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Gong zur 1. Runde

Der sich neuerdings ‚Renaissance‘ nennenden Präsidentenpartei macht zumindest Emmanuel Macron alle Ehre. Regiert er schon lange wie Ludwig XIV., allerdings ohne Sonne, erinnert er nun an die Borgias. Eine 18-Jährige, die ihm bei einem öffentlichen Termin kritische Fragen stellte, bekam später in ihrem Gymnasium Besuch von der Polizei. So geht es zu im Frankreich des neoliberalen Investmentbankers mit den ganz großen Umbauplänen, welche die Schlachtung von sozialen Errungenschaften vorsehen, die seit der Revolution und der Präsidentschaft von François Mitterrand erkämpft wurden. Dafür braucht Macron noch einen Schritt, eine Parlamentsmehrheit bei den Wahlen, die am Sonntag in die 1. Runde und am 19. Juni in die 2. Runde gehen. Ob das linke Bündnis NUPES Macrons Ambitionen vereiteln kann, wofür es die Wahlen gewinnen muss, bleibt offen. Es wird am Ende wohl nicht ganz reichen. Macron aber dessen bisher bequeme Mehrheit versalzen, dafür scheint eine gute Chance zu bestehen. Wobei Macrons Kumpane nicht zögern werden, dann ein Bündnis mit Marine Le Pen und deren ‚Rassemblement National‘ einzugehen. Viel hängt von den 12 Millionen Franzosen ab, die sich längst aus dem Prozess Wahlen verabschiedet und dem Staat sozusagen den Rücken zugedreht haben. Selbst die deutsche FAZ konstatierte: „Die Unterschicht geht nicht mehr zur Wahl.“ Sollten Teile dieser Unterschicht doch noch aufwachen und wählen, dann ist Macrons Mehrheit in der Nationalversammlung futsch.

Plenarsaal der Nationalversammlung im Pariser Palais Bourbon. Mehrheit gesucht. (Foto: Twitter Assemblée nationale)

So oder so ist abzusehen, dass auch ein Ministerpräsident aus Macrons politischem Lager es künftig schwerer hat. Die Linke ist nicht mehr ein zersplitterter Haufen, sondern erfolgversprechend zusammengerückt. Sie wäre eine starke Opposition. Jean-Luc Mélenchon und sein ‚La France insoumise‘ (Unbeugsames Frankreich) führen ein Bündnis an, zu dem Sozialisten, Kommunisten und Grüne gehören. NUPES hat Tag um Tag an Zuspruch gewonnen, die Veranstaltungen waren überlaufen, in den TV-Diskussionen waren die NUPES Vertreter, mit ihrem Programm und sehr konkreten Plänen den Konservativen überlegen. Die Menschen benötigen wieder eine Politik, die nicht nur den Eliten dient. Die Zeit scheint reif. 10 Millionen Franzosen leben unterhalb der Armutsgrenze, davon kamen in der Amtszeit von Emmanuel Macron 400.000 dazu. In gleichen Zeitraum dieser Amtszeit haben die 500 reichsten Familien Frankreichs ihr Vermögen von 570 auf 1.000 Milliarden Euro gesteigert. Wir werden bald wissen, ob und welche Schlüsse die Franzosen daraus ziehen und wie der 1. Wahlgang ausgeht. Ob die Franzosen sich dem neoliberalen Würgegriff entziehen und in eine Sechste Republik aufbrechen oder in der zur Macronie verkommenen Fünften Republik verharren, liegt in ihren eigenen Händen.

Die Franzosen interessieren sich für Programm und Personen von NUPES. (Twitter: Manon Aubry)

Dass Gefahr im Verzug ist, hat das neoliberale Macron-Lager längst erkannt. Sie haben sich wahrlich redlich bemüht und ins Zeug geworfen, die Macht zu erhalten und ein mediales wie demagogisches Höllenfeuer gegen NUPES und deren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten Jean-Luc Mélenchon entfacht, welches sich sehen lassen kann. Mélenchon würde Frankreich in Kuba und Venezuela verwandeln wollen. Sobald Mélenchon und NUPES an die Macht gelangen, würden Franzosen keinen Zucker und kein Fett mehr essen dürfen, außerdem nie wieder auf ihren Grundstücken Holz hacken können. Eine Wochenzeitung machte mit der Titelseite auf, sie hätten einen Psychologen beauftragt, Mélenchon von außen zu analysieren. Dieser Deuter kam zu dem sofortigen Schluss, Mélenchon sei gefährlich und verrückt. Dieser Verrückte, so andere Blätter und Renaissance–Politiker würde Frankreich an Putin ausliefern. (Dann bekäme Putin Kuba und Venezuela?) Natürlich der Untergang Europas. Selbstverständlich wolle Mélenchon bevor Putin kommt, noch die Polizei abschaffen und die Franzosen dem Terror ausliefern. Und so weiter und so fort. Natürlich sind auch die deutschen Jauchetaucher wieder fest dabei. „Deutschland-Hasser“, „Demagoge“, „gefährlicher Rüpel“ und „Linkspopulist“ kreischen die Beschmutzer. Eben die handelsübliche Hugenberg-Sprache in deutschen Konzernmedien. Lassen wir diese dort schwimmen, wo sie gerne tauchen. In Frankreich interessiert ihr Geheul ohnehin keinen Hahn, auch kein Schwein.

Es wurde sogar Realsatire pur geboten. Als die Rechten wieder die alte Leier auskramten, Linke können nicht einmal rechnen, erklärte schnurstracks der berühmteste Mathematiker der Welt, der Franzose und Fields-Preisträger Cédric Villani, er würde NUPES wählen und dieses auch allen Franzosen ans Herz legen.

Schmiedete NUPES. Jean-Luc Mélenchon. Neoliberales Feindbild Nr. 1 (Foto: Twitter FI)

Jedenfalls im gesamten Wahlkampf kein Ressentiment, keine Sauerei, die nicht gegen Mélenchon und NUPES gespielt wurden. Rechte und konservative Propaganda im Verbund mit Konzernmedien wissen Rufmordkampagnen zu organisieren, Willy Brandt in früheren und Jeremy Corbyn in neueren Zeiten sind erinnerbare Beispiele. Mélenchon ist damit in guter Gesellschaft. Allerdings darf man diesen Politiker mit seinen 70 Jahren nicht mit deutschen sogenannten Linken aus feigen Sozialdemokraten, der Bellizisten-ParteiDie Grünen‘ und der blamablen ‚Die Linke‘ vergleichen. Der Franzose weiß sich zu wehren und gegenzuhalten, Druck kennt er keinen. In Mélenchon brennt noch das Feuer der Revolution. Für ihn ist die Republik alles und niemand hat sich über sie zu erheben. Kein Präsident, kein Konzern, keine Ideologie. Tritt Mélenchon ans Mikro, weiß er Worte zu setzen und zu nutzen, vielleicht sogar eine Mehrheit der Franzosen aufzuwecken, dass diese nicht gegen, sondern einmal für ihre ureigenen Interessen stimmen und wählen. Ein schrecklicher Gedanke für alle Neoliberale dieser Welt. Wenn NUPES die Wahl gewinnt, wird Jean-Luc Mélenchon Ministerpräsident der Parlamentsmehrheit. Gewinnt NUPES nicht die Mehrheit, wird er sich nach über 40 Jahren aus der aktiven Politik umgehend zurückziehen. Sein Feld ist bestens bestellt. Er hinterlässt eine neue Politikergeneration unter den Linken mit höchsten Zustimmungswerten unter den jungen Menschen in Frankreich. Gemeinsam wird diese Generation dem Neoliberalismus weiter die Stirn bieten. Die Jugend Frankreichs ist wieder politisch. Darin vielleicht Mélenchons größter historischer Verdienst.

Ich bin froh, dass sich heute so viele junge Menschen in meiner Art zu sprechen wiedererkennen. Ich weiß, dass sie es besser machen werden als ich. Die Politik ist eine magische Kunst, die uns in Gemeinschaft bringt. Frauen, Männer, Reiche, Arme – an der Wahlurne sind wir alle gleich. Es lebe die Republik. (Jean-Luc Mélenchon)

NUPES interessiert die Menschen wieder für Politik. Wird der Zustrom am Ende reichen? (Foto: Twitter FI)

Besonders unter Ex-Linken oder solchen, die sich ein halbes Leben als solche durchgeschlichen haben, gibt es ja stets starken Hang, den nützlichen Idioten der Rechten zu spielen, damit von deren Tisch noch Brosamen an sie fällt. Ein besonderes Exemplar der dummen Art ist der Sozialist François Hollande, seines Zeichens Ex-Präsident, ehemals Sozialistische Partei. Dazu kommt noch dessen ehemaliger Ministerpräsident Manuel Valls, der eher verschlagen und verkommen als dumm. Einst übergoss er die Franzosen mit Reformlügen der Marke Schröder/Blair und machte sich auf, Frankreichs Sozialstaat zu zerschlagen. Seither von der Masse der Franzosen zutiefst verachtet. Hollande und Valls waren sich für nichts zu schade, zogen in billigen und fast schon schmuddeligen wie auch großen und publikumswirksamen TV- und Radio-Sendungen gegen Mélenchon und NUPES übel zu Felde, erledigten den Rechten die Drecksarbeit und diffamierten den Rest der Sozialisten gleich mit. Zur Erinnerung, Hollande und Valls haben die Sozialistische Partie von François Mitterrand bis auf die Grundmauer politisch niedergebrannt und damit erst den Aufstieg des Valls Ziehkindes Macron ermöglicht.

Neoliberaler Politik-Bankrotteur meldet sich ab.

Manuel Valls setzte dann noch einen drauf, dies aber nicht freiwillig, sondern vom Wähler inszeniert. Um sich erneut ins politische Geschäft zu bringen, kandierte er für die Nationalversammlung. Er suchte sich einen Wahlkreis der Auslandsfranzosen aus, weil das seine einzige Chance. Diese Auslandsfranzosen wählen schon vor dem regulären Wahltermin, somit ist deren 1. Wahlgang schon beendet. Manuel Valls ging mit Pauken und Trompeten blamabel unter, ist schon in der ersten Runde ausgeschieden. Das war’s mit dem lang geplanten Comeback. Das Letzte, was die Franzosen von ihm hörten, eher sahen, war sein gelöschter Twitteraccount, sozusagen sein Abschied von der Welt. Von dort aus hatte er als ein ferner Liebediener des Präsidenten wochenlang intensiv gegen NUPES und Mélenchon geschossen. Nun war die letzte Patrone verfeuert. Den Franzosen bleibt ein politisches Schreckgespenst in Erinnerung. Valls liegt da, wo sich Hollande schon häuslich eingerichtet, auf dem Müllhaufen der Geschichte. Wen die Franzosen noch alles dorthin entsorgen, wird sich am Sonntag und am 19. Juni zeigen.

Bündnis NUPES. Kampfansage Richtung Macron und Neoliberalismus.

Gewinnen NUPES und Jean-Luc Mélenchon wird auch ein Leben gerettet, das Europas Politikern unwichtig und egal ist, aber doch für Meinungsfreiheit steht wie nur wenige andere:

England, liefern Sie Assange nicht an die USA aus! Julian Assange ist ein Held unserer Freiheit. Eine Regierung der Volksunion, die aus einer Mehrheit in der Nationalversammlung hervorgeht, wird ihm die französische Staatsbürgerschaft gewähren. (Jean-Luc Mélenchon)

*Titelbild: Französische Nationalversammlung  (Assemblée nationale) im Palais Bourbon. (Foto: Twitter Assemblée nationale)

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