Leben

Heeresgruppe Medien spielt Krieg

Wenn deutsche Medien aus einem Sachverhalt nichts gelernt haben, dann aus der Geschichte. Natürlich nicht alle. Eine Minderheit versucht diesen Ansatz bis heute, zur Strafe finden sie dafür keinen Ort, um sich noch Gehör zu verschaffen. Gutes Beispiel die ausgewiesene Russlandexpertin Gabriele Krone-Schmalz. Ihre differenzierte Sicht auf die Russen und deren Geschichte nebst einem analytischen Blick in die Gemengelage um den Alleinherrscher Putin passt nicht in die Mainstream-Meinung des vor unser aller Augen aufgeführten medialen Kriegstanzes. Somit findet Frau Krone-Schmalz also nicht statt. Die Ikonen des bundesdeutschen Journalismus nach 1945 wollten den Hugenberg-Geist, der längst einigen ihrer Nachfahren wieder die Feder spitzt, endgültig aus deutschen Redaktionen und Köpfen vertreiben. Mit Enthusiasmus gingen sie an dieses Werk. Heute bekämen von denen nur sehr wenige Gehör, wohl kaum noch Anstellung. Stellvertretend für viele dieser Edlen des Berufsstandes seien Gert von Paczensky, Erich Kuby, Günter Gaus, Claus Hinrich Casdorff, Carola Stern, Günter Matthes, Jürgen Leinemann, Gunter Hofmann, Gerd Ruge, Wibke Bruhns und Klaus Bednarz genannt. Natürlich darf der grandiose Hermann L. Gremliza hier nicht fehlen. (Nachruf der „Jüdischen Allgemeinen“ vom 23.09.2019: „Vielleicht der größte Journalist des Landes.“ Absolut richtig. War er.)

Gigant seiner Zunft. Der Journalist Hermann L. Gremliza (1940 – 2019)

Entschuldigung in Richtung derer, die in dieser Aufzählung vergessen. Der verdienstvolle Spiegel, für ihn genannt sei hier Gründer und Herausgeber Rudolf Augstein sowie Erich Böhme, einer der besten Chefredakteure des Magazins, verstärkte zumindest bis 1994 niemals den Trommelwirbel der Springer-Medien. (Augstein für den Spiegel und Nannen für den Stern schlugen sich einst durchaus mutig auf die Seite von Willy Brandt und dessen Reform- und Ostpolitik, als dieser bevorzugtes Opfer von Rufmordkampagnen des Springer Verlages und der CDU/CSU war.) Einige der hier Erwähnten hatten noch persönlich und ganz direkt kennengelernt, was Krieg über Menschen und Völker bringt. Da geht einem Kriegsgebrüll nicht so einfach von der Hand, wie es bei ihren derzeitigen Nachfahren der Fall. Heute ist ihr journalistisches Erbe weitgehend erloschen, der besagte Hugenberg-Geist dagegen wieder lebendig. Der Erzfeind nun nicht mehr Frankreich, sondern Russland und besonders ein gewisser Herr Putin.

Erich Kuby kannte den Krieg, weil er dessen Schrecken erlebte und diese schonungslos notierte. Ein Buch für die Ewigkeit.

Der genannte Wladimir Putin nimmt in seiner Funktion als russischer Präsident augenblicklich gern an langen Tischen Platz und drapiert seiner Gesprächspartner in riesiger Entfernung am anderen Ende, was weltweit der Satire Tür und Tor öffnet. Solches musste der französische Präsident unlängst ertragen, aber auch Putins Außenminister und seinem Verteidigungsminister erging es nicht besser. Schrulle oder gar Krankheit? Das Parkinson-Gerücht hält sich hartnäckig im Netz. Eine unsinnige Herrschaftsgeste, ähnlich dem Hund vor den Füßen Angela Merkels? Oder hat er ganz einfach ein Ding an der Waffel? Nichts Genaues weiß man nicht. (Georg III. hatte auch nicht alle Tassen im Schrank und herrschte dennoch von 1760 bis 1801 als König des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland.) Der russische Einmarsch in die Ukraine, immerhin ein riesiger Flächenstaat, scheint nach wie vor eher unwahrscheinlich. So man militärischer Logik folgt. Ein daraus resultierender und sich sehr lange ziehender Partisanenkrieg vor der Haustür ist nicht in der russischen Interessenlage und immer gefahrvolles Feld für eine reguläre Armee. Vietnam und Afghanistan sind Beispiele, wohin so etwas führen kann. Russische Generäle werden das wissen, Putin wohl auch. In Moskau also dieser undurchsichtige Zar. Ein Blick über den Atlantik. In Washington waltet ein sehr betagter alter Mann, dessen Absichten nur für naive Europäer edelmütig. Dieser Joe Biden will unbedingt Nord Stream 2 beenden, was er in jeder Rede zum Thema Ukraine auch äußert. Die russischen Öllieferungen an die USA erwähnt er grundsätzlich nie. (Schaut man aktuell in die Vereinigten Staaten, erkennt man in Präsident Biden genau den Mann im Weißen Haus, dessen Politik Donald Trump wieder ins Amt bringt. Auch eine Leistung.)

In Peking derweil einer, der gerne Fußballweltmeister wäre, vorher noch sein Land zur absoluten und alleinigen Nr. 1 auf unserem Globus machen möchte. Jener Xi Jinping ist damit schon weiter, als uns allen lieb sein kann. (Die globale Vormachtstellung scheint wesentlich einfacher erreichbar als das Ding mit dem Fußball.) Im Ukrainekonflikt wird er von ferne genüsslich zuschauen, so oder so davon politisch und wirtschaftlich profitieren. Putin hat ihn schon aufgesucht und wird gute wie schlaue Gründe dafür gehabt haben. Wahrlich alles keine heiteren Aussichten. Zu diesen diffusen Perspektiven kommt als phonetische Verstärkung noch das Kriegsgeschrei aus deutschen Medienlanden. Was für Zeiten! Sind wir also bald alle im Krieg? Natürlich nicht. (Es sei denn, wir reden vom Krieg Reich gegen Arm, der stündlich und täglich sein Unwesen treibt.)

Erinnerung an 1. Weltkrieg. In vier Schlachten um Ypern für nur wenige Meter Landgewinn fielen 850.000 Menschen. (Foto: Pixabay)

Überfordert wie „Otto Normalverbraucher“, doch höllisch elektrisiert von diesen Zeiten natürlich wieder die deutsche Medienlandschaft. In deutschen Medien werden plötzlich CIA Informationen als allein selig machende Wahrheit verbreitet. (Die Schablone Irak-Krieg lässt grüßen.) Diese so geheimen Infos, die rein zufällig auf allen Nachrichtenmärkten dieser Welt verbreitet, lauten „Einmarsch am Mittwoch“, „Überraschungseffekt“ und „schneller Vorstoß auf Kiew“. Sie werden ohne Recherche umgehend zu reißerischen Schlagzeilen verwurstet. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Während übrigens der Tagesspiegel aus Berlin noch von Ukrainern berichtete, die der Meinung sind, die Russen werden nicht einmarschieren. Einen Krieg abblasen ist auflagentechnisch natürlich nichts im Verhältnis zu einem donnernden Kriegsbeginn. Den Hamburger Spiegel muss zumindest eine gewisse Peinlichkeit wegen dieser Propagandablasen im eigenen Politikteil erfasst haben. Daher ließ man Alexander Kluge, den famosen Filmemacher und Schriftsteller, aus Anlass seines 90. Geburtstages (Chapeau und Happy Birthday) zum Thema Ukraine immerhin etwas Nachdenkliches anmerken:

Ich habe ein Buch über den Kessel von Stalingrad geschrieben. Geografisch gehört Charkiw, die ukrainische Stadt, zum rückwärtigen Gebiet dieser Schlacht. Ich glaube nicht, dass man – aus gleich welchen Gründen – mit einer Erweiterung der Nato an einem Punkt so weit im Osten spielen sollte.

Manchmal sollten Politikredakteure in den Kulturteil ihres eigenen Blattes schauen und daraus etwas lernen. Von Peter Scholl-Latour hätte man ebenfalls lernen können. Der sagte 2014:

Ich war in der Ostukraine, bis zur russischen Grenze, da ist man noch 300 Kilometer von Stalingrad entfernt. Das sollte einem doch zu denken geben.

In der bewährten Tiefe ihres Niveaus und an allen Fronten selbstredend das Organ der Niedertracht, nicht bereit irgendetwas zu lernen. Dort heißt es von hauseigenen Agitatoren, welche sich tatsächlich Reporter nennen: „Bild wird die Ukraine niemals im Stich lassen“ und noch draufgesetzt: „Bild berichtet live aus Kiew von der dort herrschenden Kriegsangst“. Wobei diese Schlussfolgerung jedem Dummbeutel eingeht. Wer Angst schürt, der berichtet halt darüber. So füttert man sich selbst. Wenn dabei eine vermeintliche Redaktion zu einer Heeresgruppe mutiert, muss man sich über nichts mehr wundern.

Rollen russische Panzer wirklich bald in die Ukraine ein? (Foto: Alexsandr31 auf Pixabay)

Latente Kriegsrhetorik ist immer, was in der Natur der Sache liegt, von einer Art Hetze durchdrungen. Jene sprachliche Hetze findet natürlich im Inland längst willige Abnehmer und trifft dabei nicht nur Russen, sondern auch andere ehemalige Alliierte im Kampf gegen Nazideutschland. Diese hatten sich schließlich erdreistet, Adolf Nazi und seinen Verbrecherstaat zu besiegen. Tumbe wie auch berechnende Neonazis marschieren ungehindert mit Revanchegelüsten über Deutschlands Straßen und sind sprachlich nah bei jenen, die den Ukrainekonflikt für Kriegspropaganda ausquetschen. Diese Nähe wollen beide Seiten nicht so gerne unter die jeweilige Nase gerieben bekommen. Zum Dresdner Gedenktag für die Opfer des Zweiten Weltkrieges lief das braune Gesindel wieder auf und schändete mit seiner Teilnahme das Gedenken. Mit dabei hatten sie ein Plakat „Bombenholocaust“ in Anspielung auf den Luftangriff der Alliierten im 2. Weltkrieg auf Dresden. Zu dieser Plakat-Aktion sei hier das internationale Auschwitz-Komitee zitiert:

Ein schäbiger und hetzerischer Versuch nazistischer Gruppen, den Holocaust zu relativieren und Überlebende der Vernichtungslager in aller Welt zu verhöhnen. Empörend und völlig unverständlich für die Überlebenden, dass es immer noch keine einheitliche Strategie von Polizei und Staatsanwaltschaften gibt, dieser provokativen Verdrehung historischer Tatsachen gezielt entgegenzutreten. (Christoph Heubner, Internationales Auschwitz-Komitee)

Nach Einschätzung einer deutschen Staatsanwaltschaft in Sachsen bestand bei dem Transparent keine strafrechtliche Relevanz. Wie bitte??? Es verschlägt einem die Sprache. Wer sich übrigens aufplustert, das eine, die sprachliche Kriegsraserei um den Ukrainekonflikt, hätte mit dem anderen, der demagogischen Sprache dieser immer schamloser auf unseren Straßen agitierenden Neonazis und ihrer Propaganda nichts zu tun, der sollte darüber bitte noch einmal intensiv nachdenken. Ratsam wäre es, dabei die Geschichte helfend zu bemühen. (Auch Victor Klemperers LTI ist im Buchhandel nach wie vor erhältlich.)

Nach einem jeden Krieg schaufelt man Gräber und zählt die Toten. (Foto: Jos Poelmans auf Pixabay)

Noch ein Blick zurück. Am 22. Juni 1941 marschierten ca. 3 Millionen Wehrmachtssoldaten in 150 Divisionen, darunter 20 Panzerdivisionen in Russland ein, der damaligen Sowjetunion. Diese gigantische Wehrmacht musste erst besiegt werden, um dann dem deutschen Nazireich, dem Weltkrieg, dem Völkermord und Rassenwahn ein Ende zu bereiten. Die Deutschen zahlten für den von ihnen losgetretenen verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg einen hohen Preis. 5,5 Millionen Soldaten und 2,1 Millionen Zivilisten fielen ihm zum Opfer. Einen unendlich höheren Preis für andere und sich selbst zahlten die Russen. Ihr Sieg, der entscheidend für den Ausgang des 2. Weltkrieges war, kostete Russland 24 Millionen Menschenleben (10 Millionen Soldaten, 14 Millionen Zivilisten.). Insgesamt wurden schätzungsweise mehr als 70 Millionen Menschen im 2. Weltkrieg getötet. Im 1. Weltkrieg wurden 9 Millionen toter Soldaten und 6 Millionen tote Zivilisten gezählt. Nach 1945 sollen ca. 20 bis 30 Millionen Menschen in kleinen und großen Konflikten durch Krieg ihr Leben verloren haben. Diese kalten und dadurch besonders schrecklichen Statistiken und fürchterlichen Zahlen sollten uns jeden Tag Mahnung sein. Bevor es zu spät ist.

Für die Politik unserer Zeit gilt besonders, was der Militärreformer und General Carl von Clausewitz (1780 – 1831) einst den Militärs und Politikern seiner Zeit mahnend in die Stammbücher schrieb:

Nichts ist schwerer, als der Rückzug aus einer unhaltbaren Position.

*Titelbild: Umkämpftes Pawlow-Haus in Stalingrad, Ruine/Denkmal, (Foto: Vladimir Fill auf Pixabay)

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