, gefällt es natürlich nie, mit der jeweils gegenüberliegenden Konkurrenz in einen Topf geworfen zu werden. Doch die Beweise über beider Taten, Schuld ist vielleicht ein passenderes Wort, liegen historisch auf dem Tisch und sind nachlesbar. Wo hatten beide nach dem 2. Weltkrieg nicht überall ihre Finger drin! Im vorliegenden Fall Nordstream ist also beiden Seiten – Russland wie den USA – jener gravierende Sabotageakt aus unterschiedlicher Motivlage durchaus zuzutrauen. Den größeren Nutzen, wofür man keine Leuchte sein muss, haben natürlich die USA. Die Tatsache ist nicht vom Tisch zu wischen. Deshalb müsste auch über diesen Aspekt zumindest geredet und geschrieben werden und nicht so offenkundig wie peinlich rumgeeiert werden. Wenn deutsche Leitmedien die Möglichkeit und Option einer durchaus denkbaren US-Täterschaft nicht einmal zulassen, weil sie nicht in das verordnete Weltbild passt, offenbaren sie durch eigenes Versagen eben genau jene Hinwendung vom Journalismus zur Propaganda, die sie immer so vehement bestreiten.

Haben Medien die Wahrheit verdrängt oder das Wasser der Ostsee diese längst weggespült?

Schauen wir auf ein exemplarisches wie peinliches Beispiel. Die einst als links geltende taz, ähnlich links wie die Grünen angeblich grün waren, lässt einen Herrn Maurin schreiben, der ein prämierter Journalist: „Entgegen vieler Gerüchte haben die USA kein plausibles Motiv für einen Anschlag auf die Nord-Stream-Leitungen. Russland hingegen schon eher.“ Kein plausibles Motiv?? Wo lebt dieser Mann? Was dann in seinem Artikel folgt, ist eine argumentative Peinlichkeit vor dem Herrn. Ironischer Höhepunkt die Verteidigung von Joe Biden. Hier erklärt uns ein taz-Redakteur, was dieser gemeint und was nicht. Wer darauf scharf ist, wie ein taz-Redakteur propagiert, kann es sich online zu Gemüte führen und dann die taz abonnieren. Dass ein mehrfacher polnischer Ex-Minister, der aktuell Europaabgeordneter und im Europäischen Parlament die Funktion Vorsitzender der „Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten“ innehat, nachdem erste Schadens- und Anschlagmeldungen die Runde gemacht hatten, den USA über Twitter gratulierte, war deutschen Medien nicht von Nachrichten- oder Kommentarwert. Die „Berliner Zeitung“, die „junge Welt“ und der „Freitag“ ausgenommen, haben die Meinungsmacher in den Leitmedien es ausgelassen. Dass dieser Ex-Minister Sikorski seinen Tweet einen Tag später einkassierte, was ja noch entlarvender, passierte aufgrund einer Aufmerksamkeitswelle in der Social Media Blase, nicht durch investigativen Journalismus in den klassischen Medien.

Überhaupt wurde dieser Anschlag von Beginn an zu schnell und auffällig nach hinten geschoben, sofort mit Meldungen und anderen Themen zugedeckt. „Putin eskaliert weiter“ (Süddeutsche Zeitung); „Innenministerin fürchtet Attacken in Deutschland“ (Bild); „Warum Kiew jetzt unter Zeitdruck kommt“ (Der Spiegel); „Mobilmachung in Russland“ (FAZ); „Nächste Pandemiewelle“ (Stern); „Russlands Truppen droht die Einkesselung (Tagesspiegel) usw. In den öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten kein „ZDF-spezial“ oder „ARD Brennpunkt“. Das Thema soll flott aus dem Blick der denkenden Öffentlichkeit. Man benötigt Zeit für den Schwarzen Peter und die dann zu entfesselnden Geschichten. Journalisten agieren wir PR-Berater und nicht wie Rechercheure. Dort, wo man das Thema angeht, wir nannten eben die taz, wird zwischen den Zeilen schon die Stoßrichtung sichtbar, dass es der Russe gewesen sein muss. Wir werden dahingehend noch lustige Basteltage der Medien und ihrer Angestellten erleben. Die Autoren Precht/Welzer sollten die Ohren aufsperren, sie könnten dabei eine Menge lernen und vielleicht ein zweites Buch in Angriff nehmen. Das zieht dann umgehend Einladungen in Talkshows nach sich. Dort treffen sie erneut auf Journalisten, die ihnen ihr Buch, die Welt und das Leben erklären. Damit fertig, gleiten sie dann mit weißer Weste in den Abend, um am nächsten Tag wieder aus ihren Redaktionen die Lämmer zu verwirren oder zu beschwichtigen, aber bloß nicht zu informieren. Und weiter dreht sich das Medienkarussell dabei um sich selbst. Jene von uns, die dort nicht aufgestiegen und deshalb nicht mitfahren, könnten derweil an Wolfgang Neuss denken:

Heut mach ich mir kein Abendbrot, heut mach ich mir Gedanken.

*Titelbild: Pixabay.

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